Die Verunsicherung in der Bauernschaft wächst. Das ist ein Nährboden für Konflikte, den auch die FPÖ zu nutzen weiß. Ihrem Aufruf zum Aufstand in Österreich folgten bisher jedoch nur wenige.
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Elf Traktoren stehen sechs Polizeiautos gegenüber. Tröpfchenweise füllt sich der Ballhausplatz. "Gehts ummi, damit es voller aussieht", tönt es aus spärlich besetzten Reihen. "Is des ois an Bauern? Na dann schau ma schlecht aus", seufzt eine rüstige Dame.

Sie sei gekommen, um Landwirten, deren Leistung nicht honoriert werde, die quasi enteignet würden und Genfleisch aus dem Labor vorgesetzt bekämen, Solidarität auszudrücken, sagt sie, rückt jedoch sogleich ihr eigentliches Anliegen ins rechte Licht: den Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation.

Die WHO wolle die Menschheit vernichten, verrät sie, ehe sie den "Impfzwang" wie die "Lügenpresse" verteufelt und Österreichs Neutralität "mit Füßen getreten" sieht.

Gleichgesinnte patrouillieren gemessenen Schrittes zwischen wenigen gestandenen Bauern. Zwischendurch wird mittendrin eine Reichsfahne aus- und wieder eingerollt.

Ein älterer Herr mischt sich rege in landwirtschaftliche Debatten ein, verliert sich aber rasch in Theorien über Außerirdische, geheime Politabkommen, gezielt provozierte Hungersnöte und Corona-Schwindel. Er erntet beifälliges Nicken.

"Trittbrettfahrer"

Das seien Trittbrettfahrer, quittiert eine Truppe an Jägern knapp und rollt genervt mit den Augen. Sie selbst seien hier, weil sie selbst erlebten, wie Landwirtschaft scheibchenweise beschnitten werde und Bauern durch "unsinnige Auflagen" von den Höfen vertrieben würden.

Die FPÖ rief im Herzen Wiens zur Demonstration gegen die "Knechtschaft"von Bauern. Gefolgt sind dem Ruf wenige. Manches Kamerateam sucht echte Lebensmittelproduzenten wie die Nadel im Heuhaufen.

FPÖ rief zum Bauernprotest auf
APA

Er habe versucht, 60 Bauern seines Umfelds zu mobilisieren, erzählt ein Waldviertler. Keiner habe sich getraut, was der Landwirt der Macht des Bauernbundes und der ÖVP zuschreibt. Er selbst sei kein Rechter, versichert er, sondern hier, weil es seiner Branche miserabel gehe.

"Täglich weniger Betriebe"

"Jeden Tag sperren sieben Betriebe zu. Wie lange sollen wir noch auf bessere Zeiten warten?" Er habe alle Gesetze, die er als Bauern einhalten müsse, ausgedruckt. "Der Stapel an Papier war einen Meter hoch."

Zwei Bäuerinnen warnen auf Taferln aus Karton vor Insekten, Würmern und Kot im Essen. Wichtiges Anliegen ist ihnen auch die "Klimalüge". Sekkiert würden ihre Betriebe vom Wildwuchs an Auflagen und Kontrollen. Durch erzwungene Flächenstilllegungen werde man zum Unkrautzüchten verdammt, klagen sie. Zugleich müssten sie für einen Liter Diesel gut vier Liter Kuhmilch verkaufen. Eine Zukunft der Kinder lasse sich darauf nicht aufbauen.

"Am Scheideweg"

"Wir stehen am Scheideweg", gibt ein Winzer und freiheitlicher Funktionär zu bedenken. "Lassen wir unsere Landwirtschaft bestehen, oder essen wir lieber Insekten und Laborfleisch?" Der Green Deal minimiere die Einkommen der Bauern. Schon jetzt könne ein Drittel seine Sozialversicherung nicht mehr bezahlen. In der ÖVP seien ja keine schlechten Menschen, räumt er ein. Fatal sei jedoch die enge Vernetzung mit Raiffeisen. Diese vergleicht er mit "einem Totengräber, der die Interessen eines Unfallchirurgen" vertritt.

