Bis heute ist ungeklärt, wer Maria Jane Weidhofer getötet hat. Die damals 32-Jährige war im November 1990 von einem Joggingausflug im Tilden Park im Osten der San Francisco Bay Area nicht mehr zurückgekehrt. Ihre Leiche wurde am Wegesrand ihrer Lieblingsroute gefunden. Der Täter hatte sie vergewaltigt und erwürgt. Es gab Hinweise auf einen Verdächtigen, doch alle bisher von der Polizei vernommenen Personen und verfolgten Spuren führten nicht zum Erfolg.

Der Fall wurde aber nie komplett zu den Akten gelegt, schreibt "Wired". 2017 entschied man sich für einen neuen Anlauf, der allerdings auch einige Kritik auf sich ziehen sollte. Die Behörden beauftragten das Unternehmen Parabon Nanolabs mit der Anfertigung eines, wie es der Anbieter nennt, "Snapshot Phenotype Report". Dabei wird auf Basis der am Tatort sichergestellten Täter-DNA eine Reihe von Eigenschaften definiert. Darunter fallen etwa die ethnische Herkunft, die ungefähre Gesichtsform, die Haarfarbe, die Augenfarbe sowie bestimmte Aspekte hinsichtlich des Haarwuchses. Kombiniert mit Zeugenaussagen fertigt ein forensischer Zeichner daraus dann ein dreidimensionales Abbild des Gesichtes an.

Das veröffentlichte Bild zeigte einen Mann, der laut DNA-Auswertung genetisch südosteuropäischer Herkunft ist, eher helle Haut, braunes Haar und braune Augen hat und wenige bis gar keine Sommersprossen besitzt. Auf Basis der Einvernahmeprotokolle anderer Parkbesucher in zeitlicher Nähe zur Tat wurden ein Schnauzbart und ein konventioneller Kurzhaarschnitt ergänzt. Einmal wurde die derart erzeugte Person als 25-Jähriger abgebildet und einmal um 30 Jahre gealtert, um einen Eindruck davon zu geben, wie sie heute aussehen könnte. Die Behörden hatten gehofft, dass die Veröffentlichung der "Fotos" zu neuen Hinweisen aus der Bevölkerung führen könnte.

Das auf Basis von DNA-Auswertung generierte Fahndungsbild im Fall Maria Jane Weidhofer.
East Bay Regional Park District Police

Kein exaktes Abbild

Das erregte Protest bei Bürgerrechtlern und Datenschützern. Denn die Abbildungen sind keineswegs als genaue Wiedergabe des Gesichts des mutmaßlichen Täters zu verstehen. Die einzelnen genetischen Eigenschaften wurden mit unterschiedlich hohen Konfidenzen ermittelt. Während Parabon für die Augenfarbe etwa eine fast 99-prozentige Treffsicherheit angibt, sind es bei den Sommersprossen nur knapp 85 Prozent. Das Gesamtwerk ist im besten Falle eine Annäherung, wie die gesuchte Person aussehen könnte.

Die Publizierung der Zeichnungen führte zu keinen entscheidenden Hinweisen zu dem jahrzehntealten Fall. 2020 hatte ein Ermittler einer weitere Idee. Er ersuchte, so belegen vom Kollektiv "Distributed Denial of Secrets" kürzlich veröffentlichte Polizeiaufzeichnungen, das Northern California Regional Intelligence Center (NRIC), das generierte Abbild in eine Gesichtserkennungssoftware einzuspeisen. "Ich habe ein Foto des möglichen Verdächtigen und würde gerne Gesichtserkennungstechnologie einsetzen, um (ihn) zu identifizieren", schreibt er in dem Antrag.

Dies dürfte der erste Fall gewesen sein, in dem ein auf Basis von DNA-Auswertung erzeugtes Fahndungsfoto für so eine Suche verwendet wurde. Und es war wahrscheinlich nicht das letzte Mal.

Hersteller nicht erfreut

Bei der auf digitale Bürgerrechte spezialisierten Electronic Frontier Foundation (EFF) hat man für ein solches Vorgehen nichts übrig. Es sei komplett unwissenschaftlich, Gesichtserkennung mit "unzuverlässigen Inputs" wie algorithmisch generierten Gesichtern zu betreiben. "Es gibt keine Beweise, dass Parabon überhaupt in der Lage ist, akkurate Gesichtsabbildungen zu erzeugen." Hier riskiere man, dass auf einmal Menschen zu Verdächtigen werden, die mit der Tat nichts zu tun haben.

Weder das NRIC noch die regionalen Polizeibehörden wollten den Einsatz von Gesichtserkennung kommentieren. Letztere entschlugen sich mit dem Hinweis, dass es sich nach wie vor um aktive Mordermittlungen handle, einer Antwort.

Bei Parabon ist man ebenfalls nicht begeistert vom Vorgehen der Behörden. Das Unternehmen wurde 2008 gegründet und war ursprünglich auf DNA-Abgleiche mit genealogischen Datenbanken fokussiert, die Behörden bei der Suche nach Tätern und Opfern unterstützen sollten. 2012 sicherte man sich einen Zuschuss durch das US-Verteidigungsministerium zur Entwicklung des "DNA Phenotyping"-Systems, bereits mit dem Ziel, anhand von gesicherter DNA das Äußere von Verdächtigen zu rekonstruieren.

