Politikerinnen und Politiker sollten unpopuläre Entscheidungen auch dann treffen, wenn sie damit ihre Position aufs Spiel setzen. Sie müssten ihr Ego zugunsten der Umwelt zurückstellen, sagt der Journalist und Buchautor Martin Häusler. In seinem kürzlich erschienenen Buch setzt er sich mit dem Zustand des Planeten auseinander. "Als ich mich auf den Weg machte, die Erde zu retten. Eine Reise in die Nachhaltigkeit" (Scorpio-Verlag) zeigt die Zerstörung auf, aber auch Lösungen. Der Band ist gespickt mit Bildern und Infografiken. Im März dieses Jahres erscheint von Häusler außerdem das Buch "Unsere entscheidenden Jahre" (Europa-Verlag).

Im Interview erklärt der Autor, wieso der Begriff Nachhaltigkeit out ist, er aber dennoch an ihm festhält. Außerdem schildert er, wieso die Fakten zwar Angst machen, man Leserinnen und Lesern "den Blick in den Abgrund" dennoch nicht ersparen könne.

Winkraftwerk; Industrie; Schornsteine
Immer wieder habe er bei seinen Recherchen auch Pausen einlegen müssen, sagt Martin Häusler. Er bekam es mit Ökodepression zu tun.
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STANDARD: Sie haben ein Buch über Nachhaltigkeit geschrieben. Ist der Begriff nicht sehr abgedroschen?

Häusler: Es stimmt, dass ihn viele Menschen als abgedroschen empfinden und ihn leid sind. Er wurde auch über die letzten Jahre vielfach missbraucht – vor allem von den Großkonzernen in Form von Greenwashing. Aber ich finde den Begriff nach wie vor so schön und so wichtig, dass ich dachte: Ich muss darüber ein Buch schreiben, gerade um ihn zu rehabilitieren. Nur weil es schon viele Sachbücher zur Nachhaltigkeit gibt, wird das Thema nicht unwichtiger. Johann Wolfgang von Goethe hat etwas gesagt, das heute immer noch sehr aktuell ist: "Man muss das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns herum immer wieder gepredigt wird."

STANDARD: Was also bedeutet nun "nachhaltig", richtig verstanden?

Häusler: Man ist dann nachhaltig, wenn man innerhalb der naturgemäßen Kreisläufe agiert. Tut man das nicht, als Privatperson oder mit seinen Geschäftsmodellen, ist man nicht nachhaltig. So einfach ist das. Viele denken ja, sie seien schon nachhaltig, wenn sie an einer Stellschraube von vielen drehen, wenn sie also seltener fliegen oder als Firma grüne Dienstwagen anbieten. Dann ist man nur etwas weniger schädlich, wir sollten – als Teil natürlicher Kreisläufe – aber nützlich sein. Wenn man über Nachhaltigkeit spricht, muss man seinen Blick immer über 360 Grad schweifen lassen. Schaut man so auf das Thema, wird einem sehr schnell klar, dass wir von sämtlichen Nachhaltigkeitszielen meilenweit entfernt sind. In allen Branchen, in allen Bereichen des Lebens.

STANDARD: Für Ihr Buch haben Sie viel recherchiert – zu Abfall, Umweltkatastrophen, kurz gesagt: zu der Erschöpfung der Welt. Wie geht es Ihnen mit dem Wissen?

Häusler: Nicht gut. Wenn man schon ein bisschen in die Tiefe recherchiert, bekommt man nicht nur eine richtig schlechte Laune – man wird regelrecht depressiv. Während der Recherche musste ich deshalb immer wieder Pausen einlegen und auf andere Gedanken kommen. Es ist wirklich schwer, mit all dem Wissen noch irgendwo ein Fünkchen Hoffnung zu generieren. Wissenschafterinnen und Wissenschaftern muss es noch schlimmer gehen, sie wissen seit Jahrzehnten, was vor sich geht, warnen unermüdlich die Politik, aber es passiert zu wenig.

