Kleiner brauner Hund fletscht Zähne
Auch dieser Hund könnte zubeißen, wenn er zu lange mit seinem inaktiven Besitzer in einer Wohnung eingesperrt ist.
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Ihr geliebtes Haustier würde sich vermutlich an Ihrer Leiche laben. Das zeigen Todesfälle aus der Vergangenheit: Wenn ein Hund oder eine Katze für längere Zeit mit dem verstorbenen Frauchen oder Herrchen eingesperrt war, geschah es immer wieder, dass die Tiere an ihr oder ihm nagten. Sogar bei einem Hamster wurde dieses Verhalten dokumentiert.

Das kann in manchen Fällen Mordermittlungen behindern, weil Spuren verwischt werden, wie ein Forschungsteam aus der Schweiz in einer aktuellen Studie deutlich macht. Im Fachjournal "Forensic Science, Medicine and Pathology" zeigen die Forschenden, wie man ungewöhnlichen Tierfraß an einem Tatort erkennt (für die "gewöhnliche" Zersetzung sind vor allem Insekten und Mikroorganismen zuständig). Wer keine expliziten Fotos von den Fällen sehen möchte, sollte nicht durch die Studie scrollen.

Zum Fressen gern

Mit diesem Thema haben sich schon zuvor einige Studien befasst, die das Team um Lara Indra von der Universität Bern aufgreift und um sieben neuere Fälle aus der Schweiz ergänzt. Vor vier Jahren erschien eine vielbeachtete Arbeit, die zeigte, dass manche Hauskatzen selbst dann von kürzlich verstorbenen Menschen essen, wenn sie nicht mit ihnen in einer Wohnung eingesperrt sind. Das wurde auf einer US-amerikanischen Bodyfarm beobachtet, wo Fachleute Verwesungsprozesse erforschen. Die verwilderten Katzen, die eigentlich Räuberinnen und selten Aasfresserinnen sind, kehrten sogar immer wieder zu den bevorzugten Leichen zurück.

Katze blickt durch Löcher in Metall
Sie sind mindestens so charmant wie Hannibal Lecter und nagen ihnen nahestehende Menschen in manchen Fällen nach ihrem Tod an. Katzen und andere Haustiere können damit in Einzelfällen Ermittlungen behindern.
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Ob verwilderte Hunde es ihnen gleichtun würden, ist nicht geklärt. Doch auch wenn Hunde den Ruf haben, stärker an ihren Besitzern zu hängen als Katzen: Wenn sie mit ihnen eingesperrt sind, dürften beide Haustiere Halter oder Halterin anknabbern. Es gibt allerdings Unterschiede zwischen Hund und Katz, sagt Roger Byard von der University of Adelaide in Australien gegenüber "Science". Ein solches Verhalten passt prinzipiell besser zum Speiseplan von Hunden, da diese im Gegensatz zu Katzen eher Aasfresser sind, "wobei ich keinem von beiden trauen würde", ergänzt der forensische Pathologe.

Das Ganze beginnt womöglich nicht so spät, wie man sich das wünschen würde, mutmaßt seine Kollegin Carolyn Rando vom University College London. So dürfte es nicht unüblich sein, dass ein Tier am Gesicht der regungslosen Halterin leckt – was auch in die Kategorie "trostsuchendes Verhalten" fällt. Dabei könne das Lecken aber schnell zum Fressen werden.

Sozialsein schützt vor Menschenfressern

Wissenschafterinnen und Wissenschafter gehen dennoch davon aus, dass Haustiere vor allem aus Hunger so handeln. Wenn es länger dauert, bis ein Toter daheim gefunden wird, dürfte damit auch die Wahrscheinlichkeit steigen, dass alleingelassene und ungefütterte Haustiere die Leichen anknabbern. Der beste Schutz davor, nicht zum postmortalen Haustierfutter zu werden, ist also, regelmäßig Besuch zu bekommen.

