Bunte Kondome, die nebeneinander aufgelegt sind
Der einzig wirksame Schutz vor einer Geschlechtskrankheit ist das Kondom. Die allerersten sind womöglich beim Versuch entstanden, sich vor Syphilis zu schützen.
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Geschlechtskrankheiten, über die spricht man lieber nicht. Syphilis, Tripper, Chlamydien, das haben immer nur die anderen, man selbst ist davon doch nicht betroffen. Die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache. Vor allem Tripper und Syphilis sind wieder auf dem Vormarsch. Das dürfte unter anderem damit zusammenhängen, dass die Menschen weniger vorsichtig sind. Seit HIV mit Medikamenten im Blut unter die Wahrnehmungsgrenze gedrückt bzw. eine Ansteckung mit Prep-Medikamenten verhindert werden kann, greifen die Menschen wieder seltener zum Kondom – und vergessen dabei, dass es auch andere Geschlechtskrankheiten gibt.

Eine davon ist eben Syphilis. Sie wird vom Bakterium Treponema pallidum ausgelöst, behandelt man sie nicht, stirbt man daran mit großer Wahrscheinlichkeit nach jahrelangem, schwerem Leiden. Erkrankte entwickeln große Geschwüre, Knochenschädigungen, neurologische Störungen und mehr. Seit der Entdeckung der Antibiotika kann man die Infektion an sich gut behandeln – doch das ist noch nicht einmal hundert Jahre her.

Zuvor behandelte man die Geschwüre in erster Linie mit Salben und oralen Gaben, die Quecksilber enthielten. Das Ziel: Man wollte den Erreger vergiften. Das gelang wohl auch, man vergiftete dabei aber auch den Menschen selbst. Oft starben Erkrankte dann nicht an der Syphilis, sondern an einer Schwermetallvergiftung. Wie man sich die Infektion holte, war dabei schon sehr bald klar. Im Englischen gab es die Redensart: "A night in the arms of Venus leads to a lifetime on Mercury." Eine Nacht in den Armen einer Venus führt zu lebenslang Quecksilber. Doch woher die Syphilis kam, darüber gab es mehrere Theorien.

Ursprung in Amerika?

Eine erste, regelrechte Syphilis-Epidemie überschwemmte Europa Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts. Da das zeitlich mit der Entdeckung Amerikas zusammenfiel, lag schon damals der Schluss nahe, dass die Krankheit aus der neuen Welt nach Europa eingeschleppt worden sei. Doch es gab auch andere Herkunftstheorien. So hatte sie etwa auch den Beinamen "Franzosenkrankheit", denn französische Truppen brachten die Krankheit im Jahr 1494 auf dem Rückzug von der Belagerung Neapels nach Süddeutschland und natürlich auch nach Frankreich.

Auch wissenschaftlich ist die geografische Herkunft des Erregers bis heute nicht eindeutig geklärt. Sowohl in Amerika, etwa bei den Azteken, als auch im antiken Europa gab es Beschreibungen, die auf die Krankheit hindeuten. Lange ging man davon aus, dass ein südamerikanischer Bakterienstamm, gegen den es in Europa keine Anpassung gab, durch die Spanier neu eingeschleppt worden ist. Eindeutige Beweise für die sexuell übertragbare Syphilis in präkolumbianischen Überresten aus Amerika fehlten jedoch, in der medizinhistorischen Fachwelt wurden unterschiedliche Thesen heftig diskutiert.

Im Jahr 2020 berichteten Forschende von der Entdeckung verschiedener T.-pallidum-Stämme im Europa des 15. Jahrhundert – möglicherweise stammten diese aus der Zeit vor der ersten Rückkehr von Schiffen aus Amerika. DER STANDARD berichtete hier. Das deutete darauf hin, dass sich das Bakterium bereits vor diesem Ereignis in Europa entwickelt haben könnte.

Unterschiedliche Bakterienstämme

Nun haben Forschende der Universitäten Basel, Zürich und Sao Paulo sowie des Naturhistorischen Museums Wien (NHM) das Erbgut des Erregers Treponema pallidum in Knochen von Menschen entdeckt, die bereits vor 2.000 Jahren in der Küstenregion Santa Catarina im Osten Brasiliens gestorben sind. Dieser bisher älteste gesicherte Fund des Erregers beweist, dass Menschen bereits lange vor der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus Syphilis-ähnlichen Erkrankungen, sogenannten Treponematosen, erlagen.

Aber: Die dort gefundenen Erreger lösten andere Krankheitssymptome aus als jene Erreger, die heute in Südamerika zirkulieren. Sie wurden auch nicht durch Geschlechtsverkehr übertragen, sondern über die Haut durch Schmierinfektion. Diese neuen Erkenntnisse, veröffentlicht in der Fachzeitschrift "Nature", stellen bisherige Theorien zur Verbreitung von Syphilis durch die spanischen Eroberer infrage.

Die südamerikanischen Bakterien-Genome, die man mithilfe von Bohrwerken aus der Zahnmedizin aus den Knochen geholt hatte, ähneln am ehesten dem Erreger einer endemischen Form von Syphilis, die auch Bejel genannt wird. Diese wird, anders als die Geschlechtskrankheit venöse Syphilis, über Hautkontakt übertragen. Heute kommt diese Variante nur noch in sehr trockenen Gebieten Afrikas und Asiens vor, auf dem südamerikanischen Kontinent gar nicht mehr.

