Double-Sieger von Kitzbühel: Cyprien Sarrazin.
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Cyprien Sarrazin hat mit seiner fabelhaften Darbietung bei seinem erst 14. Abfahrtsstart am Samstag auf der Streif an die perfekte Fahrt von Stephan Eber-harter 2004 erinnert, er gewann 0,91 Sekunden vor dem Schweizer Marco Odermatt. Um seine Glanztat entsprechend zu zelebrieren, hüpfte er nach dem Abschwingen auf die luftgepolsterte Absperrung im Zielraum und genoss in Siegespose den außergewöhnlichen Moment. Und weil Sarrazin auch am Freitag nicht zu bezwingen gewesen war, hat 29 Jahre nach Luc Alphand wieder ein Franzose das Double bei den Hahnenkammrennen geholt.

Nach dem zweitschlechtesten Abschneiden in der Kitzbühel-Geschichte am Freitag zeigten sich die Österreicher verbessert. Stefan Babinsky (+1,69) raste als Vierter überraschend nur um 25 Hundertstel am Podest vorbei, Vincent Kriechmayr (1,73), am Freitag als Siebenter bester, wurde Sechster.

Nach seinem Coup am Samstag ließ der eigentlich recht ruhige Typ Sarrazin seinen Emotionen freien Lauf.
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Der rasante Aufstieg des 29-jährigen Franzosen aus Gap im Département Hautes-Alpes ist verblüffend. Der eigentliche Riesentorlaufspezialist lieferte seit seinem Weltcupdebüt in der Kombination 2016 in Chamonix wesentlich mehr mittelprächtige Ergebnisse und Ausfälle denn respektable Ergebnisse. Bei zwei Drittel seiner Rennen flog er raus oder qualifizierte sich nicht für den zweiten Lauf. Bis er am 19. Dezember 2016 völlig überraschend den Parallel-Riesenslalom in Alta Badia gewann. Initialzündung? Fehlanzeige! Er punktete danach kaum, ehe er 2019 im Riesentorlauf zu Alta Badia als Zweiter erneut auf ein Podium stieg, danach folgte wieder eine Flaute.

Prägendes Aha-Erlebnis

Im Sommer 2022 trainierte er erstmals mit Frankreichs Speed-Abteilung. Ohne bis 28 jemals an einem Abfahrtstraining teilgenommen zu haben, fuhr er in seinem erst zweiten Zeitlauf Bestzeit und kam auf den Geschmack. Vergangene Saison kam er in den Speeddisziplinen zweimal in die Top Ten, viermal wurde er abgeworfen.

Als Kind bestritt er mit dem Mountainbike Downhillrennen und fand Gefallen an der Geschwindigkeit und an der Suche nach der schnellsten Linie. Auf Skiern zu trainieren reizte ihn lange nicht, sehr wohl aber frei zu fahren, auch als Snowboarder und als Freestyler. Gelegentlich nahm er als Jugendlicher, betreut von seiner Mutter, weil sein Vater als Trainer beschäftigt war, an Skirennen teil. Er lauschte den Anweisungen anderer Trainer, während seine Mutter versuchte, sich das Knowhow der Skipräparierung abzuschauen.

Im Weltcup angekommen, fiel der ruhige Typ durch seine riskante, oftmals von gravierenden Fehlern begleitete Fahrweise auf. Er sei in manchen Momenten abwesend gewesen, erzählte er in Kitzbühel. Und er fühlte sich nicht wohl dabei, wie er Rennen bestritt, bekam es sogar mit der Angst zu tun. Dennoch fuhr er in Gröden 2022 mit Startnummer 61 auf Rang sechs, 2023 zeigte er als Zehnter in Kitzbühel auf, ehe er tags darauf abflog.

"Erlaube es dir!"

Eine Rückenverletzung verhinderte seine Teilnahme an der Heim-WM in Courchevel/Méribel. Als er dann auch im Privatleben Probleme bekam, begann er, an seinem Mindset zu zweifeln. Nachdem er sich zunächst gewehrt hatte, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, lenkte er ein. Eine Psychologin half ihm, Blockaden zu lösen, zu sich zu finden, nicht zu viel nachzudenken und den Moment zu genießen, erzählte er in Kitzbühel.

Danach klappte auch sein Skifahren plötzlich viel besser, die Trainer hatten kaum mehr etwas auszusetzen. Die Psychologin hatte ihm stets geraten: "Erlaube dir, zu gewinnen!" Vor Bormio hatte er diesen Rat verinnerlicht. Er glaubte nun daran, dass er das Siegen verdient hatte, und feierte tatsächlich seinen Premierenerfolg in der schnellsten Disziplin. Von den vergangenen fünf Abfahrten hat er drei gewonnen, zudem wurde er zweimal Zweiter – geschlagen nur von Odermatt. In Wengen hat er zudem den Super-G für sich entschieden.

Sarrazin mit einem Traumlauf unterwegs zum Double auf der Streif.
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"Ich kann das alles gar nicht begreifen, es ist verrückt, das ist sicher der beste Moment meines Lebens", sagte Sarrazin nach seinem Coup in Kitzbühel. "Ich fahre diese Saison einfach zum ersten Mal in meinem Leben genau so Ski, wie ich lebe."

Nachdem zuletzt der Schweizer Marco Kohler, der Franzose Alexis Pinturault und der Norweger Aleksander Aamodt Kilde in Wengen sowie der Schweizer Rémi Cuche und der Israeli Barnabás Szollos in Kitzbühel mit Stürzen und schweren Verletzungen die Bolzerei wieder einmal in Verruf gebracht hatten, sorgte Sarrazin nun im Positiven für Furore. Doch er weiß, welche Gefahren in seinem Job lauern: "Ich muss demütig bleiben in diesem Sport." (Thomas Hirner, 22.1.2024)