Wer weitere Unterschiede zwischen Katzen und Hunden sucht und morbide Details nicht fürchtet: Hunde fressen zu Beginn vor allem von Gesicht und Hals. Später können sie die Rippen brechen und die Knochen abnagen. Katzen tendieren dazu, bei der Nase, der Oberlippe und den Fingern anzufangen und dort Haut abzuziehen. An diesen Stellen lecken sie Frauchen oder Herrchen auch dann, wenn sie noch leben.

Wie oft Haustiere von verstorbenen Besitzerinnen und Besitzern fressen, lässt sich schwerlich sagen. Die Schweizer Forschungsgruppe kann sich hier vor allem auf Einzelfallstudien stützen. Bei einigen Leichen stießen die Ermittler auf Fressspuren, die von einer Katze oder einem kleinen Hund stammen könnten, fanden aber gar kein Haustier in der Wohnung vor.

Gerichtsmedizinisch relevant

Wurde der Mensch Opfer eines Gewaltverbrechens, ist die tierische Nähe besonders problematisch. Die Haustiere dürften dann bevorzugt an offenen Wunden knabbern, die durch Waffen entstanden sind, und so Beweise im schlimmsten Fall unsichtbar machen. Andersherum sehen manche Tierspuren aber auch aus, als seien sie durch Gewalteinwirkung entstanden. Darunter fallen nicht nur Kratzer auf der Haut oder Bissspuren, die auch von einem Täter oder einer Täterin stammen könnten. Manche Wunden erinnern sogar an Schusswunden von Schrotflinten, schreibt die Forschungsgruppe. Tierwunden verändern außerdem die Verwesung, sodass es schwieriger wird, die Liegedauer der Leiche richtig einzuschätzen.

Person mit kurzen schwarzen Haaren liegt auf dem Rücken im Gras und kuschelt mit einem flauschigen Hund
Was sich liebt, das frisst sich im Ernstfall nach dem Tod auch auf.
IMAGO/Westend61/Nataliya Lazaridi

Ein beispielhafter Fall hat sich vor kurzem in Chile zugetragen: Dort nahm man zunächst an, dass eine aufgefundene ältere Frau eines natürlichen Todes gestorben war. Ihr Gesicht war allerdings kaum erkennbar, weil ihr Hund seine Spuren hinterlassen hatte. Dennoch führte ein Gerichtsmediziner einen CT-Scan durch und stellte fest: Kurz vor ihrem Tod war ihr mit stumpfer Gewalt ins Gesicht geschlagen worden. Es handelte sich um einen Raubüberfall mit Todesfolge.

Vorteil des makabren Triebs

Um den Todesfall richtig einschätzen zu können, ist es den Fachleuten zufolge besonders wichtig, dass sich Ersthelfer, Beamtinnen und andere, die früh am Tatort sind, richtig verhalten. Die Fachleute schlagen vor, dass sie darauf achten, ob sich in einer Wohnung ein Tier befindet oder beispielsweise durch ein offenes Fenster eines hereingekommen sein könnte. Außerdem solle man auf weitere Tierspuren achten, von Fellresten über Fäkalien bis hin zu Pfotenabdrücken. Von derartigen Funden müssten Fotos gemacht und Proben genommen werden, die Autorinnen und der Autor der Studie liefern sogar ein nützliches Diagramm für diese Schritte.

Zwar dürfte eine solche Störung eher in seltenen Fällen kriminelle Handlungen verbergen. Doch wie oft sie wirklich vorkommen, ist eben nicht bekannt, und dabei könnte eine entsprechende Dokumentierung oder sogar eine Datenbank helfen, anstatt dass man sich auf skurrile Einzelfälle verlassen muss. Carolyn Rando vermutet sogar, dass sie öfter vorkommen, als die wenigen Berichte das vermuten lassen.

Selbst ist die forensische Anthropologin relativ pragmatisch, was den Haustierfraß an Herrchen und Frauchen angeht. "Wir können daraus das Fazit ziehen, dass unsere Haustiere uns fressen werden. Das ist einfach eine Tatsache." Roger Byard findet zudem etwas Positives daran: "Wenn das meinen alten Golden Retriever nach meinem Tod am Leben erhalten würde, wäre ich froh darüber, wenn er so zu Futter kommt." (Julia Sica, 24.1.2024)