Budapest, Februar 2023: Deutsche Neonazis in Wehrmachts- und SS-Uniformen beim
Budapest, Februar 2023: Deutsche Neonazis in Wehrmachts- und SS-Uniformen beim "Check-in" zum SS-Gedenken namens "Tag der Ehre".
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Am Montag begann vor dem Budapester Stadtgericht ein für Ungarn ungewöhnliches Strafverfahren gegen zwei deutsche Antifaschisten und eine italienische Gesinnungsgenossin. Die Anklage wirft ihnen die Beteiligung an einer Serie von Gewalttaten gegen Menschen vor, die die Täter für Rechtsextremisten hielten. Bei fünf tätlichen Angriffen auf Menschengruppen oder einzelne Personen wurden zwischen dem 9. und 11. Februar des Vorjahres in Budapest laut Anklage neun Menschen verletzt, sechs von ihnen schwer. Unter ihnen waren ungarische Staatsbürger und Ausländer. Die Angreifer sollen ihre Opfer geschlagen, getreten und mit Hämmern und Teleskopschlagstöcken traktiert haben.

Der angeklagte Mann, ein Deutscher, bekannte sich am Montag laut einem Bericht des Nachrichtenportals "hvg" schuldig, sah jedoch das geforderte Strafmaß als überhöht an. Die beiden angeklagten Frauen bekannten sich nicht schuldig. Der Mann wurde noch am Montag zu drei Jahren Haft verurteilt. Der Staatsanwaltschaft forderte 3,5 Jahre und legte Berufung ein, so geht das Verfahren in die nächste Instanz.

Die brutalen Angriffe ereigneten sich im Umfeld eines großen internationalen Neonazi-Aufmarsches und SS-Gedenkens. Seit 1997 treffen sich Rechtsextremisten aus ganz Europa jährlich in Budapest zum sogenannten Tag der Ehre. Sie erinnern an die letzten und erfolglosen Gefechte deutscher SS-Verbände und ungarischer Hilfstruppen in den Hügeln bei Budapest gegen die vorrückende sowjetische Rote Armee am Ende des Zweiten Weltkriegs im Februar 1945. Am Rande dieser Kundgebungen kommt es immer wieder zu Gewalttaten von Neonazis gegen wirkliche oder vermeintliche Antifaschisten.

Im Vorjahr war es das erste Mal, dass sich unter die Antifaschisten, die friedlich gegen das SS-Gedenken zu demonstrieren pflegen, auch gewalttätige Linksextremisten mischten, die wirkliche oder vermeintliche Rechtsextremisten zusammenschlugen. Die Italienerin Ilaria S., die im nunmehrigen Budapester Strafverfahren als Erstangeklagte firmiert, ist eine Volksschullehrerin aus Mailand und Aktivistin der dortigen Antifa-Szene. Über ihren ungarischen Anwalt György Magyar bestreitet sie jede Schuld.

Angriffe auch in Deutschland

Die beiden deutschen Angeklagten, Tobias E. und Anna M., werden wiederum der sogenannten Hammerbande zugerechnet, die in Deutschland seit etlichen Jahren ähnlich brutale Angriffe auf Personen ausführt, die die Mitglieder der Bande für Rechtsextremisten halten – und oft mit solchen verwechseln. Im Mai des vorigen Jahres verurteilte ein Gericht in Dresden die Studentin Lina E., eine Rädelsführerin der Gruppe, zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren und drei Monaten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, das Berufungsverfahren hat noch nicht stattgefunden.

Kundgebung gegen den
Kundgebung gegen den "Tag der Ehre" im vergangenen Februar in Budapest. Nicht immer blieben die Proteste friedlich.
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Nach Darstellung der ungarischen Strafbehörden sollen an den Angriffen im Vorjahr 17 Linksextremisten beteiligt gewesen sein. 14 von ihnen konnten sich anschließend aus Ungarn absetzen, gegen sie läuft eine internationale Fahndung. Unter ihnen sind mindestens sechs Männer und Frauen, die der "Hammerbande" zugerechnet werden, unter ihnen deren eigentlicher Kopf Johann Guntermann. Der Verlobte von Lina E. ist seit Jahren untergetaucht, nach ihm fahnden auch die deutschen Behörden. Im Zusammenhang mit den Überfällen im Vorjahr schrieben die Ungarn zehn Deutsche, zwei Italiener, einen Albaner und einen Syrer zur Fahndung aus.

Den Angeklagten im Budapester Strafverfahren drohen langjährige Gefängnisstrafen. Die Staatsanwaltschaft wirft Ilaria S. versuchte lebensgefährliche Körperverletzung als Mitglied einer verbrecherischen Organisation vor. Tobias E. und Anna M. werden der Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation beschuldigt. Weitere Einzelheiten gehen aus der diesbezüglichen Mitteilung der Staatsanwaltschaft nicht hervor. Im Falle der Italienerin verlange die Anklage elf Jahre Zuchthaus, wie ihr Anwalt Magyar gegenüber Medien sagte.

Mit zweierlei Maß

Im rechtspopulistisch regierten Ungarn behandeln Polizei und Staatsanwaltschaft rechte und linke Straftaten durchaus ungleich. Schlagen Rechtsextremisten echte oder vermeintliche Antifaschisten zusammen, werden sie häufig nur wegen tätlicher Angriffe und Hooliganismus angeklagt und verurteilt. Der Anklagetatbestand der Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation fährt hingegen in dem Verfahren gegen die Linksextremisten viel schwerere Geschütze auf.

Im Vorjahr fiel auf, dass die Budapester Polizei wegen der Gewalttaten der internationalen Linksextremisten eine pompöse Pressekonferenz abhielt. Im gleichen Zeitraum schlugen ungarische Rechtsextremisten fünf unpolitische Passanten zusammen, die sie fälschlicherweise für Antifaschisten hielten. Zwei der Angegriffenen mussten mit Verletzungen ins Krankenhaus. Die Polizei begnügte sich bei der medialen Vermittlung dieses Vorfalls mit einer knappen Pressemitteilung. (Gregor Mayer aus Budapest, 28.1.2024)