Reinhold Mitterlehner
Reinhold Mitterlehner ist noch immer ÖVP-Mitglied und hält ihre inhaltliche Positionierung in den Grundwerten auch für sich richtig.
Heribert Corn

Der ehemalige, von Sebastian Kurz "weggeputschte" ÖVP-Chef und frühere Vizekanzler Reinhold Mitterlehner fürchtet, dass seine ausdrückliche "Nicht-Wunschkoalition", nämlich eine zwischen FPÖ und ÖVP, nach der kommenden Nationalratswahl nicht so ausgeschlossen ist, wie die ÖVP unter Karl Nehammer rhetorisch immer wieder bekundet. Mitterlehner traut diesen Aussagen nicht ganz. Im ORF-Gesprächsformat "Bei Budgen" erklärte er nämlich auf die Frage, welche Koalitionsvarianten er für am wahrscheinlichsten halte: "Ganz ehrlich gesagt, diese Versprechungen und Aussagen ,nicht mit' halte ich für relativ problematisch, weil der Wähler einfach schon Erfahrungswerte hat. In einigen Bundesländern ist es dann ja anders passiert", spielte er auf Niederösterreich und Salzburg an, wo nach der Wahl mit der FPÖ eine Koalition gebildet wurde, obwohl das vorher immer in Abrede gestellt worden war. Es gelte: "Vor der Wahl ist vor der Wahl und nach der Wahl ist nach der Wahl. Ich würde da jetzt auf jeden Fall nichts ausschließen, weil dann möglicherweise ganz andere Konstellationen da sind."

Es werde schwierig angesichts der Umfragewerte jetzt, "die FPÖ noch zu überholen". Es werde auch schwierig sein, weiterhin die Erwartungshaltung zu pflegen, dass die FPÖ wie damals im Jahr 2000 keinen Anspruch auf das Kanzleramt erheben werde. "International hat sich alles geändert, alles viel weiter rechts. Das wird eine problematische Situation", glaubt Mitterlehner. Zumal auch eine rechnerisch mögliche Dreierkoalition vor schwierigen inhaltlichen Fragen stehen werde. "Das Koalitionsgezerre, auch inhaltlicher Art, wird nicht ohne sein."

"Viel bessere Angebote gibt's eigentlich nicht"

Abgesehen von einem grundsätzlichen Nein zu einer Zusammenarbeit zwischen ÖVP und FPÖ, die "nicht meine Wunschkoalition" ist, seien ihm "Werte wie Chancengleichheit für Bildung und Ausbildung, dass wir mit Blick auf Migranten nicht Bürger zweierlei Klassen haben, auch wenn man da etwas restriktiver sein muss, Leistungsorientierung, Eigentum und klare Europaorientierung inhaltlich wichtig". Ausgehend von dieser Auflistung sagte Mitterlehner, der noch immer ÖVP-Mitglied ist, auf die Frage, ob er die Volkspartei auch wählen wird, Folgendes: Wenn er sich das Parteienspektrum anschaue, komme er zum Schluss: "Viel bessere Angebote gibt's eigentlich nicht." Was Grundwerte und Grundpositionen angehe, die auch im Vorfeld zur Nehammer-Rede in Wels, wo er seinen "Österreichplan" vorgestellt hat, diskutiert wurden, "was Eigentum, Leistung, hoffentlich auch Europazentrierung angelangt", hätte die ÖVP "eigentlich gute Voraussetzungen."

Langfassung: Langfassung: "Bei Budgen" mit Reinhold Mitterlehner
Bei Patrick Budgen war diesmal der ehemalige ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner zu Gast.
ORF

Von den Umverteilungsideen der SPÖ halte er wenig, "von der FPÖ gar nicht zu reden", von der Inhalten her seien die Neos für ihn "einigermaßen akzeptabel", was die inhaltliche Ausrichtung anlange, auch die Grünen.

Ganz allgemein sagte Mitterlehner zu Nehammers programmatischer Rede am Freitag in Wels, dass es "durchaus legitim und gut" sei, "bestimmte Punkte zu besetzen" und sich "entsprechend zu positionieren". Das sei aber auch "eine Frage der rechtlichen Qualität", also ob Vorschläge wie Sachleistungen für Migranten auch vor dem Höchstgericht halten, wenn eine ähnliche Regelung schon einmal aufgehoben wurde oder, wenn man Steuern senken wolle, sei zu beantworten: "Und wie?"

Türkis-Grün unter Wert geschlagen

Zur Performance der türkis-grünen Regierung sagte der Ex-Vizekanzler, "dass sie manches Mal unter ihrem Wert geschlagen wird". Als Positivbeispiele nannte er die Abschaffung der kalten Progression oder die Einführung des Klimatickets: "Das waren durchaus gute Maßnahmen." Allerdings sei da "halt das Gefühl, dass man sich eher im Kleinbereich versteigt, wenn ich an die Geschichte mit Bargeld in der Verfassung denke oder auch jetzt das Binnen-I". Damit spielte Mitterlehner auf das von Nehammer geforderte Gender-Verbot in der Verwaltung und in Bildungseinrichtungen an. Binnen-I, Gendersternen und Doppelpunkt sollen untersagt, stattdessen beide Geschlechterformen genannt werden. Mitterlehner hält das für eine "Scheindiskussion", viel wichtiger wären reale Verbesserungen, etwa bei gleichen Löhnen für Frauen und Männer sowie mehr Kinderbetreuungsangebot.

Er verstehe zwar, dass die ÖVP auch Themen besetzen wolle, "die die Freiheitlichen scheinbar besser besetzt haben", aber Mitterlehner erinnerte an das "Schmiedl-Schmied-Prinzip", wonach das vor allem der FPÖ nütze. Die wirklich wichtigen Themen aus Mitterlehners Sicht sind die Fragen "Was kann ich mit meinem Geld tun?" und "Wie schaut's mit der Inflation aus?" Gerade in der Inflationsbekämpfung habe die amtierende Regierung allerdings "bisher auf falsche oder teilweise falsche Maßnahmen gesetzt", kritisierte Mitterlehner, der selbst Wirtschaftsminister war. Es sei "Unsinn, die Kaufkraft dauernd stärken zu wollen, wenn ich die Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren drohe, wenn die Löhne so hoch steigen." Immerhin habe Österreich 60 Prozent Exportquote.

Im Klimaschutzbereich sieht er sowohl die Bevölkerung als auch die Regierung mit zu wenig Nachdruck dran zu sein: "Da fahren wir schon mit großer Geschwindigkeit an eine Mauer." (Lisa Nimmervoll, 27.1.2023)