Das Bildnis „Fräulein Lieser“ war der Forschung bislang nur über eine Schwarzweißaufnahme von 1925 bekannt. Ob es sich bei der Dargestellten um Helene, deren Schwester Annie oder doch deren beider Cousine Margarethe handelt, harrt der Klärung.
Das Bildnis "Fräulein Lieser" war der Forschung bislang nur über eine Schwarz-Weiß-Aufnahme von 1925 bekannt.
Standard Bildbearbeitung, Bildarchiv ÖNB, Kinsky

Es ist nicht weniger als ein Jahrhundertfund, den das Wiener Auktionshaus "im Kinsky" am Donnerstag im Rahmen einer Pressekonferenz verlautbart: ein 1917 von Gustav Klimt gemaltes Porträt einer jungen Dame, das als verschollen galt und sich in authentischer Pracht in einer österreichischen Privatsammlung erhalten hat.

Der Forschung war das Gemälde bisher überhaupt nur durch eine Schwarz-Weiß-Aufnahme bekannt. Insofern bekam das dargestellte "Fräulein Lieser" jetzt seinen allerersten öffentlichen Auftritt in Bunt, bevor es am 24. April in Wien für 30 oder vielleicht auch 50 Millionen Euro versteigert wird.

Eine Größenordnung, die Adele Bloch-Bauers in Format größeres Porträt von 1912, das derzeit im Belvedere (bis 11.2.) als Leihgabe gastiert, merklich übertraf: Nach der Restitution an die Erben von Bloch-Bauer wurde es 2006 für knapp 88 Millionen Dollar von Talkshow-Queen Oprah Winfrey in New York ersteigert. 2017 trennte sich die Selfmade-Milliardärin über einen Private Sale von dem Bild und verkaufte es für kolportierte 150 Millionen Dollar an die jetzige Eigentümerin.*

Video: Bevor es im April versteigert wird, kann das Klimt-Bild "Fräulein Lieser" im Auktionhaus im Kinsky besichtigt werden.
DER STANDARD

Das ist eine Preisklasse, die potenziell eher nur eine internationale Käuferschaft zu berappen bereit sein wird: eine vermögende Klientel also, zu der die liechtensteinische LGT-Privatbank, die weltweit immerhin fast 306 Milliarden Schweizer Franken an Kundenvermögen verwaltet, wenn nicht geschäftliche Beziehungen, so zumindest ein Naheverhältnis pflegt. Exklusive Events dienen dabei der Kundenbindung. Die Kooperation mit "im Kinsky" sieht nun eine Präsentationstour des Klimt-Bildes in LGT-Niederlassungen im Ausland vor, genauer in der Schweiz, in London, Hongkong oder auch Tokio.

Restitutionsvergleich

Vom Bundesdenkmalamt gibt es dazu freies Geleit in Form einer bereits vorliegenden Ausfuhrgenehmigung. Denn der Verkauf des Werkes ist mit einer "Vereinbarung im Sinne der Washington Principles" verknüpft: zwischen der gegenwärtigen Eigentümerin, die das Bild 2022 von einer Verwandten erbte, in deren Salon es seit den 1960er-Jahren hing, und den Rechtsnachfolgern von Adolf Lieser (1859–1919) und seiner Schwägerin Henriette Lieser (1875–1943), die 1942 zuerst nach Riga deportiert und 1943 in Auschwitz ermordet wurde.

Ein Restitutionsvergleich der vorbildlichen Sorte, da sich bei den Recherchen in den vergangenen Monaten zwar kein Nachweis einer Entziehung, einer Beschlagnahme oder eines Notverkaufs fand, jedoch die Umstände des Verbleibs in der NS-Zeit, nach Ende des Zweiten Weltkriegs und bis in die 1960er-Jahre nicht geklärt werden konnten. Eine Suche nach dem Bild durch die Nachfahren der ehemaligen Eigentümer war nie aktenkundig geworden.

Den Ausgangspunkt für die aktuelle Forschung bot der Name Lieser, der in den Herkunftsangaben der drei seit 1967 (zuletzt 2017) publizierten Werkverzeichnisse zu dem Gemälde als erster Eigentümer veröffentlicht wurde und in dessen Umfeld einst auch die Beauftragung für das Porträt erfolgt sein muss.

