Baustelle Pilgramgasse im Jahr 2019
In Zukunft wird die U-Bahn-Station Pilgramgasse (hier im Jahr 2019) ein Umsteigeknoten, vor Gericht spielt sie in einem Sexualdelikt eine Rolle.
Heribert Corn

Wien – Dass er sich verstellt, kann man Herrn A. wirklich nicht nachsagen. Obwohl der Schöffensenat unter Vorsitz von Petra Poschalko mehrheitlich aus Frauen besteht, spricht der 41-jährige Angeklagte recht offen über sein beziehungstechnisches Beuteschema. "Solange sie nicht zu jung, zu alt oder schiarch wie die Nacht finster sind", sei er mit Frauen zu spontanen intimen Begegnungen bereit, offenbart er. Auch am 5. August will der Angeklagte ein Abenteuer gehabt haben, das aus Sicht der Staatsanwältin allerdings der sexuelle Missbrauch einer Wehrlosen gewesen ist. Der unbescholtene Deutsche soll eine aufgrund ihrer Alkoholisierung bewusstlose 27-Jährige unsittlich berührt und mit dem Finger penetriert haben – auf einer Grünfläche unmittelbar neben einem Würstelstand an einer Hauptstraße.

Im Ernst-Arnold-Park soll es zu dem Angriff gekommen sein.

Er sei an diesem Samstag nach Dienstschluss mit einem Arbeitskollegen noch auf ein Bier gegangen, erzählt der von Sascha Flatz verteidigte Angestellte, der sich nicht schuldig bekennt. Aus dem einen Bier wurden mehrere, dazu kamen nach seiner Darstellung noch Jägermeister, Whiskey-Cola und die an sich bei jüngeren Menschen beliebte "Berliner Luft". Soweit er sich erinnern kann, endete der "Ziager" gegen 23.15 Uhr bei einem Imbissstand auf der Pilgrambrücke.

"Ich habe Harndrang verspürt und bin auf den Grünstreifen, um mich zu erleichtern", drückt der Angeklagte sich gewählt aus. Auf dem kurzen Rückweg habe er die junge Frau kennengelernt. Wer wen angesprochen hat, will er nicht mehr wissen, es sei jedenfalls rasch zu einvernehmlichen Küssen und Petting über der Kleidung gekommen. Dann seien sie auch schon im Grünstreifen gelegen. Er hatte seine Hand in ihrer Hose, will sie aber nicht penetriert haben. Dass die Frau zu diesem Zeitpunkt bereits ohnmächtig war, will er nicht bemerkt haben. Als Nächstes erinnert er sich nur daran, dass "eine Frau in einer fremden Sprache hysterisch herumgeschrien hat", verwendet er ein frauenfeindliches Adjektiv für das Eingreifen eines spanischen Touristenpärchens, das ihn aufforderte, die Bewusstlose in Ruhe zu lassen.

Festnahme nach Rückkehr zum Tatort

Er sei dann über die Straße zu einem zweiten Kebabstand gegangen, um sich noch ein Bier zu holen. Als er die alarmierte Polizei sah, sei er zurückgekommen und auch gleich festgenommen worden. Ob er sich an das Opfer noch erinnern könne, will Vorsitzende Poschalko wissen. "Schiarch war's ned", antwortet der Angeklagte. "Nicht unhübsch, nicht unsauber", lautet seine weitere Beschreibung. "Haben Sie öfter Verkehr in der Öffentlichkeit?", interessiert die Vorsitzende auch. "Auf dem Grünstreifen ist ein Novum", gibt er zu. Er sieht sich auch als Gesellschaftstrinker, "die Menge ist die absolute Ausnahme!".

Die 27-Jährige wurde von der Rettung in ein Spital gebracht, in ihrem Harn wurde ein Alkoholgehalt von 3,14 Promille gemessen, zusätzlich wurden Spuren eines Schmerzmittels und eines Psychopharmakons nachgewiesen. Eine Blutabnahme und die Anwendung eines "Sex-Kits" zur Spurensicherung verweigerte sie. Als die Polizei sie später befragte, konnte sie sich an kaum etwas erinnern. Sie sei nach Wien gekommen, aufgrund eines Handyfotos wisse sie noch, dass sie mit vier unbekannten Männern eine Lokaltour gemacht habe und sie am nächsten Tag um 8 Uhr in einem Hotel geweckt wurde. Wie sie dort hingekommen war, wusste sie ebensowenig wie die Tatsache, dass sie in ein Spital gebracht wurde.

Zeugen des Vorfalls schildern, dass sie den Angeklagten mit der Frau zunächst mit einem Unbekannten beim Würstelstand Bier trinken gesehen haben. Dann gingen sie vielleicht vier Meter entfernt in die Wiese, einige Minuten später realisierten sie, dass das Opfer bewusstlos war. "Junger Mann, hör bitte auf damit, das Mädchen ist ohnmächtig", schildert ein Passant sein Eingreifen, das zunächst ergebnislos war. Erst das Schreien der Spanierin scheint A. vertrieben zu haben. Die Frau wachte einige Minuten später aus ihrer Ohnmacht auf und war desorientiert, der Mann habe alkoholisiert gewirkt, wird beschrieben.

Vollrausch für Sachverständigen möglich

DNA-Sachverständige Christina Stein berichtet in ihrem Gutachten, dass unter den Fingernägeln des Angeklagten Stunden nach der Tat noch Vaginalsekret des Opfers nachweisbar war, obwohl er sich bei der Polizei die Hände gewaschen hatte. Gerichtsmediziner Christian Reiter wiederum kann sagen, dass A. zum Tatzeitpunkt zwischen 2,3 und 2,4 Promille gehabt haben muss. Er kann aber nicht ausschließen, dass der Angeklagte im "Zustand voller Berauschung" gehandelt habe, wie es juristisch heißt, und daher nicht zurechnungsfähig gewesen sei. Besonders das Nachtatverhalten – der Gang zum nächsten Bier und die Rückkehr zur Polizei – kombiniert mit den angegebenen Erinnerungslücken lassen den Experten auf eine massiv beeinträchtigte Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit schließen. Es sei möglich, dass A. den Zustand der Frau wirklich nicht bemerkt habe.

Vorsitzende Poschalko kündigt daraufhin an, dass auch eine Verurteilung wegen "Begehung einer Straftat im Zustand voller Berauschung" infrage komme. Nach kurzer Beratung mit seinem Verteidiger Flatz bekennt der Angeklagte sich jedoch auch zu diesem Vorwurf nicht schuldig. "Es tut mir leid, dass ich so viel getrunken habe. Was mit noch mehr leidtut, ist, dass ich nicht bemerkt habe, dass die Frau bewusstlos war", erklärt der 41-Jährige in seinem Schlusswort.

Nach kurzer Beratung wird er dann nicht rechtskräftig freigesprochen. "Der Freispruch erfolgt im Zweifel", begründet Poschalko das Urteil. "Objektiv kam es zur Tat, wie sie angeklagt war. Aufgrund des Gutachtens von Professor Reiter sind wir aber von einer vollen Berauschung ausgegangen, auch in diesem Fall muss aber die subjektive Tatseite erfüllt werden. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, ob Sie erkannt haben, dass die Frau wehrlos gewesen ist, daher ist zu Ihren Gunsten zu entscheiden gewesen." (Michael Möseneder, 23.1.2024)