Aufnahme eines Virus
Ein koloriertes Elektronenmikroskop-Bild eines Pandoravirus, eines Riesenvirus, das im sibirischen Permafrost gefunden wurde.
Image courtesy of Chantal Abergel / Jean-Michel Claverie] Created by Digital Micrograph, Gatan Inc.

Die gute Nachricht: Sogenannte Zombieviren haben ihren Namen nicht deshalb, weil sie Menschen in Zombies verwandeln. Sie selbst sind die Untoten, die zigtausend Jahre im Eis überdauern und dann wieder zum Leben erwachen können. Die Gletscher im Gebirge ebenso wie die Eismassen in den Polarregionen sowie der Permafrostboden fungieren als perfekte, nahezu luftdichte Gefriertruhen.

Analysen von Bohrkernen, von Fossilien und deren DNA brachten bereits eine ganze Reihe urzeitlicher Viren, Bakterien und anderer Kleinstlebewesen ans Tageslicht. So haben Forschende bereits knapp 50.000 Jahre alte Viren aus dem sibirischen Permafrost aktiviert und 24.000 Jahre alte Rädertierchen aus dem Tiefschlaf geholt, die sich umgehend weitervermehrten. Zuletzt konnten gar 14.000 Jahre alte Fadenwürmer nach dem Auftauen reanimiert werden.

Dass unbekannte Erreger nach abertausenden Jahren erwachen und Menschen befallen, ist bis jetzt nur Stoff für die Science-Fiction. Bisher wurden noch keine Pathogene gefunden, die für Menschen gefährlich wären. Angesichts der fortschreitenden Klimaerwärmung werden aber immer öfter Befürchtungen laut, dass durch tauende Böden und Eisschmelze nicht nur CO2 und Methan entweichen, sondern auch Krankheitserreger freiwerden, die eine neue Pandemie auslösen könnten. 2023 war das wärmste Jahr der bisherigen Messgeschichte. Die Arktis ebenso wie Hochgebirge erhitzen sich dabei um ein Vielfaches schneller als der Rest der Erde.

Pathogene im Permafrost

"Momentan fokussieren Analysen von Pandemiegefahren auf Krankheiten, die in südlichen Regionen auftauchen und sich dann in den Norden verbreiten könnten", sagte der Mikrobiologe Jean-Michel Claverie von der Universität Aix-Marseille im "Observer". Der Forscher leitete bereits 2014 ein Team, das zeigte, dass aus dem sibirischen Boden isolierte Viren Einzeller infizieren konnten, und war an vielen weiteren Studien zum Thema beteiligt. Nun warnt er, dass Viren aus der Arktis zumindest das Potenzial haben, Menschen zu infizieren und eine Krankheitswelle auszulösen, die sich von Norden nach Süden ausbreiten würde.

Permafrostgebiete umfassen etwa ein Fünftel der nördlichen Hemisphäre. Manche Schichten sind bereits seit hunderttausenden Jahren gefroren und könnten theoretisch Millionen Jahre alte Pathogene bergen, für die das menschliche Immunsystem keinerlei Abwehrmechanismen hat. "Das Szenario, dass ein unbekanntes Virus, das einst einen Neandertaler infiziert hat, zurückkehrt, ist zu einer realen, wenn auch unwahrscheinlichen Möglichkeit geworden", sagt Claverie. In Wildtieren, die als Wirte für Viren fungieren, könnten sich außerdem für den Menschen gefährliche Zoonosen entwickeln.

Abgebrochene Kante, wo Querschnitt des Permafrostbodens zu sehen ist
Der Batagaika-Krater in Sibirien ist eine kilometerlange Senke, die durch das Auftauen des Permafrosts entstand.
REUTERS/REUTERS TV

Gefahr durch Minen und Bohrungen

"Wir wissen nicht, welche Viren sich im Permafrost befinden, aber ich denke, es besteht ein reales Risiko, dass eines fähig ist, einen Krankheitsausbruch zu triggern – sagen wir, eine urzeitliche Form von Polio", sagt auch Marion Koopmans, Virologin am Medical Center in Rotterdam. Eine andere unterschätzte Gefahr sei das Verschwinden des arktischen Meereises, betont Claverie. Das werde zu mehr Schifffahrt führen und in der weiteren Folge den Bau von Minen und Ölbohrungen erleichtern. Schon in der Vergangenheit seien Epidemien oft durch Veränderungen in der Landnutzung und das Vordringen des Menschen in vorher unbesiedelte Gebiete ausgelöst worden, sagt auch Koopmans.