Blindvergleichsfotos von aus DNA-Daten generierten Bildern
Ein vom Hersteller veröffentlichter Blindvergleich, der aus DNA-Daten generierte Bilder den echten Fotos der DNA-Spender gegenüberstellt.
Parabon Nanolabs

Das dafür entwickelte System setzt auf per Maschinenlernen trainierte Voraussagemodelle, wobei für jeden Teil des Gesichts ein eigenes Modell genutzt werde. Die Trainingsdaten lieferten über 1.000 Freiwillige, die ihre DNA zur Auswertung bereitstellten und ihr Gesicht per 3D-Scanner erfassen ließen. Jedes Gesicht verfügt dabei über 21.000 physische Merkmale, die bei der Erzeugung berücksichtigt werden, erklärt das Unternehmen.

Die Methodik liegt aber nicht offen, dementsprechend gibt es auch kein wissenschaftliches Peer-Review dazu. Auf wissenschaftlicher Ebene gibt es Zweifel, dass Parabon verlässliche Ergebnisse liefern kann beziehungsweise dass es überhaupt möglich ist, das Aussehen auf Basis der DNA genau genug vorherzusagen. Vizechefin Paula Armentrout verweist gegenüber "Wired" auf Konferenzauftritte und von Kunden freigegebene, öffentlich bereitgestellte Vergleichsbilder auf der Website, mit denen sich Außenstehende selber ein Bild machen könnten.

Polizeibehörden drängen auf Gesichtserkennung

Auf der eigenen Internetpräsenz wirbt man damit, seit 2018 bei der Identifikation von über 300 von den Behörden gesuchten Personen geholfen zu haben. Ellen Greytak, die den Bereich Bioinformatik bei Parabon leitet, sieht die erzeugten Bilder mehr als "Beschreibung" einer Person an denn als eine exakte Nachstellung ihrer Gesichter. Als man erfuhr, dass die Polizei in der Causa Weidhofer Gesichtserkennung eingesetzt hatte, sei man "überrascht" gewesen. Die Bilder seien nicht dafür gedacht und ihre Verwendung für Gesichtserkennung ein Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen. Allerdings, so gesteht sie ein, habe man keine wirksame Möglichkeit, um die Einhaltung selbiger sicherzustellen.

Die Kundschaft ist aber offenkundig anderer Ansicht. Gegenüber "Wired" erklärten acht Polizeibüros, die auf Parabons Gesichtserzeugung zurückgreifen, dass sie die Ergebnisse für genau genug halten, um per Gesichtserkennung nach Personen zu fahnden. Sie sehen darin eine Möglichkeit, teils mehrere Jahrzehnte alte Fälle endlich zu lösen, und wünschen sich eine entsprechende Option.

Sehr oft kommt es aber gar nicht erst zur Erzeugung eines Fahndungsfotos, das oft erst nach Erschöpfung anderer Ermittlungsansätze in Anspruch genommen wird. Bei den Fällen, an denen Parabon mitarbeitet, kann man Personen bereits über den Abgleich mit Genealogiedatenbanken ausfindig machen.

Mangelnde Kontrolle, unsichere Ergebnisse

Expertinnen und Experten bemängeln fehlende Kontrollen beim Einsatz solcher Mittel. So gibt es auf US-Bundesebene etwa keine Vorgaben dafür, welche Bilder für Gesichtserkennung genutzt werden dürfen. Kontrollmechanismen und Sicherheitsmaßnahmen liegen im Verantwortungsbereich der jeweiligen Anbieter und regionalen Polizeibehörden. Laut einem Bericht des US Government Accountability Office sind zudem bei der Bundespolizei FBI nur fünf Prozent aller Beamten, die Zugriff auf Gesichtserkennungssysteme haben, im Umgang mit diesen geschult worden. Es fehlt auch an internen Richtlinien, um Verstöße gegen die Privatsphäre und Bürgerrechte zu vermeiden.

Gesichtserkennung an sich ist mittlerweile sehr zuverlässig geworden. Als das National Institute of Standards and Technology 2018 auf Basis einer Datenbank mit zwölf Millionen Polizeiaufnahmen Tests durchführte, wurde in 99,9 Prozent aller Versuche die korrekte Person identifiziert. Allerdings gab es bei manchen demografischen Gruppen größere Abweichungen. Was für Fotos gilt, gilt aber nicht für Zeichnungen oder algorithmisch erzeugte Bilder. Beim New York Police Department testete man etwa den Einsatz von Gesichtserkennung mit von Forensikern angefertigten Skizzen und stellte fest, dass dies nicht zielführend sei.

Clare Garvie, Expertin für Gesichtserkennung und Datenschutzanwältin, sieht dementsprechend die Verwendung von Bildern, wie sie Parabon erstellt, kritisch. "Weil moderne Gesichtserkennungssysteme mit trainierten neuronalen Netzwerken arbeiten, wissen wir nicht genau, nach welchen Kriterien Gesichter identifiziert werden", bemängelt die Expertin, die für den Bundesverband der US-Kriminalverteidiger arbeitet. "Unzuverlässige oder ungenaue Black-Box-Tools hintereinanderzuschalten wird einfach nur unverlässliche Resultate produzieren. Das sollten wir mittlerweile wissen." (gpi, 24.1.2024)