Eine Frau sitzt im Gazastreifen auf einer Bank, dahinter ein UN-Fahrzeug.
Im Gaza-Krieg geraten auch die UN ins Kreuzfeuer der Kritik.
AFP/-

Während die rund 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen akutem Hunger, Seuchen und fehlender medizinischer Hilfe ausgesetzt sind, steckt die wichtigste Hilfsorganisation im Gazastreifen in der schwersten Krise seit ihrer Gründung. Wegen massiver Vorwürfe gegen Mitarbeiter des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) haben deren wichtigste Geldgeber ihre finanzielle Unterstützung eingefroren: Mit Stand Sonntag waren dies die USA, Kanada, Australien, Großbritannien, Deutschland, Italien, Finnland, die Niederlande und die Schweiz. Nicht aber Österreich, dessen Regierung vor einer Entscheidung volle Aufklärung verlangt.

Damit droht dem zentralen Betreiber der Hilfsinfrastruktur im Gazastreifen der Kollaps. In Friedenszeiten sind drei Viertel der Menschen im Gazastreifen von der Hilfe der UN-Agentur abhängig; angesichts des Krieges und des völligen Zusammenbruchs aller wirtschaftlichen Aktivität muss die Agentur nun auch Menschen versorgen, die sonst nicht auf UN-Hilfe angewiesen wären. UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese bezeichnete die Einstellung der Geldflüsse als "unverantwortlich und unmoralisch".

Massive Vorwürfe

Die Vorwürfe, die Israel gegen zwölf Beschäftigte des Hilfswerks erhebt, wiegen schwer. Laut dem israelischen Inlandsgeheimdienst waren die betreffenden Mitarbeiter in das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 involviert – konkrete Details sind nicht bekannt. Schon zuvor waren Berichte aufgetaucht, wonach in einer Whatsapp-Gruppe, zu der rund 3000 UNRWA-Mitarbeiter Zugang haben sollen, Hamas-Verbrechen an israelischen Zivilisten verharmlost oder sogar verherrlicht wurden. Gegenüber CNN erhob die israelische Armee zudem den Vorwurf, UNRWA-Räumlichkeiten seien für "terroristische Zwecke" genutzt worden.

UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich "entsetzt" über die Berichte und verlangte sofortige Aufklärung. Guterres verwies zudem darauf, dass von den zwölf mutmaßlich in terroristische Aktivitäten verwickelten UNRWA-Beschäftigten neun bereits entlassen worden seien; ein weiterer sei nicht mehr am Leben, die zwei übrigen Beschäftigten müssten erst ausfindig gemacht werden. UNRWA hatte bereits vor zehn Tagen angekündigt, dass unabhängige Experten die Tätigkeiten der Agentur überprüfen werden.

Nicht alle europäischen Staaten schließen sich der UNRWA-Blockade an. Norwegens Vertretung in den Palästinensergebieten betont, man werde die Agentur weiter unterstützen. Die Berichte über mögliche Terrorunterstützung seien "zutiefst verstörend und, wenn wahr, absolut inakzeptabel". Es sei aber notwendig zu differenzieren, "was Individuen getan haben mögen und wofür UNRWA steht".

UNRWA-Chef Philippe Lazzarini versprach zwar volle Aufklärung, bezeichnete den Rückzug der Geldgeber aber als "kollektive Bestrafung" der Palästinenser, da sie den Kollaps der humanitären Leistungen im Gazastreifen bedeuten. "Ich bin schockiert, dass solche Entscheidungen auf der Grundlage von Vorwürfen gegen wenige Individuen getroffen werden." Die Agentur beschäftigt insgesamt 30.000 Menschen, davon 13.000 im Gazastreifen – andere im Westjordanland, im Libanon, in Jordanien und auch in Syrien.

Am Freitag hatte der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag der israelischen Regierung eine Reihe sofortiger Maßnahmen verordnet, um ein weiteres Massensterben im Gazastreifen zu unterbinden. Unter anderem wurde Israel aufgefordert, konkrete Schritte zu ergreifen, damit sich die katastrophale humanitäre Lage entspannt. Zudem sprach sich der IGH für eine sofortige Freilassung aller Geiseln aus.

Verhandlungen zu Geiseln

Südafrika hatte Israel vor den Gerichtshof gebracht und verlangt, dass dieser eine sofortige Waffenruhe in Gaza anordnet. Dafür sah der IGH aber keine Notwendigkeit.

Nun könnte es aber von anderer Seite zu einem vorübergehenden Schweigen der Waffen in Gaza kommen: Laut US-Medienberichten, die in Israel vorerst nicht bestätigt werden, scheint ein neuer Geisel-Deal nicht mehr allzu weit entfernt zu sein. Im Zuge einer temporären Waffenruhe könnten mehr als 100 Geiseln freikommen.

Am Sonntag trafen sich für weitere Verhandlungen in Paris die Chefs der Auslandsgeheimdienste der USA, Israels und Ägyptens mit dem katarischen Regierungschef Mohammed bin Abdelrahman al-Thani. Bisher waren die Verhandlungen über einen zweiten Geisel-Deal gescheitert, weil die Hamas auf einer unbefristeten Waffenruhe bestand.

Ende November waren im Zuge einer von Katar, Ägypten und den USA vermittelten einwöchigen humanitären Feuerpause 105 Hamas-Geiseln im Gegenzug für 240 in Israel inhaftierte Palästinenser freigekommen. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 28.1.2024)