STANDARD: Zu dem, was Sie beschrieben haben, sagt man auch "Ökodepression" oder "Klimaangst". Wenn es einem so geht: Versteht man dann nicht diejenigen, die lieber die Augen verschließen?

Häusler: Natürlich habe ich Verständnis für Menschen, die sich aufgrund der Konsequenzen der Umweltzerstörung in einen Kokon flüchten. Das ist wahrscheinlich eine allzu menschliche Eigenschaft. Auch ich zerstreue meinen Geist, indem ich zwischendurch Fußball schaue oder Beatles-Songs spiele. Dennoch stecken in uns allen mündige, kreative und tatkräftige Bürgerinnen und Bürger. Ich finde daher: Ja, wir dürfen eine Zeitlang wegschauen – müssen uns dann aber wieder der Realität stellen. Wir leben nun mal in der Realität und nicht in den Sphären der Zerstreuung. Die Umweltzerstörung, der Klimawandel, die schleichende Vergiftung durch eine entfesselte Chemie haben ganz konkrete Auswirkungen auf unser Leben, auf unsere körperliche Gesundheit. Dagegen können und müssen wir uns stemmen. Vielleicht sind viele Menschen jetzt auch so erschüttert, weil wir zu lange zu wenig darüber gesprochen haben. Nur mal eine Zahl: Neun Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr verfrüht aufgrund von Umweltverschmutzung. Das können wir doch nicht akzeptieren.

STANDARD: Auf dem Buchcover ist ein Foto eines Seepferdchens zu sehen, das ein Wattestäbchen umklammert, weil es meint, es könnte ihm nützen. Warum nimmt einen gerade dieses Bild so mit?

Häusler: Es wurde von dem amerikanischen Fotografen Justin Hofman in Indonesien geschossen. Wir haben uns für dieses Motiv entschieden, weil es die ganze Tragödie so sehr auf den Punkt bringt. Es ist nicht bloß ein Naturfoto, sondern vereint die Schönheit der Schöpfung mit dem Ekel der Vermüllung. Dieses Seepferdchen kann einem nur leidtun. Sitzt man eine Weile vor diesem Bild, kommen einem die Tränen. Gefühle sind eigentlich ein sehr guter Wegweiser, um zu erkennen, wohin wir aufbrechen sollten. Die Tränen bedeuten: Lasst uns den Mülltsunami beherzter bekämpfen! Die Konzerne, die all diesen Dreck auf den Markt werfen durften, wurden bisher viel zu lasch reguliert.

STANDARD: Sie schildern, dass das Wort Nachhaltigkeit in den Medien seit den 1990ern viel öfter gebraucht wird. Heißt das im Umkehrschluss, dass Nachhaltigkeit wichtiger geworden ist?

Häusler: Absolut. Nachhaltigkeit hat sicher mit der ersten UN-Klimakonferenz 1992 in Rio de Janeiro eine neue Popularität bekommen. Davor war es eher ein Fachwort und wurde etwa in der Waldwirtschaft verwendet. In den 90ern wurde es dann massentauglich. Leider hat es dann auch die Industrie entdeckt und gekapert.

STANDARD: Mittlerweile sind die Fakten bekannt: Die Gesellschaft müsste sich wesentlich verändern, damit anvisierte Klimaziele überhaupt noch irgendwie zu erreichen sind. Die Wege dazu sind großteils bekannt. Wieso tun wir es dann nicht?

Häusler: Weil wir Vernunft mit Bevormundung verwechseln. Seit dem Zweiten Weltkrieg konnten wir uns an dieses turbokapitalistische Modell gewöhnen: Konzerne beuten die Natur aus – quasi kostenlos, denn die Natur stellt keine Rechnung –, sie fertigen aus den Rohstoffen ein Produkt, verkaufen es für viel Geld, nach der Nutzung wird das Produkt zu Müll. Das ist ein natur- und menschenfeindliches lineares Modell, das außer den Konzernen nur Verlierer kennt. Ob ein Produktionsprozess für Kollateralschäden sorgt, war in den letzten Jahrzehnten zweitrangig. Jetzt wacht die Politik langsam auf und versucht die Industrie zu regulieren. Das ist äußerst schwierig, da die Interessengruppen über die Jahre so einflussreich werden konnten, dass es für die Politik eine Herausforderung ist, sich unabhängig zu machen. Die Konzerne versuchen, eine echte Transformation möglichst weit in die Zukunft zu rücken. Vieles, was jetzt als Transformation deklariert wird, ist schlicht und einfach Betrug.

