Nur zwölf Kilometer Abfahrten hat das kleine, nicht besonders hoch gelegene Skigebiet Salzstiegl in der Weststeiermark. Doch mittlerweile kommen gar nicht so wenige Leute hierher, vor allem aus dem rund eine Stunde entfernten Graz. Sie alle möchten glauben, das Bergerl sei noch ein echter Geheimtipp. Die Pisten sind abwechslungsreich, zum Touren- und Schneeschuhgehen gibt es genügend Gelände, und manche reisen auch nur wegen der nachts beleuchteten Rodelbahn an oder wegen der großartigen Buchteln auf der Sunnhütte.

An diesem Tag drehen sich die beiden Windräder am Salzstiegl besonders flott. Das Besondere an diesem Skigebiet: Die Windenergie deckt den gesamten Strombedarf der Infrastruktur, konstant hohe Überschüsse werden ins Netz eingespeist. Wenn also ein Skigebiet schon mit nachhaltiger Energie versorgt wird, müsste es doch auch ein ideales Ziel für E-Autos sein, so die Vermutung. Quasi eine rundum saubere Sache von der Anreise bis zum Freizeitvergnügen. Doch schon die erste Nachschau per App, die österreichweit verfügbare Ladestationen anzeigt, macht klar: Fehlanzeige. Ladeinfrastruktur gibt’s keine am Salzstiegl. Sie zu installieren ergibt für den Betreiber wohl erst Sinn, wenn mehr Leute mit E-Auto kommen.

Ein Polestar 2 auf Schneefahrbahn
Geht es auf der Schneefahrbahn bergab, erhöht sich die Reichweite des E-Autos wieder
Sascha Aumüller

Als Kleinfamilie ohne Erfahrungen mit der E-Mobilität ließen wir uns nicht entmutigen und borgten einen Polestar 2 mit permanentem Allradantrieb und einer nominellen Reichweite von bis zu 568 Kilometer aus, um an einem sonnigen, aber eiskalten Wochenende dorthin zu fahren. Mit dem Zweck, vielleicht naiven Fragen wie diesen auf den Grund zu gehen: Taugen E-Autos mit vernünftiger Reichweite schon für spontane Winter-Wochen­end-Ausflüge in eine abgelegene Berggegend? Und welche Einschränkungen oder Wartezeiten muss man in Kauf nehmen, um Schneeschuhe im Kofferraum eines Stromers zu transportieren?

Details wie die Reichweite

Der protokollführende Fahrer saß zum ersten Mal in seinem Leben hinter dem Steuer eines E-Autos. Als er den schneeweißen Polestar in Wien übernahm, ergaben sich zunächst ein paar nebensächliche Fragen: Wie stellt man ohne Motorengeräusch fest, ob das Ding an oder aus ist? Und wo befindet sich überhaupt der Knopf zum Ein- und Ausschalten? Nachdem derlei unwichtige Details dank eines digitalen Handbuchs geklärt werden konnten, fiel der Blick sofort auf die Reichweitenanzeige: Der zu 86 Prozent geladene Akku wird uns morgen 360 Kilometer weit bringen. Warum so wenig? War nicht von fast 600 Kilometer die Rede? Die Erklärung liefert das Auto gleich selbst mit einem Schneekristall neben der Akkuanzeige, die sagen will: Wenn es kalt ist, komm ich nicht ganz so weit.

Schneeschuhe vor dem Gipfel des Speikkogel
Auch entlegene Gipfel für Schneeschuh- und Tourengeher sind bei guter Planung mit dem E-Auto kein Problem
Sascha Aumüller

Als nach einer kurzen Fahrt in Wien und einer eisigen Nacht der Akku vor dem Aufbruch tags darauf nur mehr 340 Kilometer versprach, kamen erste Zweifel auf: Kann sich das ausgehen bis ins Skigebiet? Zumal Freunde, die schon vor Ort waren, gewarnt hatten, die kürzere Route sei total eisig und man solle doch den längeren, aber sichereren Weg nehmen. Anstelle von 231 waren es plötzlich 291 Kilometer. Das könnte knapp werden – oder ohnehin eine schlechte Idee ohne Zwischenladen. Denn der Akku muss ja auch noch reichen, um von einem Berg ohne Lademöglichkeit wieder runterzukommen.

Viel Reichweite in einer halben Stunde

Der Zwischenstopp bei der Raststation Kaiserwald südlich von Graz war dann nur ein kurzer. In genau 30 Minuten hatte der Akku wieder 85 Prozent seiner Kapazität erreicht. Das sollte genügen, um noch knapp 90 Kilometer weit bis an Ziel zu kommen und das Auto ab Freitag zwei kalte Nächte lang stehen zu lassen. Der einzige Anfängerfehler bestand darin, während des Ladevorgangs auch Kalorien in der Raststation auftanken zu wollen: Man macht ihn aber eh nur ein einziges Mal, nachdem man 26 Euro Lehrgeld für drei Getränke und zwei Portionen wirklich traurige Pommes bezahlt hat.

Bergkulisse am Salzstiegl
Zwei Nächte unter -10° C kosten ein E-Auto ein wenig Reichweite.
Sascha Aumüller

Auf der etwas eisigen Schneefahrbahn zum Salzstiegl machte der Allrad des Autos dann den Eindruck, als würde er uns sicher wie auf Schienen zu jedem Ziel bringen. Bis zur Passhöhe hat es an diesem Freitagabend jedenfalls gereicht.

Nachdem der Polestar zwei Tage lang bei bis zu Minus elf Grad am Berg ausgeharrt hatte, ging es am Sonntagnachmittag mit nur leichten, kältebedingten Akkuverlusten und 120 Kilometer Reichweite wieder retour nach Wien. Dann, nach den ersten Kilometern eine Überraschung: Die Reichweite legte wieder konstant zu, weil bergab Energie zurückgewonnen wird. Als wir wieder am bekannten Ladestutzen bei Graz hingen, standen schon stolze 260 Kilometer Reichweite auf dem Display. Also erlaubten wir uns nun eine kürzere Ladepause (gut 20 Minuten) für den Rückweg nach Wien.

Eisfrei, kuschelig und schonend

Am Sonntagabend in der guten Wiener Stube dann das Familien-Fazit: Haben 50 Minuten mehr Reisezeit an einem ganzen Wochenende einen bleibend negativen Eindruck von winterlicher E-Mobilität hinterlassen? Definitiv nicht. Auch Einschränkungen gab es keine, eher im Gegenteil sogar Vorteile: Wenn man ein E-Auto vor der Abfahrt vorheizt, ist es innen nicht nur kuschelig und außen eisfrei, sondern der Vorgang schont auch den Akku. Kann man also mit einem ehrlichen "Hat ohne Schwierigkeiten funktioniert" zurückgeben.

Doch vor der Rückgabe packte den Fahrer noch das schlechte Gewissen: Sollte er das Auto Montagfrüh wirklich mit fast leerem Akku zurückgeben? Was, wenn sich dieser über Nacht ganz entleert? Also wurde der Polestar um den Block bewegt, weil eine potente Zapfsäule zum Schnellladen ganz in der Nähe ist. Das wissen aber auch andere Fahrer von Stromern, beide Kabel waren leider besetzt. Bis man mit einem E-Auto ohne eigene Tanke ins Bett kommt, kann es am Sonntagabend schon etwas später werden. Was nichts daran ändert, dass ein Wochenende in den winterlichen Bergen für so ein Fahrzeug keine Herausforderung mehr darstellt. (saum, 4.2.2024)