In Jerusalem forderten Angehörige und Unterstützende abermals die Freilassung der noch von der Hamas festgehaltenen Geiseln.
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Die Namen lesen sich wie ein Querschnitt der israelischen Gesellschaft. Ein Beduine aus Rahat, ein Siedler aus dem Westjordanland, ein auf den Philippinen geborener Immigrant und die Namen von 18 weiteren wurden am Dienstag nach und nach "zur Veröffentlichung freigegeben", wie es im trockenen Armeejargon heißt. Bei einem einzigen Vorfall waren am Montag 21 Reservisten der israelischen Armee im Gazastreifen getötet worden. Die Armee war in den Stunden danach damit beschäftigt, die Familien der Gefallenen zu verständigen.

Zuvor hatte die Armee den Tod dreier Soldaten der Fallschirmjägerbrigade bekanntgegeben, die am Montag bei Kämpfen in der Stadt Khan Junis durch eine Panzerabwehrrakete getötet worden waren, einer wurde schwer verwundet. Damit liegt die Anzahl der Gefallenen am Montag bei 24 Soldaten. Es ist die größte Zahl getöteter Soldaten binnen eines Tages seit Beginn der Kämpfe im Gazastreifen.

Granate löste Sprengung aus

Die 21 getöteten Reservisten kamen ersten Berichten zufolge nur einen halben Kilometer entfernt von der Grenze zu Israel zu Tode. Bei der Vorbereitung einer gezielten Sprengung des Gebäudes habe eine von Terroristen gezündete Panzerabwehrgranate den Sprengstoff vorzeitig gezündet.

Israel war in Staatstrauer. Bevor alle Namen veröffentlicht wurden und alle Nachrichten die Fotos der Gefallenen zeigten, begann traurige Kriegsroutine: Anrufe bei Freunden und Verwandten, deren Söhne im Krieg sind: Ob alles in Ordnung sei? Das ganze Land trauert mit den Angehörigen – und Teile der Regierung nutzen die Trauer für eigene Zwecke.

Begräbnis eines der Soldaten am Dienstag.
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Man müsse aus dem Vorfall "die nötigen Lehren ziehen", forderte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Armee auf. Es ist einer von vielen Versuchen des angeschlagenen Regierungschefs, die Kritik, die ihn spätestens seit dem 7. Oktober trifft, an die Militärführung umzuleiten.

"Im Namen unserer Helden und zum Schutz von uns selbst werden wir den Kampf nicht einstellen, bis wir vollständig gesiegt haben", sagte Netanjahu.

Geisel-Deal wackelt

Der Vorfall könnte einen bevorstehenden Geisel-Deal in Gefahr bringen. Wie der Aufdeckerjournalist Barak Ravid zuvor mit Berufung auf hochrangige israelische Quellen berichtet hatte, gab es erhebliche Fortschritte in Verhandlungen mit der Hamas. Israel soll sich bereiterklärt haben, eine zweimonatige Waffenruhe unter teilweisem Rückzug der Truppen einzugehen, wenn dafür sämtliche zivile Geiseln an Israel übergeben werden. Es soll sich um 136 Menschen handeln, wobei man zuerst die verbleibenden Minderjährigen, Kinder, Ältere und Schwerkranke befreien will. Erst in einem späteren Schritt könnten auch Männer unter 60 Jahren zum Zug kommen.

Regierungssprecher Eylon Levy konkretisierte dazu am Dienstag: Israel lehnte eine Feuerpause ab, solange die radikalislamische Hamas nicht alle Geiseln aus ihrer Gewalt entlassen hat.

Durch die hohen Verluste unter den israelischen Soldaten sehen sich jene bestätigt, die vor einer Waffenruhe warnen: Sie könnte den Terrorgruppen in Gaza dazu dienen, sich neu zu sortieren, warnen sie. Man befürchtet, dass eine solche Aufholphase die Hamas befähigen könnte, nach dem Ende der Waffenruhe weitere tödliche Attacken auf israelische Truppen zu verüben.

Kämpfe gehen weiter

Berichte aus Khan Junis zeigen, dass von einem Nachlassen der Intensität keine Rede sein kann. Allein am Montag habe man "500 Terroristen getötet", berichtet die israelische Armee. Humanitäre Helfer in Gaza wiederum berichten von schweren Kämpfen nahe einem Krankenhaus und dutzenden Toten.

Auch dort, wo nicht geschossen wird, befürchten Hilfsorganisationen eine steigende Opferzahl infolge der katastrophalen humanitären Lage. Rund 380.000 Menschen leiden unter extremem Hunger. Seuchen breiten sich aus, mehr als die Hälfte der Kinder unter fünf Jahren leidet laut der Weltgesundheitsorganisation unter anhaltendem Durchfall. Seit Wochen weisen Hilfsorganisationen darauf hin, dass sich ohne eine mehrwöchige Waffenruhe der Zustand der Zivilbevölkerung weiter massiv verschlechtern wird. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 23.1.2024)