Breitfußbeutelmäuse Sex Kannibalismus
Klein, aber oho: Beim Liebesspiel gehen die männlichen Beutelmäuse deutlich über ihre eigenen Grenzen. Der "kleine Tod" endet deshalb oft mit dem großen.
Erika Zaid

Vielleicht ist es ja ein schöner Tod. Er kommt bei den Männchen der in Australien beheimateten Breitfußbeutelmäuse (Antechinus) recht früh, nämlich nach rund einem Jahr und am Ende ihrer ersten und zugleich letzten Paarungssaison. (Wissenschaftlich nennt sich das übrigens Semelparität.) Diese ein- bis dreiwöchige Phase bedeutet bei den meisten der Breitfußbeutelmausarten im wortwörtlichen Sinne Sex bis zum Umfallen – jedenfalls für die männlichen Artvertreter.

Die Weibchen leben zumindest doppelt so lang und kommen in den Genuss einer weiteren ekstatischen Paarungssaison. Wenn sie nicht gerade am Kopulieren sind, leben die kleinen Tiere, deren Körperbau den Spitzmäusen ähnelt, eher einzelgängerisch, scheu und nachtaktiv. Einige Arten der Gattung, die wissenschaftlich als Antechinus bezeichnet wird, leben auf Bäumen, andere auf dem Boden.

Dass verschiedene Breitfußbeutelmäuse ein Liebesleben haben, das bei den Männchen alle physischen Grenzen überschreitet, ist seit einigen Jahren bekannt: Die Sexualakte dauern je nach Art bis zu vierzehn Stunden. Die Männchen kopulieren sich dabei buchstäblich zu Tode und hätten Theoretikern der Ekstase wie Georges Bataille wohl zur Freude gereicht.

Ebenfalls seit längerem bekannt ist, dass dieses intensive Liebesleben der Konkurrenz zwischen den Männchen geschuldet ist, also der sexuellen Selektion in einer echten Hardcore-Variante. Weibchen wie Männchen haben mehrere Sexualpartner, und die tun buchstäblich alles, damit sie ihre eigenen Gene weitergeben können. Die Männchen sind dabei so sehr engagiert, dass es zur kaskadenartigen Ausschüttung von Stresshormonen kommt, was im Kollaps des Immunsystems endet. Der "kleine Tod" führt also unweigerlich zum endgültigen.

Kannibalistischer Leichenschmaus 

"Die Männchen fallen einfach tot um", sagt der australische Zoologe Andrew Baker, der gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen von der Queensland University of Technology ein weiteres makabres Detail des Sexuallebens der hauptsächlich insektenfressenden Raubbeutler entdeckte und darüber kürzlich im Fachblatt "Australian Mammalogy" berichtete: Die toten Männchen der Braunen Breitfußbeutelmaus (Antechinus mimetes) werden nämlich von ihren noch lebenden Konkurrenten und den tragenden oder säugenden Weibchen auch noch gefressen, ähnlich wie das auch bei den Gottesanbeterinnen der Fall ist – hier freilich noch während der Kopulation.

Für die noch lebenden Breitfußbeutelmäuse ist das Fleisch der beim Sex verunglückten Männchen "billige energiereiche Nahrung", wie es Baker formuliert. Ihm war es mit seinen Kollegen im New England National Park des australischen Bundesstaats New South Wales aber nicht nur gelungen, einen innerartlichen Kannibalismus zu dokumentieren. Sein Team fand außerdem heraus, dass die Tiere auch verwandte Arten verzehren, etwa Männchen der Stuart-Breitfußbeutelmäuse. "An Orten, an denen zwei Antechinus-Arten im selben Gebiet leben, bieten die beiden leicht voneinander getrennten Paarungszeiten die Möglichkeit, sowohl die eigene als auch die andere Art zu kannibalisieren", erklärt Baker.

Weniger Schlaf, mehr Kopulation

Es dürften freilich nicht nur die Sexualakte selbst sein, die bei dieser Antechinus-Art zur totalen Erschöpfung führen. Ein Team um Erika Zaid und John Lesku (La Trobe University in Melbourne) hat das Schlafverhalten der Braunen Breitfußbeutelmäuse in den drei Wochen der Ekstase untersucht und eine nicht ganz überraschende Beobachtung gemacht: Um Sex mit möglichst vielen Weibchen zu haben und im Krieg der Spermien siegreich zu sein, verzichten die Antechinus-Männchen in der Paarungszeit auf viel Schlaf, schreiben die Forschenden im Fachblatt "Current Biology".

Ihre aufwendigen Messungen zeigten, dass die Tiere im Schnitt drei Stunden pro Nacht kürzer schlafen, um mehr Zeit für Sex zu haben – ganz nach dem Motto: "Schlafen kann ich auch, wenn ich tot bin." Bei Menschen würde ein ähnliches Ausmaß an Schlafverzicht unweigerlich dazu führen, sich nach einiger Zeit wie im Rausch zu verhalten. Ob das bei Antechinus auch der Fall ist, müsse noch weiter untersucht werden, sagt Zaid.

Für die Forscherin ist fast ein wenig überraschend, dass die Männchen während der Brutzeit nicht noch mehr Schlaf opfern. Denn nach den drei Wochen der totalen sexuellen Verausgabung sind sie ohnehin tot. Beziehungsweise Futter für Artgenossen. (tasch, 26.1.2024)