Um eine größere Epidemie oder Pandemie zu vermeiden, planen Claverie und andere Fachleute gemeinsam mit der Universität der Arktis ein Monitoringnetzwerk, um erste Krankheitsfälle, die durch unbekannte arktische Mikroorganismen verursacht werden, frühzeitig zu erkennen. Außerdem sollen Maßnahmen für Quarantäneeinrichtungen und medizinische Behandlung vorbereitet werden.

Gletscher als Quelle

Aber nicht nur in den Polargebieten, auch in unseren Breiten könnten Gletscher eine potenzielle Quelle für infektiöse Pathogene aus der Urzeit sein. Das Thema sei "für die Gletscher der Ostalpen besonders relevant, weil sie nahe an Gebieten liegen, die etwa für die Almwirtschaft oder für die Jagd genützt wurden und werden", sagte die Glaziologin Andrea Fischer, Österreichs Wissenschafterin des Jahres 2023, kürzlich dem STANDARD. "Die Umwelt-DNA-Untersuchungen, die das Mittel der Wahl wären, um das zu untersuchen, stehen allerdings gerade erst am Anfang."

Alpinisten klettern über den Gletscher
Die Gletscher im Himalaja schmelzen infolge der Klimaerwärmung schneller als je zuvor.
APA/AFP/PRAKASH MATHEMA

Wie groß die Mikrobendichte ist, die im Gletschereis, im Schmelzwasser und im Staub der Eisoberflächen vor sich hin vegetiert, hat eine chinesische Studie untersucht, die kürzlich in "Science Bulletin" veröffentlicht wurde. Mithilfe von DNA-Analysen von Proben, die hauptsächlich aus dem Himalajagebirge – einem der wichtigsten Wasserversorger der Welt –, aber auch aus den Alpen und den Polarregionen stammten, konnte das Forschungsteam fast 11.000 Virenarten identifizieren. Das sind 15-mal so viele, wie bisher bekannt waren. Mehr als 80 Prozent davon sind allerdings auf den Befall von Bakterien spezialisiert und stellen keine direkte Gefahr für Menschen oder Tiere dar. Problematisch könnte sein, dass mit bestimmten Viren infizierte Bakterien nicht sofort zerstört werden, sondern virales Erbgut aufnehmen und damit Resistenzen entwickeln können.

Vorbereiten auf "Krankheit X"

Berichte über "Zombieviren" haben zuletzt Debatten darüber angefacht, dass sie Ursache für eine "Krankheit X" sein könnten. Mit dem Begriff bezeichnet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen künftigen, bislang unbekannten Krankheitserreger, der das Potenzial hat, eine globale Epidemie vom Zaun zu brechen – analog zu Sars-CoV-2. Das Konzept wurde bereits 2017 diskutiert und 2018 in die Liste prioritärer Krankheiten aufgenommen, die einer beschleunigten Forschung bedürfen.

Nachdem auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos vergangene Woche ein Expertengremium diskutiert hatte, wie man Gesundheitssysteme auf eine derartige "Krankheit X" vorbereiten könne, machten in den sozialen Medien verstärkt Verschwörungstheorien die Runde, es handle sich um ein absichtlich freigesetztes Virus, das bereits im Umlauf sei. Diese Behauptungen seien allesamt falsch, betont die WHO. Das Ziel sei es nicht, Panik zu schüren, sondern sich besser auf die Möglichkeit neu auftretender Krankheiten vorzubereiten.

Einig sind sich Behörden wie auch Fachleute, dass weitere Forschung nötig ist, um herauszufinden, welche potenziellen Gefahren sich noch im Gefrierzustand befinden. Momentan liegen einige Forschungsprojekte in Sibirien aufgrund des russischen Angriffskriegs buchstäblich auf Eis. Eine Möglichkeit, das Risiko zu minimieren, wäre zugleich eine Wunderwaffe gegen viele andere Probleme: nämlich die Klimaerwärmung einzubremsen. (Karin Krichmayr, 25.1.2024)