Identität der Dargestellten

Klimt hat das Bildnis jedoch nie vollendet, weshalb es auch unsigniert blieb. Nach seinem Tod im Februar 1918 gelangte das Gemälde aus seinem Nachlass an die auftraggebende Familie, die zum wohlhabenden Wiener Großbürgertum gehörte.

Aber welcher Familienzweig das konkret war, scheint nicht zweifelsfrei geklärt zu sein, auch wenn die Identität der Dargestellten theoretisch Hinweise liefern könnte. In der Fachliteratur wurde sie ursprünglich als "Fräulein Lieser" bezeichnet. 1984 identifizierte sie die Kunsthistorikerin Alice Strobel in ihrem Werkverzeichnis der Klimt-Zeichnungen als Margarethe Constanze Lieser. Eine Angabe, die für nachfolgende Werkverzeichnisse übernommen wurde.

Margarethe war die Tochter von Adolf Lieser, der gemeinsam mit seinem Bruder zu den führenden Industriellen auf dem Gebiet der Jute- und Hanfindustrie gehörte: Justus Lieser, der mit Henriette, genannt "Lilly", verheiratet war, die in Künstlerkreisen verkehrte, mit Alma Mahler befreundet war und als Mäzenin die Komponisten Arnold Schönberg und Alban Berg unterstützte.

Ob es sich bei der Dargestellten um Helene, deren Schwester Annie oder doch deren beider Cousine Margarethe handelt, harrt der Klärung.
Ob es sich bei der Dargestellten um Helene, deren Schwester Annie oder doch deren beider Cousine Margarethe handelt, harrt der Klärung.
Standard Bildbearbeitung, Bildarchiv ÖNB, im Kinsky

Aus der 1905 geschiedenen Ehe waren zwei Töchter hervorgegangen: einerseits Helene, die 1920 als erste Frau in Österreich in Staatswissenschaften promovierte, und andererseits die jüngere Annie, die – unterrichtet von Grete Wiesenthal – als gefeierte Ausdruckstänzerin bekannt wurde. Wäre die kunstaffine Henriette Lieser die Auftraggeberin Klimts gewesen, scheint es wohl wahrscheinlicher, dass eine ihrer beiden Töchter porträtiert worden wäre.

Dokument von 1925

Einen Anhaltspunkt könnte der Wohnort der Familie geben: ein Palais in der Argentinierstraße 20 im vierten Bezirk. Exakt diese Adresse scheint auf der Inventarkarte des Negativs zu der bislang einzig bekannten Aufnahme des Porträts im Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek auf, samt dem Vermerk, dass sich das Gemälde "1925 in Besitz von Frau Lieser" befinde.

Das Foto dürfte im Umfeld der von Otto Kallir-Nirenstein für den Hagenbund (1925) geplanten und schließlich in der Neuen Galerie 1926 veranstalteten Ausstellung entstanden sein. Gezeigt wurde das Gemälde dort dann wohl nicht: Auf einem Notizzettel, der sich im Archivbestand des Belvedere befindet, hat der Galerist das Werk durchgestrichen und bei der Skizze zur Hängung nicht mehr berücksichtigt.

Ein Notizzettel von Otto Kallir-Nirenstein im zeitlichem Umfeld der 1926 in der
Ein Notizzettel von Otto Kallir-Nirenstein im zeitlichen Umfeld der 1926 in der Neuen Galerie (Wien) veranstalteten Ausstellung mit Werken von Gustav Klimt.
Belvedere, Archiv Neue Galerie

Der Klimt-Forschung zufolge war das "Bildnis Fräulein Lieser" seit seiner Entstehung tatsächlich noch nie öffentlich zu sehen. Ob sich die Identität der Dargestellten über weitere Dokumentenfunde bis zur Versteigerung im April endgültig klären lässt, wird sich weisen. Eine Sensation bleiben das Auftauchen des Werkes und der Restitutionsvergleich allemal. (Olga Kronsteiner, 25.1.2024)