Madeleine Egle gewann vor zwei Wochen in Igls das erste EM-Gold für Österreichs Rodlerinnen seit 1951.
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Die Last der Geschichte ist vor dem Start in den Eiskanal ebenso besser abzulegen wie die Last der Favoritinnenrolle. Also schob Madeleine Egle Letztere vor der WM in Altenberg den Gastgeberinnen und Gastgebern, dem Rodelteam aus Deutschland, zu. Nicht ohne Grund: "Sie haben auf dieser Bahn einen deutlichen Trainingsvorteil." Der ist durchaus in Wochen zu bemessen, während Österreichs, nun ja, Kufenelite den Sachsen-Energie-Eiskanal Altenberg nur wenige Tage frequentieren durfte.

Großtante Angelika

Die Geschichte ist für Madeleine Egle, 25 Jahre alt und aus Rinn in Tirol, wie für ihre 21-jährige Schwester Selina nicht unerheblich, aber keine Last. Die Egle-Schwestern sind Großnichten der ehemaligen Rennrodlerin Angelika Schafferer, die dreimal bei Olympischen Spielen rodelte, die Frauenrennen in der Einführungsphase des Weltcups beherrschte, deshalb dreimal die Gesamtwertung gewann und 1978 zu einer Medaille raste.

Die Bronzene gelang Schafferer in der legendären Putzenbahn zu Imst, dem ältesten Eiskanal der Welt, für dessen Zuschnitt die heutige Elite einfach viel zu schnell unterwegs ist. 15 Jahre später, 1993, tat es Olympiasiegerin Doris Neuner in Calgaray Schafferer nach, gewann also Bronze bei einer WM, Selbiges gelang Angelika Neuner, die hinter Schwester Doris in Albertville Olympiazweite war, vier Jahre später im Eiskanal von Innsbruck-Igls.

Madeleine und Selina Egle sind familiär vorbelastete Rodlerinnen.
ÖRV/Ebermann

Und danach? Wie abgerissen! In den folgenden 19 Weltmeisterschaften fuhr keine österreichische Rodlerin mehr nur für sich selbst auf das Podest. Für den traditionsreichen und prinzipiell höchst erfolgreichen Österreichischen Rodelverband (ÖRV), der seit 2018 vom fünfmaligen Weltmeister Markus Prock präsidiert wird, war die Durststrecke Ansporn, den Rodlerinnen besonderes Augenmerk mittels Scouting und Förderprogramm zu widmen. Der deutsche Erfolgstrainer René Friedl ließ es sich, ehe er nach der Saison 2021/22 den österreichischen Nachwuchs übernahm und an den Tiroler Christian Eigentler übergab, besonders angelegen sein, weibliche Talente in die Elite hochzuziehen. Auch auf dem Materialsektor wurde ihnen die gleiche Aufmerksamkeit zuteil wie den Männern, die nach und nach die deutsche Dominanz bei internationalen Meisterschaften brachen.

Die Egles entwickelten sich unter diesen Auspizien prächtig. Madeleine, die 2008 während der WM in Innsbruck-Igls endgültig dem Sport verfiel und sich als 14-Jährige auch von einem im Training erlittenen Oberschenkeltrümmerbruch nicht länger als vier Monate stoppen ließ, wuchs im Lauf der Jahre quasi ein zweiter Startvorteil zu. Die Sportsoldatin im Rang eines Korporals und Studentin der Wirtschaftswissenschaften ist mit 1,84 Metern selbst für eine Rodlerin groß. Die Athletik und ihre Hebel ermöglichen großartige Startzeiten, "die ich im Rennverlauf zu verteidigen versuche".

Sieg der Demut

Schon 2021/22 gelang das derart eindrucksvoll, dass sie knapp am Gesamtweltcupsieg vorbeischrammte. Den ersten Sieg feierte Madeleine Egle in der olympischen Generalprobe im Yanqing National Sliding Center. Rang vier bei den Spielen im Jahr darauf war dementsprechend eine Enttäuschung. Als Favoritin gestartet, war Egle im ersten Lauf gestürzt und nur mit Mühe auf der Rodel ins Ziel gekommen. Dass ihre Aufholjagd nicht belohnt wurde, nahm sie mit Demut hin: "Ein vierter Platz ist nichts Schlechtes – es ist wirklich alles gut, so wie es ist."

Dieser Einstellung entsprechend war es für Madeleine Egle nur eine pure Freude, dass ihre jüngere und kleinere Schwester Selina die erste abseits von Teamstaffeln errungenen Medaillen ins Haus Egle brachte. Auch Selina war zunächst allein auf der Rodel unterwegs, widmete sich aber dann der besseren Chancen wegen dem Doppelsitzer der Frauen, der Anfang Dezember 2022 erstmals im Weltcup gegeben wurde. Zusammen mit der Innsbruckerin Lara Kipp (21) wurde sie im Vorjahr in Oberhof gleich zweimal Vizeweltmeisterin.

Auch in Altenberg könnte Selina Madeleine mehr Freude bereiten als diese sich selbst. Die frischgebackene Europameisterin gibt nach dem Erfolg in Innsbruck-Igls die Last der Favoritinnenrolle umso leichter ab, als sie zuletzt unter Schulter- und Nackenproblemen litt. Daher lief es im Training in der schwierigen Altenberger Bahn nicht rund. Sie könne sich gewöhnlich "im Wettkampf deutlich steigern", sagte Madeleine Egle, die sich im Einzelbewerb am Sonntag höhere Chancen als im heutigen Sprint gibt, in dem der Start weniger wichtig ist.

Die Last der Geschichte ist leicht: "Egal, ob es vier oder 50 Jahre her ist – ein Titel wäre immer cool."(Sigi Lützow, 26.1.2024)