Milch, die in ein Glas gegossen wird
Milch scheint nicht zu schaden, auch wenn man Laktose nicht gut verträgt. Zumindest legt eine neue Studie das nahe.
Getty Images

Es klingt erst einmal absurd: Wer Laktoseintoleranz hat und trotzdem Milchprodukte konsumiert, verringert das eigene Risiko, an Diabetes Typ 2 zu erkranken. Wie soll das gehen?, fragt man sich. Der Milchzucker sorgt doch eigentlich für gesundheitliche Probleme bei den Betroffenen, Bauchschmerzen oder Blähungen etwa? Doch genau das zeigt eine US-amerikanische Studie, die soeben im Fachmagazin Nature Metabolism erschienen ist. Was steckt dahinter?

Der Grund, warum sich Kuhmilch positiv auf die Gesundheit von Menschen mit Laktoseintoleranz auswirken könnte, ist anscheinend die Tatsache, dass die Milch das Wachstum bestimmter Darmbakterien fördert, die den Stoffwechsel positiv beeinflussen. Die Erkenntnis ist dabei ein Zufallsprodukt. Eigentlich war die Untersuchung angetreten, um Klarheit in das Studiendickicht rund um den Zusammenhang von Milchkonsum und Diabetes zu bringen. Doch der Reihe nach.

Den Forschenden vom Albert Einstein College of Medicine in New York und weiteren Institutionen war aufgefallen, dass Ernährungsstudien zu den Effekten von Milchkonsum unter anderem auf Diabetes in unterschiedlichen Ländern zu unterschiedlichen Ergebnissen führten. Sie überlegten, was die Ursache für diese eklatante Verschiedenheit sein könnte, und vermuteten die Laktoseintoleranz – die nicht überprüft worden war. Man weiß aber, dass in Asien die Mehrheit der Menschen keinen Milchzucker verträgt, nämlich zwischen 60 und 100 Prozent. In Europa haben dagegen nur bis zu 40 Prozent der Bevölkerung eine Unverträglichkeit, mit einem Süd-Nord-Gefälle. In den skandinavischen Ländern leiden besonders wenig Menschen daran.

Vergleich über sechs Jahre

Um diese Hypothese zu überprüfen, analysierten die Forschenden bei 12.653 Personen der Hispanic Community Health Study / Study of Latinos (HCHS/SOL), ob sie laktosetolerant (laktasepersistent, kurz LP) oder -intolerant (nicht laktasepersistent, kurz LNP) sind und wie häufig sie Milch konsumieren. Außerdem untersuchten sie das Darmmikrobiom und die Blutmetabolitenwerte über einen mittleren Nachbeobachtungszeitraum von sechs Jahren.

Die Daten zeigen Erstaunliches: Laktoseintolerante Personen, die einen höheren Milchkonsum haben, weisen ein um etwa 30 Prozent verringertes Risiko für Diabetes Typ 2 aus – für laktosetolerante Personen gilt das aber nicht. Sozioökonomische und demografische Parameter ebenso wie Verhaltensfaktoren wurden für die Untersuchung herausgerechnet. Die Ergebnisse validierten die Forschenden mit Daten der UK Biobank.

Bei der Untersuchung zeigte sich eine weitere Auffälligkeit: Eine erhöhte Milchaufnahme ging mit einer Veränderung im Darmmikrobiom einher, im Blut zirkulierten außerdem mehr Abbauprodukte bestimmter Mikroben. Diese Stoffwechselprodukte könnten verstärkt von den milchassoziierten Bakterien produziert worden sein, vermuten die Autorinnen und Autoren, und der Grund dafür sein, warum LNP-Personen mit höherem Milchkonsum ein geringeres Diabetesrisiko haben.

