Käsestücke zum probieren auf einem Holztablett
Käseverkostung auf der Grünen Woche in Berlin. Manchen Bauern schlagen die zunehmenden Belastungen auf den Magen.
APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ

Schwein gehabt, könnte man sagen. Während Traktoren und Lastkraftwagen in Berlin auffahren, herrscht in den Hallen der Grünen Woche auf dem Messegelände – nun ja, nicht ganz – die übliche Heiterkeit. Alljährlich zieht das weltgrößte Ernährungs- und Agrartreffen hunderttausende Besucher an. Sie suchen Unterhaltung und Gaumenfreuden. Heuer findet die Messe, die am Freitag für Besucher und Besucherinnen geöffnet wurde, vor einem explosiven Hintergrund statt: Die Bauern protestieren. So laut und so empört wie schon lange nicht mehr. Der Protest hat sich mächtig ausgewachsen. Taxler wurden gefragt, haben sich aber nicht angeschlossen, erzählt der Taxifahrer, der einen durch Berlin fährt. Lkw-Fahrer hingegen rückten an, man hat sie am Donnerstagabend bereits hupend durch die Stadt fahren gehört.

Begonnen hat alles mit den angedrohten Subventionskürzungen beim Agrardiesel, schon lange geht es um sehr viel mehr. Um wachsenden Druck durch sich aufbürdende Anforderungen im Dienste des Klimaschutzes und des gesellschaftlichen Wandels und der damit verbundenen Bürokratie. Um das Gefühl der Machtlosigkeit, was die Preisgestaltung betrifft, um die Frage, ob die Landwirte ein Auskommen mit ihren Einkommen finden, ob sich die Landwirtschaft in Zukunft lohnt. Es hat sich viel aufgestaut.

Verständnis bei Österreichs Agrarspitze

Das sei in Österreich nicht anders, wiederholen Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP), Landwirtschaftskammerpräsident Josef Moosbrugger und Bauernbund-Präsident Georg Strasser in Berlin unisono, was in Österreich regelmäßig zu vernehmen ist. In Berlin geht es aber um mehr. So folgt die Choreografie bei dem Pressetermin in Berlin am Freitag einem komplexeren Muster, als es für Veranstaltungen dieser Art üblich ist.

"Wir haben vollstes Verständnis für die deutschen Bauern und Bäuerinnen", sagt Minister Totschnig. Die Bilder, die man in Berlin derzeit sehe, "bewegen uns". Totschnig hat ein Argument im Gepäck, das auch bei Österreichs Landwirtschaftsvertretern oft zu hören ist: "Viele Bauern haben den Eindruck, dass sie sekkiert werden." Was Totschnig meint, sind auch viele neue Regelungen, die mit dem Green Deal der EU verbunden sind. Die EU habe sich "stärker weg von den vier Grundfreiheiten zu den zehntausend Regulierungen" entwickelt, sagt der Minister.

Protestzug von Bauern mit Traktoren in Berlin
Zu Wochenbeginn gab es Straßenblockaden von verärgerten Bauern und Bäuerinnen in Berlin.
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Noch nie war das Eis, auf dem sich die heimischen Agrarvertreter bewegen, so dünn. In Wien springt bekanntlich die FPÖ auf das Thema auf. Wer sich hier bei den Branchenvertretern in Berlin umhört, vernimmt, dass man eigentlich schon früher damit gerechnet hat. Es ist der rot-weiß-roten Agrarspitze sichtlich wichtig, sich von den Positionen der FPÖ abzugrenzen. Während die Blauen "raus aus dem Green Deal" der EU wollen, fordert Totschnig eine "Kurskorrektur auf EU-Ebene" – und nennt etwa das Thema Laborfleisch, wo man auf EU-Ebene einen Antrag auf Regulierung einbringen wolle.

Damoklesschwert Ukraine-Beitritt

Die EU habe "ihre Ziele nicht der Realität angepasst", sekundiert LK-Chef Moosbrugger. "Auch wenn manches in seiner Heftigkeit abzulehnen ist", man verstehe und solidarisiere sich mit den deutschen Bauern. Höhere Ansprüche zu stellen, mehr von den Bauern zu verlangen und gleichzeitig günstige Preise zu fordern, "das ist ein gefährlicher und scheinheiliger Weg", sagt Moosbrugger.

Und noch ein Thema kommt aufs Tapet, ganz abseits des Pressetermins: das Öffnen der Tür für die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Schon jetzt schwebt das Damoklesschwert eines neuen Mitglieds mit beachtlicher Landwirtschaft über der gesamten Branche in Europa. Die Sorge ist, dass ein Mitglied wie die Ukraine mit viel Agrarindustrie und riesigen Betrieben am finanziellen Kuchen im Agrarbereich mitnaschen will und andererseits die EU mit günstigen Produkten überschwemmt.

Bei Getreidebauern etwa geht schon jetzt die Sorge vor Getreideexporten um. Die zollfreien Ukraine-Exporte blieben zwar in äußerst geringem Ausmaß in Österreich hängen, trotzdem bekamen auch die heimischen Landwirte das Abkommen zu spüren. Der Exportumsatz von Getreide ging im Zeitraum Jänner bis September 2023 um knapp zwölf Prozent zurück. Das Minus bei den Absatzmengen war fast ebenso groß. Es ist wie immer ein komplexer Mix, der Preise und Absatzmengen bestimmt, globale Wetterereignisse und Ernten spielen da etwa mit. Dennoch: Die Angst der Landwirtschaft vor einem neuen Konkurrenten in ohnehin angespannten Zeiten ist groß. All das schwingt hier mit, wenn es um die unsichere Zukunft der Betriebe geht.

Freihandelsabkommen im Visier

Denn die Liste der Unwägbarkeiten ist ohnehin noch viel, viel länger, sagt Bauernbund-Präsident Georg Strasser in Berlin. "Wir wollen uns ein ökologisches Paradies erschaffen und gleichzeitig den Rindern aus Südamerika das Tor öffnen", das gehe sich nicht aus, richtet Strasser nun Brüssel aus. Wieder einmal geht es um das geplante Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten.

Totschnig betont einmal mehr, dass man einen ganz anderen Zugang zur EU habe als die FPÖ: "Wir stehen zum Green Deal, aber wir brauchen realistischere Ziele." Man werde die Probleme "nicht auf der Straße lösen", richtet Moosbrugger aus. Diesmal richtet sich die Botschaft wohl gen Wien. Daheim hat man indes bekanntlich noch ganz andere Probleme. Die führen zurück zum Schwein. Die Vollspaltenböden müssen bekanntlich früher aus den Schweineställen weichen. In Österreich hat die Agrarspitze jetzt die Schweinebranche am Hals. Bis zum Frühjahr will man sich auf eine neue Frist einigen. (Regina Bruckner aus Berlin, 19.1.2024)