Jeremy Allen White lässt über New Yorks Dächern die Hosen runter. Der Applaus ist ihm sicher.
Mert Alas / Calvin Klein

Schauspieler Jeremy Allen White stürmt die Treppe eines New Yorker Wohnhauses hinauf, reißt sich das Unterhemd vom Körper, entledigt sich seiner dunklen Shorts, um nur in Unterhose, Sneakern und Tennissocken bekleidet auf dem Dach des Gebäudes auf und ab zu tigern. Kurz nachdem das Video zur aktuellen Kampagne des New Yorker Wäscheunternehmens Calvin Klein Anfang Jänner online gegangen ist, ist bereits klar: Der Mann in der weißen Unterhose wird zum viralen Hit.

Kein Wunder, die Kamera klebt an dem muskulösen Oberkörper und den trainierten Oberschenkeln des Schauspielers, der zuletzt in "The Bear" als Koch die Messer wetzte und im Wrestling-Film "The Iron Claw" in den Ring stieg. Der Marke ist ein Werbecoup gelungen. Das erste Insta-Posting auf dem Account von Calvin Klein bekommt über 1,7 Millionen Likes und sechs Herz-Emojis von Emmanuelle Alt, der ehemaligen Chefredakteurin der französischen "Vogue". Die Beteiligten dürften sich die Hände gerieben haben: Innerhalb von nur zwei Tagen erreichte die Werbung einen medialen Wirkungswert von 12,7 Millionen US-Dollar.

Jeremy Allen White in Calvin Klein Underwear | Spring 2024 Campaign
Calvin Klein

Um die Wäsche

Eine knappe Woche später ist die Marke Calvin Klein schon wieder im Gespräch. Und wieder geht es um die Wäsche. Oder besser: die Körper in der Wäsche. Doch diesmal ist die Begeisterung weniger groß. Die Aufsichtsbehörde Advertising Standards Authority (ASA) verbietet nämlich in Großbritannien ein Motiv aus der CK-Frühjahrskampagne 2023. Zu sehen ist darauf, nein, kein halbnackter Mann, sondern die unbekleidete britische Musikerin FKA Twigs: Über die linke Schulter hat sie ein Jeanshemd geworfen, zu sehen ist ein Teil der Brust und des Gesäßes. Der Untertitel der Werbung lautet "Calvins or nothing".

Die ASA sieht FKA Twigs zum Sexobjekt degradiert. Die Künstlerin sieht die Sache allerdings völlig anders. Die Britin, die der Veröffentlichung des Kampagnensujets zugestimmt hat, widerspricht auf Instagram umgehend dem Vorwurf der Objektifizierung. Das Bild zeige, erklärt sie, eine selbstbestimmte Frau.

Und sie deutet an, als schwarze Frau anders bewertet zu werden. "Ich sehe eine wunderschöne, starke Woman of Colour", schreibt sie und verweist auf die Selbstdarstellung von Künstlerinnen wie Josephine Baker, Eartha Kitt und Grace Jones. Ihr Statement erntet auf Instagram 357.000 Likes. Im Nachgang bedankt sich FKA Twigs bei der Marke und den Fotografen Mert Alaş und Marcus Piggott, sich so ausgedrückt haben zu können, wie sie es wollte. Der Popstar hatte in der Vergangenheit immer wieder für Calvin Klein geworben.

Offenbar wird auch 2024 noch mit zweierlei Maß gemessen. Und das selbst im Fall zweier prominenter Menschen: Der nackte Schauspieler wird in der Werbung und in den Social-Media-Kanälen für seine Muskeln bewundert. Der (im Übrigen ebenso trainierten) Musikerin wird die selbstbewusste wie -bestimmte Inszenierung ihres Körpers nicht abgenommen. Gewinner all der Debatten ist jedenfalls – eh klar – der US-amerikanische Wäschehersteller. So viel Aufmerksamkeit gab's seit Jahren nicht mehr. (Anne Feldkamp, 19.1.2024)