Regenwald; Abholzung; Palmplantagen; Umweltzerstörung
Große Konzerne müssten für Umweltzerstörung zahlen müssen, findet Häusler, und zwar in Form einer Steuer.
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STANDARD: Was bräuchte es, um große Konzerne zur Verantwortung zu ziehen?

Häusler: Ich glaube, es geht nur über politische Regulierung, etwa durch die Festlegung neuer Schadstoffgrenzen und erheblicher Strafzahlungen im Falle von Verstößen. Für sinnvoll halte ich aber auch so etwas wie eine Art Reparationssteuer. Unternehmen, die historisch über alle Maßen von der Plünderung des Planeten profitiert und dabei immensen Schaden an unseren Ökosystemen angerichtet haben, sollten Reparationen leisten wie nach einem Krieg. Der gerade stattfindende Ökozid ist nichts anderes als ein Krieg gegen die Natur und den Menschen. Das ist keine Utopie, es gibt Juristinnen und Juristen, die genau das vorhaben. Die Klagewellen gegen die Konzerne werden immer größer.

STANDARD: Unternehmen sollten sich also verantworten und Strafzahlungen leisten müssen?

Häusler: Ist das nicht selbstverständlich? Über Jahrzehnte haben sie Billionen quasi aus dem Nichts machen dürfen. Wo heute das Geld ist, liegt auch die Lösung. Dafür bräuchte es allerdings Gesetze. Um solche Gesetze zu entwerfen und auch zu beschließen, bräuchte es Politikerinnen und Politiker mit eisernem Rückgrat. Solche, die sich mit all ihrer Macht für den Planeten einsetzen und die Unternehmen in die Pflicht nehmen. Von dieser Spezies gibt es derzeit leider nicht besonders viele.

STANDARD: Was ist der wahre Grund? Uneinsichtigkeit, Trägheit, mangelnder Mut?

Häusler: Angst und Abhängigkeit. Politikerinnen und Politiker fürchten natürlich um ihre Macht und ihren gesellschaftlichen Status. Ich finde aber: Wenn man jeglichen Idealismus verloren hat, Politik für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen zu machen, hat man eigentlich keinen Anspruch mehr darauf, in der Politik zu sein. Sollten Politikerinnen und Politiker noch minimal eine altruistische Mission verspüren, müssten sie auch dazu bereit sein, für wichtige Beschlüsse ein Karriereende in Kauf zu nehmen – also zu einer Art politischer Märtyrer für das Klima zu werden. Manchmal muss man das Risiko von Koalitionskrisen oder Sturmläufen von Lobbygruppen in Kauf nehmen und zur Not seinen Hut nehmen. Das könnte Vorbildfunktion haben.

STANDARD: Das Problem ist allerdings, dass man auch in der Politik Dinge meist nicht allein in der Hand hat ...

Häusler: Der Kompromiss ist täglicher Teil der Politik. Zu viele Kompromisse sorgen jedoch immer für ein Vergraulen von Stammwählern. Fragen Sie mal die Grünen und die Sozialdemokraten. Anständige Politikerinnen und Politiker tragen weder Ego noch Parteiabzeichen noch Firmenlogos vor sich her, sondern arbeiten vielmehr mit einer gewissen Selbstlosigkeit. Anstand ist ein großes Wort, aber der moralische Faktor muss dringend wieder Einzug halten ins politische System, zumal er in der Wirtschaft längst unter die Räder gekommen ist. Die einfachen Fragen, die sich Politiker, aber auch Konzernchefs zur Selbstregulierung regelmäßig stellen sollten, lauten: Kann ich nach getaner Arbeit noch in den Spiegel schauen? Kann ich die Entscheidungen, die ich täglich treffe, wirklich verantworten? Lüge ich meine Kinder an, wenn sie mich fragen, was ich heute im Büro gemacht habe?