Trommelwirbel und Glockenläuten lassen den Höhepunkt der Proteste erahnen. Erst betont ein Landwirt als Vorsprecher die Überparteilichkeit der Veranstaltung.

Dann holt Peter Schmiedlechner, Agrarsprecher der FPÖ, zum Rundumschlag aus. Konsumenten würden abkassiert, Bauern ruiniert und Lebensmittel importiert, donnert er in das Publikum. Er empört sich über Satellitenüberwachung, zieht gegen Getreide aus der Ukraine und Fleischersatz aller Art ins Feld.

Bauern als Knechte?

Wifo-Experte Franz Sinabell wertet die Demo als Versuch einer politischen Bewegung, neue Wählerstimmen zu sammeln. Den Slogan "Bauern sind keine Knechte" hält er für kontraproduktiv. Kein Landwirt lasse sich von Funktionären was anschaffen, schon gar keinen Aufmarsch auf dem Ballhausplatz.

Dass die Bauernschaft verunsichert sei, liegt für ihn jedoch auf der Hand. Die Preise seien volatil, die Energiekosten hoch. Zugleich müsse die Landwirtschaft erklären, warum sie Treibhausgase freisetze. Was lange nur die Wissenschaft und Forschung beschäftigte, treffe mittlerweile jeden einzelnen Betrieb.

In einem Jahr lege die EU-Kommission ihre Pläne für Änderungen in der Agrarpolitik ab 2028 vor. Weichenstellungen sind stets Herausforderung und Quell für aufgeheizte Stimmung. Nicht anderes passierte während der Abschaffung der Quoten für Milch und Zuckerrüben oder der Einführung von Direktzahlungen, zieht Sinabell Bilanz.

"Kein glaubwürdiger Partner"

Traditionelle Rebellen, die in Österreich keinen Konflikt scheuten, um für Anliegen der Bauern auf die Straße zu gehen, finden sich nicht in der Garde der Demonstranten.

Die FPÖ sei für die Landwirte kein glaubwürdiger Partner, sagt Ernst Halbmayr. Der Mitbegründer der IG Milch, die für faire Milchpreise kämpft und unter der Bauernschaft rund 1000 Mitglieder zählt, vermisst klare Forderungen.

"Die tatsächlichen Probleme werden nicht aufgezeigt." Den Green Deal abschaffen zu wollen sei völliger Blödsinn. "Natürlich ist die Landwirtschaft klimarelevant und wird ihren Anteil leisten müssen."

Schlechte Stimmung

Dass die Stimmung schlechter sei denn je, daran lässt Halbmayr keine Zweifel. Erst seien die Weichen auf Wachstum gestellt worden, nun drehe der Wind in die andere Richtung, ohne Betrieben gesetzliche Sicherheit zu geben. Gebetsmühlenartig werde weniger Bürokratie versprochen, jedes Jahr aber flatterten neue Formulare auf den Tisch.

Auch Leo Steinbichler, früherer Politiker, Landwirt und Agrarrebell, ist auf dem Ballhausplatz nicht mit von der Partie. Ihm fehlen gezielte Anliegen mit klaren Fristen, sagt er. Gründe für einen Aufstand sieht er dennoch viele, denn "der Plafond der Belastbarkeit" der Bauern sei erreicht. "Was, glauben Sie, wäre los, wenn die ÖVP nicht in der Regierung wäre? Dann wäre der Bauernbund längst auf der Straße."

Nicht lange ist es her, da machte die FPÖ Wien gegen den "Demo-Wahnsinn" mobil: Auf Orte wie die Donauinsel gehörten sie verbannt. Für die Kosten des Polizeiaufgebots sollten Veranstalter aufkommen.

"Braucht es hier Polizei?", fragt eine Demonstrantin. "Ist doch alles friedlich. Wir sind keine Radikalen." (Verena Kainrath, 19.1.2024)