Am Montag kam EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Bosnien-Herzegowina, sie reist danach weiter in den Kosovo und nach Serbien. Begleitet wird von der Leyen vom niederländischen Premier Mark Rutte, der Nato-Generalsekretär werden möchte, und vom kroatischen Premier Andrej Plenković, dessen Regierung sich seit Jahren in die Politik des Nachbarstaats Bosnien und Herzegowina einmischt. Diese Einmischung geschieht vor allem über die kroatisch-nationalistische Partei HDZ, die bei den letzten Parlamentswahlen in Bosnien und Herzegowina 8,75 Prozent der Stimmen bekommen hat, jedoch über ihre konservative Schwesterpartei HDZ in Kroatien erheblichen Einfluss auf die Bosnien-Politik innerhalb der EU, aber auch im Büro des Hohen Repräsentanten, Christian Schmidt, hat.

Der niederländische Premier Mark Rutte besuchte am Montag das Monument für die Opfer des Massakers von Srebrenica.
Der niederländische Premier Mark Rutte besuchte am Montag das Monument für die Opfer des Massakers von Srebrenica.
AP

Lobbying

Diese Einmischung und das permanente Lobbying der HDZ innerhalb der EU und im Amt des Hohen Repräsentanten (OHR) haben dazu geführt, dass die EU und Schmidt Gesetzesänderungen nach Wunsch der HDZ durchführen wollen und bereits durchgeführt haben. So hat Schmidt im Jahr 2022 auf Wunsch der HDZ am Wahltag rückwirkend das Wahlgesetz so geändert, dass die nationalistischen Parteien wie die HDZ und die bosniakische SDA in einer Parlamentskammer proportional besser gestellt wurden. Damit ist eine Regierung ohne HDZ unmöglich geworden. Schmidt kommt aus der bayerischen CSU, von der Leyen aus der deutschen CDU, die gemeinsam mit der HDZ Teil der Europäischen Volkspartei sind.

Die HDZ will aber noch weitere Änderungen zu ihren Gunsten in Bosnien und Herzegowina erreichen. Dabei geht es ihr vor allem um das dreiköpfige Staatspräsidium, in dem ein serbisches, ein bosniakisches und ein kroatisches Mitglied sitzt. Bislang war es möglich, dass auch ein Nicht-Nationalist wie Željko Komšić, der für die Interessen aller Bürgerinnen und Bürger jenseits ihrer sogenannten ethnischen Zugehörigkeit eintritt, ins Staatspräsidium gewählt wird. Die HDZ will jedoch, dass künftig das kroatische Mitglied im Staatspräsidium nur mehr aus der HDZ, also aus den Kreisen der nationalistischen Kroaten gewählt werden kann. Der Chef der herzegowinischen HDZ, Dragan Čović, schlug am Montag vor, dass der kroatische Kandidat für das Staatspräsidium künftig in mindestens drei der fünf Kantone, in denen vor allem Kroaten leben, also dort, wo die HDZ stark ist, erstgereiht sein muss.

Fortschritte

Für das Ansinnen, einen HDZ-Kandidaten vorrangig zu behandeln, bekommt die HDZ schon seit Jahren die Unterstützung der EU, und dies, obwohl die Mitglieder des Staatspräsidiums laut dem bosnischen Verfassungsgericht nicht die drei Volksgruppen (Serben, Kroaten, Bosniaken) vertreten sollen, sondern alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit. Nun gibt es einen neuerlichen Anlauf der HDZ, ihr Ziel zu erreichen. Am 18. Jänner trafen sich Vertreter der bosnischen Regierung in Laktaši, dem Wohnort des separatistischen Pro-Kreml-Politikers Milorad Dodik, dessen Partei SNSD Teil der Koalition ist. Die Regierung gab nach dem Treffen bekannt, dass sie bei den Verhandlungen über Änderungen des Wahlgesetzes erhebliche Fortschritte gemacht habe und dass sie die Angelegenheit im Februar abschließen werde.

Innerhalb der EU wird indes erwogen, mit Bosnien und Herzegowina die Beitrittsverhandlungen zu beginnen, was dazu führen würde, dass das Land mehr Gelder aus EU-Töpfen bekommen würde. Eine reale Beitrittsoption steht indes in den Sternen, denn angesichts der Tatsache, dass etwa mit Montenegro seit zwölf Jahren verhandelt wird und kaum etwas weitergeht, glaubt kaum jemand auf dem Balkan, dass es der EU wirklich ernst ist.

Konkurrenz

Für den Beginn von Beitrittsverhandlungen setzt sich Italien stark ein, andere EU-Staaten stehen auf der Bremse, weil Bosnien und Herzegowina nur sehr wenige der erforderlichen Bedingungen erfüllt hat. Das hat auch mit dem Agieren von Dodik und seiner SNSD zu tun, die etwa verhindern, dass Verfassungsrichter nachbesetzt werden. Dodik will den Staat Bosnien und Herzegowina zerstören und die im Krieg (1992–1995) ethnisch gesäuberte Region Republika Srpska, wo der Genozid gegen die Muslime stattfand, an ein Großserbien anschließen. Deshalb ist ihm vor allem die gemeinsame Justiz auf Staatsebene ein Dorn im Auge.

