Warum ticken die Wählerinnen und Wähler so, wie sie ticken? Eine Frage, die im Superwahljahr 2024 viele umtreibt. In der "ZiB 2" am Donnerstag arbeitete sich Philosoph Michael Sandel an dieser Frage ab und fasste die Ursachen für den Erfolg der Rechtspopulisten bei Marie-Claire Zimmermann schön verständlich und sehr sympathisch zusammen, auch wenn seine Antworten freilich keinen Anlass zur Hoffnung geben.

Philosoph Michael Sandel war Donnerstagabend zu Gast in der
Philosoph Michael Sandel war Donnerstagabend zu Gast in der "ZiB 2" bei Marie-Claire Zimmermann.
Screenshot: ORF-TVThek

Warum Donald Trump trotz Aussagen wie jener, dass er im Fall eines Wahlsiegs am ersten Tag wie ein Diktator agieren würde, so gut ankommt? Die Menschen in den USA seien tief frustriert, wütend. "Sie fühlen sich von den Eliten erniedrigt und abgehängt", sagt Sandel. Und Trump schaffe es, Sorgen und Ängste anzusprechen, "die Menschen glauben, er spreche für sie". Und wenn Menschen sich nicht respektiert fühlen, glauben, dass die Elite auf sie herunterschaut, dann "laufen sie Populisten in die Arme, wenden sich jenen zu, die ihre Probleme zum Ausdruck bringen und sie gegenüber den Eliten vertreten". Noch sei unklar, ob es Joe Biden schafft, die Arbeiterklasse anzusprechen. "Beide haben in etwa die gleichen Chancen, es ist durchaus möglich, dass Trump Biden besiegt und wieder zum Präsidenten gewählt wird", so Sandel.

ZIB 2: Philosoph Michael Sandel über die US-Vorwahlen
ORF

Wütend und zornig

Generell sei die Demokratie weltweit in der Krise, die Menschen seien "unglaublich wütend und zornig". Der Erfolg dieser Populisten sei auch das Resultat der Fehlschläge und des Unvermögens der progressiven und sozialdemokratischen Politik. Die "echte Herausforderung" sei, eine überzeugende Alternative zu entwickeln, die Menschen mit ihren legitimen Ängsten und Sorgen abzuholen. "Trump schafft das sehr gut", sagt Sandel. Und: "Die Sozialdemokratie muss sich erneuern."

Es gehe um die "Würde der Arbeit, um die Achtung der arbeitenden Bevölkerung". Und um das Thema Migration, das "Lieblingsthema vieler Rechtspopulisten". Für eine großzügigere Politik gegenüber Flüchtlingen einzutreten reiche nicht aus, diese Parteien "dürfen die Ängste und Sorgen vieler Menschen bei diesem Thema nicht ignorieren", sie sollten insgesamt darüber sprechen, wie man denn die Solidarität weiterentwickeln könne und inwieweit "wir als demokratisch gesinnte Bürgerinnen und Bürger Verantwortung füreinander übernehmen wollen".

Alles wahre und gescheite, wenn auch recht allgemeine Aussagen eines Philosophen zum traurigen Status quo. Die Menschen dort abzuholen, wo sie sind, ihnen Ängste zu nehmen, Hoffnung zu geben und das Feld nicht weiter den Populisten zu überlassen, dafür sind andere verantwortlich. Eine schwierige Aufgabe, nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande. (Astrid Ebenführer, 19.1.2024)