Im August 1756 überfällt Friedrich der Große Sachsen. Alle flüchten, nur nicht die Gräfin von Brühl (Bild).
Universitätsbibliothek Leipzig

Mit Krieg hatte keiner gerechnet. Wohlleben und Vergnügungslust beherrschten die führenden Schichten der Gesellschaft. Das Militär hingegen wurde karg gehalten. Als der Gewaltherrscher wider jede allgemein anerkannte Friedensordnung, einzig mit dem Recht des Stärkeren, in das Land einmarschierte, war man nahezu wehrlos. Die verbündeten Österreicher, sehnlichst als Entsatzheer erwartet, waren säumig. Man war einem mutwilligen Okkupanten nahezu hilflos ausgeliefert.

Es geht um Sachsen 1756. Seit Ende August herrschte dort Krieg. An der Festung Königstein bei Pirna schlug Preußens Friedrich II. die vom Überfall überraschte sächsische Armee vernichtend aus dem Feld. Mit verheerender Willkür fiel er in Leipzig und Dresden ein. Der Siebenjährige Krieg hatte begonnen.

Eine historische Anekdote

Furcht und Schrecken verbreitete Friedrichs Soldateska im ganzen Land. Der Herrscher Sachsens, Friedrich August II., und sein führender Minister Reichsgraf Brühl waren nach Warschau geflohen. Es war eine Frau, die dem Usurpator am entschlossensten die Stirn bot.

Die Gattin des Ministers, Reichsgräfin Maria Anna Franziska von Brühl, war in Dresden geblieben und musste die Zerstörung der als "Elbflorenz" vielgepriesenen Stadt und ihrer Prachtbauten miterleben. In dieser Lage verspürte die Reichsgräfin die heftige Mahnung ihres Gewissens: "Gleichgültigkeit wird zur Schuld." Sie begriff: Widerstand gegen den despotischen Friedenszerstörer war dringend geboten.

Es ist eine historische Anekdote, auf die sich Hans Pleschinski in seinem Roman stützt. Vor allem die geheimen Tagebücher des preußischen Hofchronisten Graf Lehndorff, aber auch zeitgenössische Stiche berichten von einem Giftanschlag auf den Preußenkönig, der tatsächlich stattgefunden hat. Bis heute teilen namhafte Historiker Lehndorffs Annahme, die Reichsgräfin Brühl sei die Hauptakteurin der Verschwörung gewesen.

Hans Pleschinski, "Der Flakon". Roman. € 26,– / 360 Seiten. C.-H.- Beck-Verlag, 2023
C.H. Beck

Farbenprächtiger Stoff

Für den geschichtlich versierten Erzähler Hans Pleschinski ist das Komplott ein farbenprächtiger Romanstoff, den er weidlich zu nützen weiß. So lässt er die zu allem entschlossene Reichsgräfin gemeinsam mit ihrer Kammerzofe Luise von Barnhelm und einem jungen preußischen Offizier namens von der Marwitz die beschwerliche Kutschfahrt von Dresden nach Leipzig antreten, wo Friedrich sein Quartier aufgeschlagen hat.

Ihr Inkognito auf der Reise ist der Name einer österreichischen Hofdame: Gräfin Clam-Gallas. In ihrer Handtasche führt die adlige Rebellin einen Flakon mit dem Gift Tufania mit sich, eine bewährte Mischung aus Belladonna, Arsen und Blei. Ein paar Tropfen davon sollten in Friedrichs Tasse heißer Schokolade eine tödliche Wirkung entfalten. Doch wer wird Zutritt zu dem Despoten haben? Die Reichsgräfin Brühl ist es nicht, dazu ist ihr Mann zu sehr Erzfeind des Preußen.

Informationen bekam man laut Pleschinski auch in Dresden am besten über die Wiener Zeitung: "Die war das zuverlässigste Nachrichtenblatt im Reich." Also weiß die Reichsgräfin: In Leipzig warten die berühmten Gelehrten und Dichter Gellert und Gottsched auf eine Audienz bei Friedrich. Auf sie setzt die Verschwörerin ihre Hoffnung.

"Man lässt Konfekt servieren"

Auf der Kutschfahrt von Dresden nach Leipzig lässt Pleschinski die Fahrgäste allerlei Zeitbezogenes besprechen. Hier ist der Erzähler ganz in seinem Element. Es ist die Blütezeit der deutschen Aufklärung, die ihm die Stichworte für viele historische Anspielungen liefert, für Belangvolles und zuweilen auch Belangloses. Indes, Abschweifungen sind hier das Erzählprinzip. Die Gesprächskultur der Zeit wird atmosphärisch dicht auferweckt, Kleider- und Tischsitten schlüssig beschrieben. "Man lässt Konfekt servieren."

Der Roman ist durchsetzt mit Parallelen zur Jetztzeit. Ziemlich aufdringlich schmuggelt der Autor etliche heutige Bezüge ins Geschehen. Es ist eine konstruierte Historie, die Pleschinski erzählt.

Überraschend, wer dann den Giftanschlag tatsächlich ausführt. Alle zuvor Genannten sind es nicht. Pleschinski hält sich hier an die Quellen, die wenig Zweifel zurücklassen.

Ein amüsantes Erzählstück. Bildungssatt. (Oliver vom Hove, 20.1.2024)