STANDARD: Auch in der Bevölkerung gibt es viele Menschen, die sich des Problems nicht bewusst sind oder es gar leugnen. Wie rüttelt man sie auf? Ihr Buch ist ein wenig wie Predigen in der eigenen Kirche.

Häusler: Wie man ins Bewusstsein des ganz normalen Bürgers gelangt, ist tatsächlich eine Kernfrage. Ich glaube, dass die Politik in dieser Frage an ihre Grenzen gestoßen ist. Sie wird es nicht schaffen, die Menschen in nachhaltig denkende Wesen zu transformieren – gerade weil dieser ganze ökologische Themenkomplex zum Teil missbraucht wird, um Stimmung zu machen und aufzuhetzen. Ernährung oder Mobilität sind zu quasi-religiösen Themen geworden. Medien wiederum müssen sich überlegen: Wollen wir lauter Heimspiele, bei denen uns der Applaus sicher ist? Oder schaffen wir es, alle Menschen anzusprechen? Das muss doch eigentlich unser Grundauftrag sein. Buchautorinnen und Buchautoren müssen deshalb extrem kreativ werden. Wir werden die Leute kaum noch erreichen, indem wir einfache Sachbücher schreiben, die nur aus Buchstaben und Zahlen bestehen.

STANDARD: In Ihrem Buch versuchen Sie einen ästhetischen Zugang. Ist das ein solcher Versuch, mehr Menschen zu erreichen?

Häusler: Absolut. Information wird heutzutage ganz anders konsumiert, schneller, bunter, kompakter, deshalb gilt es, auch politische oder wissenschaftliche Sachbücher sexy zu machen. Ein Buch muss zu einem Leseerlebnis werden, und dazu gehört eine kreative Optik. Auf jeder Doppelseite sollte etwas passieren, das einen staunen lässt. Und wie die Politiker sollten auch wir Journalisten nicht mit unserem Ego am Schreibtisch sitzen und so formulieren, dass es dem Klimaforscher gefällt. Nein, wir müssen übersetzen. Sprache muss deutlich sein, wir müssen Worte finden, die alle verstehen und die Hirn wie Herz erreichen. Wir müssen mit Assoziationen und Vergleichen arbeiten, Sachverhalte auf den Alltag herunterbrechen. So kann es vielleicht gelingen, mehr Menschen zu erreichen.

STANDARD: Wie sieht gute Klimakommunikation aus? Muss sie immer zwingend konstruktiv sein?

Häusler: Es sollte schon viel über Vorbilder und mutige Pioniere berichtet werden, etwa über Start-ups, die alten Problemen neue Lösungen entgegenstellen. Aber dabei darf es nicht bleiben. Wir können den Leuten nicht nur erzählen, dass Gründerin X eine Lösung für Problem Y gefunden hat. Bei aller Konstruktivität muss auch immer wieder gesagt werden, was falsch läuft, wo die Täter sitzen, wo Umweltverbrechen stattfinden, wo mal wieder eine Industriebranche durchregieren konnte, was uns droht, wenn zu viele Arten sterben. Wir müssen die Finger in die Wunden legen. Wir dürfen nicht in übertriebenen Nachhaltigkeitsjubel ausbrechen.

Oft wird dem Journalismus vorgeworfen, er würde unnötig apokalyptische Szenarien entwerfen. Ich finde, man kann Leserinnen und Lesern den Blick in den Abgrund nicht ersparen. Nur dadurch wird klar, was schiefläuft. Nur dadurch schafft man Bewusstsein und Aktivität. (Lisa Breit, 6.2.2024)