Dodik ist aber auch gegen technische Maßnahmen gegen Wahlbetrug, die Schmidt umsetzen möchte. Dabei wird Dodik von der HDZ und indirekt von der EU unterstützt, die ebenfalls nicht will, dass Schmidt eingreift. Eine Rolle spielt dabei, dass EU-Vertreter das Amt des Hohen Repräsentanten als Konkurrenz sehen. Innerhalb der EU ist neben Kroatien auch Ungarn sehr aktiv auf dem Balkan.

Umstrittene Kommandoübernahme

Der ungarische General László Sticz übernimmt diese Woche das Kommando für die Eufor-Truppen in Bosnien-Herzegowina, die in den letzten Jahren von Österreichern geführt wurden. Österreich verliert dadurch an Einfluss auf dem Balkan. Die Übernahme durch Ungarn ist umstritten, denn das ungarische Regime unter dem antiwestlichen Populisten Viktor Orbán ist mit serbischen Nationalisten in Serbien, aber auch in Bosnien und Herzegowina verbündet.

So kündigte Dodik am verfassungswidrigen Feiertag der Republika Srpska (RS), der jedes Jahr am 9. Jänner mit Paraden vollzogen wird, an, Orbán den höchsten Orden der RS zu verleihen. And diesem Tag sorgte auch ein österreichischer Soldat der Eufor für einen Skandal. Der Mann war während der Gedenkfeier zum verfassungswidrigen RS-Tag im Gedenkraum für die gefallenen Angehörigen der RS-Armee in Milići anwesend und hielt eine Kerze in der Hand. Er wurde wegen dieses Fehlverhaltens nach Österreich zurückgeschickt.

Milorad Dodik bei der Parade zum Feiertag der Republika Srpska.
Milorad Dodik bei der Parade zum Feiertag der Republika Srpska.
APA/AFP/ELVIS BARUKCIC

Abspaltung droht

Serbische Nationalisten versuchen seit den 1990er-Jahren, ein Großserbien zu schaffen, also die Staaten Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Kosovo zu zerstören oder zu unterlaufen. Bei der jüngsten Parade am 9. Jänner sagte der ehemalige serbische Geheimdienstchef Aleksandar Vulin, der in den Nachbarstaat gereist war, dass man die Grenzen zwischen den Serben in der Region zum Verschwinden bringen solle.

Dodik droht seit Jahren damit, die Republika Srpska von Bosnien und Herzegowina abzuspalten. Kürzlich berichteten Medien, dass der Botschafter von Norwegen in Bosnien und Herzegowina, Olav Reinertsen, dem bosnischen Verteidigungsminister Zukan Helez gesagt habe, dass Bosnien und Herzegowina im Fall einer Abspaltung der RS nicht auf viel Hilfe des Westens rechnen könne. Ein Szenario, das besprochen wird, besagt, dass der Kreml so eine Abspaltung unterstützen könnte. Dodik erklärte jüngst, dass er bereits während der ersten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump die "Unabhängigkeit" der Republika Srpska erklären wollte und nun bedaure, dies nicht getan zu haben. Er drohte kürzlich wieder damit, dass er die RS abspalten werde, falls Schmidt eine Entscheidung über das ungeklärte Staatseigentum treffen werde.

Fragile Situation

Wie fragil die Situation ist, zeigen auch die divergierenden Entscheidungen zur Gasversorgung im Lande. Die USA und andere westliche Kräfte wollen, dass Bosnien und Herzegowina vom russischen Gas unabhängig wird. Deshalb wurde die Anbindung an eine Gaspipeline, die über Albanien und Kroatien verläuft und aserbaidschanisches Gas transportiert, in Auftrag gegeben. Doch die jetzige Regierung in Bosnien und Herzegowina, die vor allem durch amerikanische Diplomaten zusammengezimmert wurde, hat das Projekt noch nicht beschlossen, obwohl sogar US-Außenminister Antony Blinken dies einfordert.

Ganz im Gegensatz dazu wurde hingegen die Anbindung an eine Pipeline mit russischem Gas an Serbien bereits abgesegnet. An diesem Beispiel ist zu sehen, wie die kroatischen Nationalisten der HDZ unter Čović mit den serbischen Nationalisten der SNSD unter Dodik eng zusammenarbeiten und die Entscheidungen der Regierung dominieren. Denn Čović blockiert bisher die Anbindung an das nichtrussische Gas im Süden. Er argumentiert, dass er nicht will, dass die Gesellschaft "BH Gas" mit Sitz in Sarajevo Träger des Projekts wird. (Adelheid Wölfl, 22.1.2024)