Schlaflos Oper Graz
Die Protagonisten der Opernballade werden in Graz in den 1980er-Jahren am Bahnhof Zoo Berlin verortet.
Andreas J Etter

Eine hochschwangere junge Frau. Kein Platz zum Ausruhen. Schon gar keiner zum Gebären. Wie der Josef in der Weihnachtsgeschichte ist auch der junge Bursche kein Gewalttäter. Eigentlich. Die Morde – an dem Bootshausbesitzer, der sie verjagt, an der abweisenden Mutter der schwangeren Freundin und an einer gehässigen alten Frau – sind die scheinbar einzige Möglichkeit für Asle, seiner Freundin Alida wenigstens für ein paar Momente Ruhe zu verschaffen.

Die Opernballade Sleepless (Schlaflos) des ungarischen Komponisten Peter Eötvös wurde 2021 in Berlin uraufgeführt. Das Werk basiert auf dem Libretto von Mari Mezei nach dem Roman Trilogie des norwegischen Nobelpreisträgers Jon Fosse. Die Oper Graz bringt dieser Tage die erst zweite Produktion des Werks – im Triumph – auf die Bühne und hat dafür bei Errico Fresis eine deutsche Textfassung in Auftrag gegeben. Der ein wenig nordisch-mythisch angehauchte Text, mit wiederkehrender Beschwörung glitzernder Fjorde und springender Lachse, bekommt auf Deutsch einen märchenhaft-wagnerischen Touch.

Brennende Aktualität

Regisseur Philipp M. Krenn und die Ausstatterinnen Heike Vollmer und Regine Standfuss verorten die Geschichte in den 1980ern am Bahnhof Zoo Berlin, in einer in die Kostümdetails hinein anschaulich wiedererweckten Welt der Drogensüchtigen Christiane F.

Dieser Unort ist der Ausgangspunkt für die imaginär bleibende Flucht der Liebenden in eine bessere Welt. Die Sehnsucht Alidas nach "dem Haus der Mutter an dem Hang" führt zu einer Plakatwand, hinter der sich die kleinbürgerliche Behausung der adretten Mama befindet: "Die Mutter sang niemals für mich." Ob Bahnhof oder Riesenlachs auf der Bühne, wie bei der Uraufführung: Schlaflos ist brennend aktuell. Wobei Text und Musik jeder simplifizierenden Aktualisierung diametral entgegenstehen.

Beängstigend pulsierende Momente

Das Grazer Philharmonische Orchester brilliert unter der Leitung seines Chefdirigenten Vassilis Christopoulos mit den in betörender Ruhe schillernden Klangflächen wie mit den beängstigend pulsierenden Momenten. Die Sopranistin Tetiana Miyus als Alida und der Tenor Mario Lerchenberger als Asle sind zwei wunderbare Sängerdarsteller, von deren Text man jedes Wort versteht. Daeho Kim brilliert als der undurchschaubare Asleik, der nach der Ermordung Asles das Mädchen bei sich aufnimmt. Sechs Vokalistinnen, als Doppelterzett in den Proszeniumslogen postiert, bescheren als Alidas innere Stimme Momente höchster Vokalkultur.

Alidas Schlussmonolog als alte Frau, die ihrer ersten Liebe in den Tod folgt, rührt zu Tränen und bleibt zugleich unsentimental. Ein Meisterwerk, meisterlich umgesetzt. (Heidemarie Klabacher, 19.1.2024)