Milch verdauen trotz Intoleranz

Und auch wenn dieser Zusammenhang auf den ersten Blick absurd erscheint, ist er das keineswegs, finden Experten, die selbst nicht an der Studie beteiligt waren. "Die Unverträglichkeit von Milchzucker, die sogenannte Laktoseintoleranz, gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen", weiß Robert Wagner, Stoffwechselexperte am Leibniz-Zentrum für Diabetesforschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Manche Betroffene können etwa durchaus geringe Mengen Laktose verarbeiten. "Manche merken auch gar nicht, wenn sich das Laktase-Enzym, das den Milchzucker im Darm abbaut, nach dem Säuglingsalter zurückbildet. Diese Personen konsumieren in vielen Fällen trotzdem Milch und tolerieren eventuelle Beschwerden wie Blähungen oder Bauchschmerzen." Und bei eben diesen Personen sei die Diabetesinzidenz geringer, wie die Studie klar zeige. Eine weitere Erkenntnis: Laktoseintolerante Personen, die mehr Milch trinken, wurden mit einem niedrigeren Body-Mass-Index (BMI) assoziiert.

Laktosetolerante Menschen zersetzen den Milchzucker bereits im Dünndarm. Bei Laktoseintoleranten dagegen gelangt der Milchzucker in den Dickdarm, erläutert Wagner weiter, "und dort haben die Forschenden verschiedene Bakterienspezies identifiziert, die auf Laktoseabbau spezialisiert sind". Deren Abbauprodukte können sich möglicherweise positiv auf den Stoffwechsel auswirken, etwa durch kurzkettige Fettsäuren, die direkt oder indirekt auf Appetit, Insulinwirkung oder Leberverfettung wirken. "Bei laktosetoleranten Personen könne Milchkonsum dagegen womöglich sogar zu einem gegenteiligen Effekt führen, wie Gewichtszunahme oder Erhöhung des Diabetes-Risiko, weil Milch sehr nahrhaft ist."

Die genauen Zusammenhänge konnten in der Studie nicht nachgewiesen werden, doch es liegt nahe, dass das Mikrobiom im Darm, also die Vielzahl an Mikroben, die dort lebt, so einen Einfluss haben kann. "Das Mikrobiom ist in den vergangenen Jahren verstärkt in den Fokus der Forschung geraten. Dabei stellt sich die Henne-oder-Ei-Frage: Beeinflusst der Diabetes das Mikrobiom oder das Mikrobiom den Diabetes?", sagt Wagner. Diese Studie gebe nun einen Hinweis, dass das Mikrobiom die Diabetesanfälligkeit tatsächlich kausal beeinflussen könnte. Gleichzeitig werde gut veranschaulicht, wie stark das Zusammenspiel von genetischer Veranlagung und Lebensstil das Mikrobiom bestimmt.

Gesunde Flatulenz?

Wagner findet es insgesamt bemerkenswert, dass Lebensmittel, die man vermeintlich nicht verträgt, sogar einen schützenden Effekt haben können. "Ähnlich ist das bei Ballaststoffen, die der menschliche Körper nicht verwerten kann. Man weiß aber von ihnen, dass sie sich positiv auf die Gesundheit auswirken, möglicherweise auch über günstige Beeinflussung des Darmmikrobioms. Blähungen, Darmgeräusche oder ähnliche Symptome, die man von Unverträglichkeiten her kennt, können unter Umständen also auch ein Zeichen für gesundheitsfördernde Prozesse sein."

Lonneke Janssen Duijghuijsen, Ernährung- und Gesundheitswissenschafterin an der niederländischen Wageningen-Universität, warnt allerdings davor, schnelle Rückschlüsse zu ziehen: "Es ist sehr plausibel, dass der Milchkonsum die Zusammensetzung und damit das metabolische Profil beeinflussen kann, insbesondere bei Personen mit Laktoseintoleranz. Da die Laktose aus der Milch im Dünndarm von Personen ohne Laktasepersistenz unverdaut bleibt, dient sie als Energiequelle für das Darmmikrobiom im Dickdarm."

Doch es sei verfrüht, endgültige Schlüsse zu Zusammenhängen mit Typ-2-Diabetes herzustellen. Die Veröffentlichung deute auf einen statistischen, aber keinen kausalen Zusammenhang hin. Man könne deshalb aus der Studie auch keine ausdrücklichen Ernährungsempfehlungen ableiten. "Es handelt sich um eine bevölkerungsbezogene epidemiologische Beobachtungsstudie, aus der keine kausalen Schlüsse gezogen werden können." Für spezifische Ernährungsempfehlungen wäre weitere Forschung nötig, die individuelle Toleranzen, gesundheitliche Auswirkungen und kulturelle Kontexte berücksichtigt. (Pia Kruckenhauser, 24.1.2024)