Zeitzeugin Anna Hackl
Zeitzeugin Anna Hackl zeigt Fotos von damals: Ihre Mutter Anna Langthaler zeigte Zivilcourage und Mut - und versteckte KZ-Häftlinge.

Der Roman beginnt so unvermittelt wie schonungslos: "Wär doch gelacht, wenn ich nicht zum Schuss käme", sinniert der Apotheker Lösch. Seinen Nebenmann mahnt er, den Karabiner richtig zu halten und immer auf den Kopf zu zielen oder "aufs Blatt". Der Angesprochene entgegnet: "Ist ganz egal, wo es einen erwischt. Hin müssen sie sein, das ist der Auftrag. Ob erschossen oder erschlagen, das interessiert niemand."

Hier gehen zwei Männer auf die Jagd, und die ist unverkennbar eine blutige Menschenhatz. Von "Treibjagd" und von "Hasen abschießen" hat man damals gesprochen. Später wurde der zynische Ausdruck zum offiziellen Begriff für jene Mordaktion, die unter tatkräftiger Mithilfe der örtlichen Bevölkerung geschah. Anlass war der Ausbruch von mehr als 400 sowjetischen Kriegsgefangenen aus dem Konzentrationslager Mauthausen in der Nacht vom 1. auf den 2. Februar 1945. Dem Aufruf über Radio, die KZ-Häftlinge zu jagen und sie "an Ort und Stelle zu erledigen", folgten viele geradezu bereitwillig. "Ein Blutrausch war über die Menschen gekommen", heißt es im Roman. Wen nicht die SS erschoss, der wurde von Einheimischen erschlagen oder erstochen. Lediglich von 13 Gefangenen ist bekannt, dass sie überlebt haben.

Das Massaker minutiös recherchiert

Wozu einfache Menschen in der Endphase des Krieges fähig waren, bot später Stoff für die Literatur. Mehrere oberösterreichische Autoren haben sich mit dem Thema auseinandergesetzt, der erste war 1973 Franz Kain mit seiner Erzählung Maria-Lichtmeß-Nacht. An dessen nüchternem Erzählton hat sich Helmut Rizy orientiert: ohne Metaphern und Verfremdung, in einer Sprache, die dem regionalen Milieu und der sozialen Situation der dargestellten Personen entspricht.

Ausgangsmaterial waren auch für ihn die Aufzeichnungen des Heimatforschers Peter Kammerstätter, der das Massaker jahrelang minutiös recherchiert hat. Rizys fiktional gestalteter, aber auf den tatsächlichen Geschehnissen basierender Geschichtsroman erschien erstmals 1995. Ein Jahr vorher sorgten Bernhard Bamberger mit der Doku AktionK und Andreas Gruber mit seinem Spielfilm Hasenjagd – Vor lauter Feigheit gibt es kein Erbarmen für Aufsehen im Kino.

Helmut Rizy, "Hasenjagd im Mühlviertel. Roman einer Gegend". € 24,– / 490 Seiten. Wieser-Verlag, Klagenfurt 2024.

Wirklichkeitsnah

Rizys Roman, der nun in einer Neuausgabe vorliegt, ist bis heute die umfangreichste und intensivste Verarbeitung und ein unverzichtbares Stück österreichische Literatur. Mit viel Personal beschreibt der Autor sehr genau das ländliche Milieu und die darin stattgefundene mehr oder weniger aktive Mittäterschaft, aber auch Fälle von Mitgefühl und Solidarität. Wirklichkeitsnah und überzeugend ist die Beleuchtung unterschiedlicher Schichten und Charaktere, vom Bürgermeister bis zum einfachen Knecht, vom Pfarrer bis zum fanatischen Ortsgruppenleiter.

Die vielen Perspektiven lassen ein Schwarz-Weiß erst gar nicht zu – es gibt Täter, Mittäter, Mitläufer auf der einen Seite, und selbst unter diesen verschwimmen die Grenzen. Da ist etwa der Malermeister Leitl, der sich anfangs noch aus allem heraushält, der nur Zuschauer sein will und der am Ende doch einen Häftling mit einem "Sauschlögel" erschlägt, um sich in der Gemeinschaft zu behaupten. "Erledigt", sagt er und geht nach Hause. Die Grenzen der Normalität sucht man vergeblich: Man sieht einfache Bauern, die zuerst in die Sonntagsmesse gehen, dann zum Schießen. Und so mancher bedauert nachher, dass ihm ein anderer einen Ausbrecher "vor der Nase weggeschossen" hat.

Wie konnte es dazu kommen?

Was ist das für eine Gesellschaft, fragt man sich, in der jegliche Empathie für die Opfer fehlt? Rizy geht es nicht um Vergangenheitsbewältigung, sein Fokus ist auf das Geschehen gerichtet und darauf, wie es dazu kommen konnte – dass die einen aus Angst gehandelt und Hilfe unterlassen, andere aus niedrigen Instinkten denunziert und aus Bösartigkeit mitgemacht und getötet haben. Nur ein Einziger fühlt sich nachher schuldig: der Dorfgendarm, weil er nicht verhindern konnte, dass sich sein Sohn am Töten beteiligt hat. Und ein junger Bauernsohn erhängt sich im Stall, nachdem sein Vater aus Angst einen auf dem Hof versteckten Häftling der SS ausgeliefert hat.

Mut und Barmherzigkeit zeigt dagegen die Bauernfamilie Laimberger, die Rizy nicht hat erfinden müssen: Sie ist der Familie Langthaler in der Gemeinde Schwertberg nachgezeichnet, die damals unter Gefahr ihres Lebens zwei Ukrainer versteckt und ihnen so das Leben gerettet hat. "Ich hab zwei Söhne an der Front, im Osten", lässt Rizy die Mutter Laimberger sagen. "Wenn ihnen was passiert, so möchte ich, dass ihnen auch jemand hilft." (Gerhard Zeillinger, 28.1.2024)