Das Opfer liegt von drei Beamten fixiert auf einem Gehsteig der Simmeringer Hauptstraße
Am 7. Mai des Vorjahres wurde ein 19-Jähriger bei seiner Festnahme verletzt – widerrechtlich, ist die Staatsanwältin überzeugt.
APA / EVA MANHART

Wien – Staatsanwältin Anja Oberkofler legt bereits ihr Eröffnungsplädoyer im Amtsmissbrauchsverfahren gegen Revierinspektor A. resolut an. Die Anklägerin spricht von einem "gewalttätigen Polizisten", dessen Verteidigung "in das Reich des Märchens zu verweisen" ist und der bei einer Amtshandlung "exzessive Gewalt" ausgeübt habe, durch die ein 19-Jähriger am 7. Mai 2023 eine Platzwunde am Kopf erlitten habe.

Harte Vorwürfe, die Oberkofler aber vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Mathias Funk durch mehrere Videos belegt sieht, die von dem Vorfall auf der Simmeringer Hauptstraße aufgenommen wurden. Zu sehen ist, wie der junge Mann zunächst mit einem Beamten streitet, dann plötzlich von diesem zu Boden gebracht und dort nach einigem Gerangel schließlich fixiert wird. Einer der zu Hilfe geeilten Beamten ist der 34-jährige Angeklagte, der dem bereits in Bauchlage auf dem Gehsteig liegenden Teenager zwei Mal den Kopf aus etwa fünf Zentimeter Höhe auf den Asphalt stößt.

Allerdings: Auch Verteidiger Klaus Heintzinger "ist wirklich froh, dass es diese Videos gibt". Sie sähen beim ersten Betrachten zwar "erschreckend aus", gesteht er zu, würden aber im Endeffekt die Unschuld seines Mandanten beweisen. Denn er habe weder wissentlich seine Befugnisse verletzt noch exzessive Gewalt angewendet.

Unklare Lage nach Mordalarm

Was war an diesem Sonntagnachmittag Anfang Mai geschehen? Zunächst ereignete sich ein Tötungsdelikt in einem Geschäftslokal, bei dem ein Mann erschossen wurde. Die Lage war unklar, es wurde eine großräumige Absperrung rund um den Schauplatz verfügt, uniformierte Polizisten standen auf dem Gehsteig und wiesen die Passanten weg. Davon war auch der 19 Jahre alte S. betroffen, der zu einem Bankomaten wollte und von einem Polizisten daran gehindert wurde. Ungerechtfertigterweise, findet der Teenager, schließlich war bereits eine Dame an dem fünf Meter entfernten Gerät.

Es kam zu einem Wortgefecht mit dem Beamten, im Weggehen sagte S. nach seiner Darstellung "behindert", der Polizist will "behinderte Polizei" und damit eine Anstandsverletzung gehört haben. Nun könnte man meinen, dass die Exekutive in der Situation Wichtigeres zu erledigen habe, der Polizist forderte den 19-Jährigen aber auf, ihm seinen Ausweis zu geben, da er ihn anzeigen wollte. Der 19-Jährige weigerte sich zunächst – hier setzen die ersten Videos ein.

Der Uniformierte und der Teenager stehen sich Gesicht an Gesicht gegenüber, packen sich wechselseitig an den Armen, zu sehen ist auch, dass S. seinen rechten Arm nach hinten und nach oben zieht, worauf er zu Boden gebracht wird. In kurzer Zeit sind andere Polizisten da und versuchen S. zu fixieren.

Beamter will Gleichgewicht verloren haben

Angeklagter A. behauptet, er habe jemanden "Hilfe, Polizei!" schreien gehört, den Tumult gesehen und sei zur Unterstützung hingelaufen, ohne die Hintergründe zu kennen. Dass er den linken Oberarm des Liegenden mit seinem rechten Knie fixierte, ist auf den Aufnahmen zu sehen. Seiner Darstellung nach habe der 19-Jährige sich aber heftig gegen die Festnahme gewehrt, im Zuge dessen habe er das Gleichgewicht verloren und sich auf dem Kopf von S. abgestützt.

Staatsanwältin Oberkofler und Privatbeteiligtenvertreter Clemens Lahner – der auch im Beirat der neuen im Innenministerium angesiedelten "Ermittlungs- und Beschwerdestelle Misshandlungsvorwürfe", die am Montag ihre Arbeit aufgenommen hat, sitzt – halten dem Revierinspektor jedoch vor, dass es kein Ausbalancieren des Gleichgewichts gewesen sei, sondern er mit abgewinkeltem Arm den Kopf wuchtig nach unten gedrückt habe. Und das nicht ein-, sondern zweimal. Zusätzlich ist zu erkennen, dass A. Sekunden vor dem ersten Kontakt mit dem Kopf sich noch im Schulterbereich des Liegenden abstützt. Da bestehe das Risiko des lagebedingten Erstickungstodes, argumentiert der Angeklagte.

Auf die Frage des Vorsitzenden, ob er im Nachhinein betrachtet anders hätte reagieren können, bleibt der Polizist dabei: "Ich sehe keine andere Möglichkeit", erklärt er. Er habe S. nicht verletzen wollen, stellt er klar, aber der habe versucht, sich zu befreien. Der 19-Jährige dagegen beteuert, nur passiven Widerstand geleistet zu haben und nur deshalb geschrien zu haben, um zu beweisen, dass er keine Gefahr darstelle. Auf die Frage des Verteidigers, warum dann zeitweise sechs Beamten damit beschäftigt waren, ihn zu bändigen, antwortet er nicht. Das Recht hat S., sein Verfahren wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt wurde von der Staatsanwaltschaft Wien zwar eingestellt, dennoch müsste er sich mit einer wahrheitsgemäßen Antwort aber selbst belasten.

Der angeklagte Polizist sitzt auf dem Anklagestuhl im Verhandlungssaal.
Dem 34-jährigen Revierinspektor wird Amtsmissbrauch vorgeworfen, der Schöffensenat unter Vorsitz von Mathias Funk muss darüber entscheiden.
moe

Als weitere Zeugen hat Vorsitzender Funk andere beteiligte Polizisten und zwei Passantinnen geladen, die S. als "tobend" und "rabiat" beschreiben. Überrascht müssen Staatsanwältin und Privatbeteiligtenvertreter aber feststellen, dass nicht alle, die Videos aufgenommen haben, darunter auch ein Kamerateam von Puls 4, kommen müssen, obwohl sie von der Staatsanwaltschaft beantragt wurden. Die Argumentation des Vorsitzenden, dass man von diesen ohnehin ihre Filme besitze, kann Oberkofler nicht nachvollziehen. Sie seien unmittelbare Tatzeugen und könnten vielleicht davor oder danach Relevantes beobachtet haben. "Es stellt sich für mich die Frage, warum hier ausgewählte Zeugen befragt werden?", kritisiert sie und ortet eine Verletzung der Waffengleichheit.

Der Senat sieht das zunächst nicht so und weist den Antrag zur Ladung der Zeugen ab. Als im Gegenzug dann die Staatsanwältin darauf besteht, eine an der Aktion beteiligte Polizistin, die sich trotz Ladung entschuldigt hat, persönlich zu hören, muss der Vorsitzende ohnehin auf den 21. Februar vertagen – und gibt plötzlich bekannt, unter diesen Umständen auch die von Oberkofler beantragten Personen ins Gericht kommen zu lassen. (Michael Möseneder, 22.1.2024)