Diese Erkenntnis rüttelt an scheinbar etablierten Theorien. "Da wir in Südamerika keine sexuell übertragenen Syphilis-Erreger gefunden haben, erscheint die Theorie, dass Kolumbus die Syphilis nach Europa gebracht hat, immer unwahrscheinlicher", sagt Studienleiterin Verena Schünemann, evolutionäre Anthropologin an der Universität Basel. Vielmehr deuten frühere Funde ihrer Forschungsgruppe, zum Beispiel in Finnland und Polen, darauf hin, dass es in Europa schon vor Kolumbus Formen von Treponematosen gab. Die endemische Form sei dagegen schon vor etwa 2.000 Jahren in feuchten Zonen Brasiliens vorhanden gewesen, "das können mit unserer Untersuchung nachweisen".

Doch aus Eurasien und Afrika?

Die Entdeckung widerlegt nicht direkt die Annahme, dass die Syphilis mit Kolumbus nach Europa zurückkam. Aber die bisherigen Beweise für verschiedene Treponema-Stämme im Europa des 15. Jahrhunderts und die überarbeitete Evolutionszeitskala für T. pallidum machen es immer unwahrscheinlicher. "Das alles deutet darauf hin, dass sie nicht aus Amerika importiert wurde", sagt Schünemann.

Und es gibt Stoff für eine andere Theorie. Es besteht die Möglichkeit, dass Treponema-Erkrankungen bereits deutlich früher in Eurasien oder Afrika auftraten und vor mindestens 15.000 Jahren mit der ersten Einwanderung des Menschen nach Amerika gelangten.

Die heutige Form der Syphilis, an der seit Ende des 15. Jahrhunderts wahrscheinlich hunderttausende Menschen gestorben sind, ist aber womöglich tatsächlich durch Rekombination entstanden. Viele Bakterienarten tauschen nämlich evolutionär nützliche Eigenschaften über den so genannten horizontalen Gentransfer oder Rekombination aus. Der Vergleich der prähistorischen DNA in den Knochen aus Brasilien mit heutigen Krankheitserregern zeigt, dass solche Rekombinationsereignisse stattgefunden haben. "Wir können zwar nicht genau sagen, wann dieser Austausch stattgefunden hat, aber er ist wahrscheinlich der treibende Mechanismus für die Entstehung der heutigen Unterarten der Erregerfamilie", sagt Marta Pla-Díaz von der Universität Basel, ebenfalls Erstautorin der Studie.

Tiefgreifende kulturelle Veränderung

"Auch wenn der Ursprung der Syphilis noch Raum für Spekulationen lässt, wissen wir jetzt zumindest zweifelsfrei, dass Treponematosen den amerikanischen Ureinwohnern schon Jahrhunderte vor dem Kontakt mit den Europäern nicht unbekannt waren", sagt Verena Schünemann. Sie und ihr Team sind zuversichtlich, dass dank der Fortschritte in der Bestimmung von prähistorischer DNA auch der Ursprung der Geschlechtskrankheit Syphilis geklärt werden kann.

Doch zurück zur ersten regelrechten Epidemie in Europa um das Jahr 1500. Die Geschlechtskrankheit breitete sich damals rasant über ganz Europa und Asien aus und hielt sich die nächsten Jahrhunderte. Sie betraf bald alle Gesellschaftsschichten, es gibt unzählige berühmte Persönlichkeiten, bei denen man davon ausgeht, dass sie an Syphilis erkrankt waren. Dazu zählen frühneuzeitliche Monarchen wie Franz I von Frankreich, Heinrich VIII von England oder der russische Zar Iwan der Schreckliche. Aber auch Literaten und Künstler wie Marquis de Sade, Cyrano de Bergerac, Casanova, Goya, Franz Schubert oder Oscar Wilde waren davon betroffen.

Geschichtstheorien gehen davon aus, dass die Ausbreitung der Syphilis auch dazu beigetragen hat, dass sich die viel freiere sexuelle Moral des Mittelalters änderte. In der frühen Neuzeit wurde die sexuelle Freizügigkeit stark eingeschränkt, jeder außereheliche sexuelle Kontakt galt als sündig und "unrein". Die Krankheit dürfte auch die Mode verändert haben. Perücken etwa und weiße Schminke, wie sie zur Zeit der englischen Elizabeth I. aufkamen, sollten wohl auch die Anzeichen der Syphilis – oder der Schwermetallvergiftung durch die eingangs erwähnten Heilungsversuche mit Quecksilber – verstecken. Dass die Schminkfarben selbst wiederum mit Quecksilber hergestellt wurden, verbesserte die Lage nicht unbedingt.

Erstes Kondom?

Als Konsequenz der Erkenntnis, dass die Krankheit beim Geschlechtsverkehr übertragen wird, dürfte außerdem das Kondom entstanden sein. Die ersten Exemplare waren aus Leine oder Seide, später verwendete man dann Tiermembranen wie Schafsdarm oder Fischblasen.

Tatsächliche Heilung der Syphilis gelang erst mithilfe von Arsen. 1909 synthetisierten die Ärzte Paul Ehrlich und Sahachiro Hata eine organische Arsenverbindung, die gegen Syphilis wirkte und die sie Salvarsan, "heilendes Arsen", nannten. Ab den 1950er-Jahren bekam man die Syphilis mit dem Antibiotikum Penicillin vollends in den Griff. Leider nicht nachhaltig. Denn seit rund zwei Jahrzehnten steigen die Zahlen wieder. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet den Anstieg der Geschlechtskrankheiten mittlerweile sogar als "stille Pandemie". (Pia Kruckenhauser, 26.1.2024)