Er konzipierte die erste Fußgängerzone in Wien, steht für zukunftsweisende Verkehrskonzepte und ist der Erfinder des Gehzeugs – ein Rahmen in der Größe eines Autos, den er sich umhängte, um den Platzverbrauch eines Autos zu demonstrieren. Bei den Klimaprotesten wurde das Gehzeug wieder aufgegriffen, was eine bessere Idee sei als das Anpicken auf der Straße, findet er, der seine Studierenden in Pflichtübungen in den Rollstuhl setzte. Hermann Knoflacher, ein Planer, der für die Menschen und die Natur gearbeitet hat. Das Auto habe sich, so gibt es auch der Titel seines neu aufgelegten Buches wieder, wie ein Virus verbreitet. Er erkannte, dass breitere Straßen zu höheren Geschwindigkeiten führen, Straßen, auf denen man schneller fahren kann, zu mehr Zersiedelung. Er würde Autos lieber am Rand der Städte und Ortschaften abstellen – dann gäbe es nämlich auch keinen Grund mehr, die Öffis um viel Geld unter die Erde zu verschieben. Wiederholt sagte er, der Lobautunnel sei ein Umweltverbrechen, das nicht zu einer Stadt mit einem Nationalpark passe.

Hermann Knoflacher mit einem Rahmen, so groß wie ein Auto, das er auf seinen Schultern trägt.
Hermann Knoflacher mit seinem Gehzeug, das den Platzverbrauch eines Autos zeigt. Persönliche Angriffe steckt er leicht weg, weil sie für ihn ein Zeichen dafür sind, dass dem Angreifer Sachargumente fehlen.
Hermann Knoflacher

STANDARD: Warum ist Ihnen das Auto so verhasst?

Knoflacher: Das ist eine gewohnte Frage, die dadurch entsteht, dass das Selbst zum Auto und das Auto zum Selbst wird. Eine Folge des Autovirus. Ich habe zum Auto keine emotionale Beziehung dieser oder anderer Art, weil es für mich ein technisches Gerät ist, eine Maschine, wie eine Kreissäge, Schleifmaschine oder ein Staubsauger.

STANDARD: Das Auto hat auch viel Gutes geschaffen. Hätten wir heute ohne Auto den gleichen Wohlstand?

Knoflacher: Sicher nicht den gleichen, aber einen anderen und sicher nachhaltigeren.

STANDARD: Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass das Auto so ein durchschlagender Erfolg wurde?

Knoflacher: Es befreit uns nicht nur von der Mühsal des aufrechten Ganges, sondern auch von vielen damit verbundenen sozialen und kulturellen Leistungen und Zwängen einer menschlichen Gesellschaft. Vor allem wird der Zwang zur geistigen Mobilität der Fußgänger durch mühelose räumliche Mobilität mit enormem Aufwand an Energie und Zerstörung unserer Umwelt kompensiert, was wir aber mit dem Auto im Hirn gut finden. Das Motto "Wer es nicht im Kopf hat, kann es mit dem Auto kompensieren" ist für das Hirn zu verlockend.

STANDARD: Was wäre, wenn die Allgemeinheit das gesamte Geld, das in das System Auto geflossen ist, in den Auf- und Ausbau des öffentlichen Verkehrs gesteckt hätte?

Knoflacher: Mit einem Bruchteil hätte jedes Dorf und jede Stadt einen perfekten und intelligenten öffentlichen Verkehr.

STANDARD: Sie nehmen sich in Ihrem Buch den ersten Paragrafen der Straßenverkehrsordnung (StVO) genauer vor und erkennen, dass er falsch interpretiert wird. Wie wäre es richtig, und wann sind wir falsch abgebogen?

Knoflacher: Das kommt daher, weil in Paragraf eins zwar steht, dass das Gesetz für solche Straßen gelte, "die von jedermann unter den gleichen Bedingungen benutzt werden können". Aber in der Folge wird das nur zugunsten des Autos ausgelegt, was, als die StVO entstand, der Zeit geschuldet war.

STANDARD: Sie sagen sogar, dass die StVO die Menschenrechte beschneidet. Ist das nicht ein wenig weit hergeholt?

Knoflacher: Nur dann, wenn man zum Beispiel Artikel eins, zwei und drei der UN-Menschenrechte und die Realität im heutigen Straßenverkehr nicht versteht und einverstanden ist, dass in diesem System jährlich 1,2 Millionen Menschen getötet und 20 bis 60 Millionen verletzt werden.

STANDARD: Sie geben dem Auto die Schuld an verödeten Ortskernen. Wäre es ohne Einkaufszentren wirklich besser?

Knoflacher: Das Auto als Gerät kann keine Schuld haben, es sind die Menschen, die durch ihren Hang zur Bequemlichkeit in immer mehr Abhängigkeiten geraten, wie von den Einkaufszentren.

STANDARD: Sie sprechen sich auch gegen Umfahrungsstraßen aus, die den Verkehr in den Orten beruhigen sollen. Wie erklären Sie das jemandem, der in einem Dorf mit hoher Transitverkehrsbelastung lebt?

Knoflacher: Leider haben überall, wo man das gemacht hat, die Belastungen aus dem Transitverkehr nicht ab-, sondern zugenommen. Es ist das gleiche Gesetz wie bei Lawinen, die man auch nicht dadurch beherrscht, dass man einen neuen Lawinenstrich durch den Wald schlägt, sondern Widerstände einbaut.

STANDARD: Sie sprechen sich gegen verpflichtende Stellplätze von Autos bei Neubauten aus. Wären Sie stattdessen für eine Verpflichtung für Kinderzimmer?

Knoflacher: Wenn man Kinder für die Zukunft für wichtiger hält als Autos, auf jeden Fall.

STANDARD: Sie haben schon 1975 mit dem Gehzeug sehr provokant auf den Platzbedarf des Autos hingewiesen. Was haben Sie damit bewirkt?

Knoflacher: Offensichtlich setzt das die geistige Mobilität in Bewegung und öffnet die Augen, was vor sich geht. Sonst würde das Gehzeug nicht weltweit kopiert und eingesetzt werden.

STANDARD: Unter welchen Umständen würden Sie sich für den Bau einer neuen Straße aussprechen?

Knoflacher: Die Frage stellt sich bei uns nicht, weil wir schon seit Jahrzehnten zu viele Straßen gebaut haben.

STANDARD: Was sind die fünf großen Stellschrauben, an denen Sie drehen würden, dürften Sie über die globale Verkehrsplanung entscheiden?

Knoflacher: Ich halte nichts von globalen Lösungen, sondern von menschlichen. Es ist die gleiche Therapie wie bei den Viren: das Ankoppeln an die Zellen verhindern, in diesem Fall die Abstellplätze aus den menschlichen Siedlungen an den Rand verlegen. Das löst nicht nur die Probleme im Verkehr.

STANDARD: Besitzen Sie ein Auto?

Knoflacher: Seit über 20 Jahren nicht mehr. Die Umsetzung meiner Forschungsergebnisse, heute durch Mitarbeiter und Absolventen, erleichtert meine Mobilität wie nie zuvor. Was einst als Illusion bezeichnet wurde, ist heute zum Teil längst Realität. (Guido Gluschitsch, 22.1.2024)