Untersiebenbrunn – Martin Gudernatsch geht mit dicker Winterjacke, Haube und festem Schuhwerk auf einem Feldweg in Untersiebenbrunn. Nur wenige Meter neben dem Weg rauscht ein Zug vorbei. Der Wind pfeift über die Felder. Seit Stunden liegt eine dicke Nebelschicht über der niederösterreichischen Gemeinde im Marchfeld, die vielen Äcker rund um den Ort sind kaum zu erkennen.

Doch der gebürtige Niederösterreicher kennt den Weg genau. Den Spazierweg entlang des Stempfelbachs, ein Naherholungsgebiet mit Sitzbänken und Radweg, geht Gudernatsch seit seiner Kindheit. Hier zu sein, habe ihn immer mit schönen Erinnerungen erfüllt, sagt er dem STANDARD.

Doch seit längerer Zeit ist ihm hier anders zumute. Auf jenem Acker, auf dem Gudernatsch gerade noch von Erholung und Rückzugsort sprach, plant ein örtliches Transportunternehmen eine Baustoffrestmassedeponie – also die Ablagerungen von Materialien, die auf Baustellen nicht mehr gebraucht werden. Die verbrauchten Baustoffe sollen hier auf eine Höhe von 23 Metern aufgeschüttet werden, das Gebiet der Deponie soll sich auf mehrere Hektar erstrecken.

Für Gudernatsch gleicht das einer Katastrophe. "Einen schlimmeren Platz für eine Deponie gibt es eigentlich nicht, außer vielleicht den Friedhof", meint Gudernatsch. Denn: Der geplante Standort für die Deponie befindet sich zum Teil inmitten eines Natura-2000-Gebiets. Dieses soll dem Schutz der dort angesiedelten gefährdeten Tier- und Pflanzenarten dienen.

Martin Gudernatsch zeigt auf den Acker, der in eine Deponie verwandelt werden soll. Das Gebiet umfasst mehrere Hektar.
Christian Fischer

Seit mehreren Monaten geht der Untersiebenbrunner gerichtlich gegen das Projekt vor. "Ich sehe das als Pflicht im Namen der Bevölkerung. Die Gemeinde tut ja nichts", sagt Gudernatsch. Er gründete im Jahr 2021 eine Bürgerinitiative und sammelte Unterschriften, um gegen das Projekt Beschwerde einzulegen. Mit Erfolg. Die Initiative legte in vier Punkten – Lärm, Umwelt, Landschaftsbild und Geologie – Beschwerde ein, das Projekt landete im Herbst 2023 vor dem Bundesverwaltungsgericht. Ohne die Beschwerden der Bürgerinitiative wäre das Projekt schon so gut wie durch. Das Land Niederösterreich gab bereits grünes Licht, eine Prüfung zur Umweltverträglichkeit (UVP) wurde bereits durchgeführt und genehmigt, bestätigt das Land auf Anfrage.

In Untersiebenbrunn rauschen Lastwägen im Minutentakt durch den Ort.
Christian Fischer

Für Untersiebenbrunn, wo rund 1.800 Personen wohnen, wäre es schon die achte Deponie am Rande des Orts. Dutzende Lastwägen, die im Minutentakt durch die Gemeinde rauschen, zählen genauso zu dem Ortsbild wie die mit durch den Schwerverkehr verursachten Dreck überzogenen Straßen. "Eine weitere Deponie würde die Lebensqualität in unserem Ort aber nochmals verschlechtern", ist Gudernatsch besorgt.

Land verweist auf Gutachten

Das Land Niederösterreich verweist auf die schon durchgeführte UVP. Bedeutend sei vor allem die Situation der bedrohten Vogelart des Triels, der in dem Gebiet brütet. "Das Tier hat dort ausreichend Lebensraum. Mehrere Gutachten haben festgestellt, dass das Projekt den Triel nicht beeinträchtigt", sagt Leopold Schalhas, Abteilungsleiter für Anlagenrecht und zuständig für die UVP beim Land Niederösterreich.

Abseits des Triels sorgt sich Gudernatsch aber vor allem um die Untersiebenbrunner Bevölkerung. "Bei uns kommt der Wind meist aus Südost. Wird die Deponie dort im Osten des Ortes errichtet, würde der ganze Dreck und Staub ins Ortsgebiet geblasen werden", erklärt Gudernatsch.

Doch warum regt sich ausgerechnet bei der achten Deponie Widerstand? Die bestehenden Deponien befinden sich laut Gudernatsch nördlich der Gemeinde, da blase der Wind keinen Staub in den Ort. "Als Naherholungsort kannst du das Gebiet hier dann sowieso vergessen. Erst vor kurzem wurde ein Radweg gebaut, doch mit der Deponie würde hier keiner mehr fahren wollen", meint Gudernatsch.

Sieben Deponien prägen bereits das Landschaftsbild der Gemeinde Untersiebenbrunn.
Christian Fischer

Und was sagt die Gemeinde Untersiebenbrunn dazu? Auf Anfrage des STANDARD heißt es von Bürgermeisterin Dagmar Zier (ÖVP), dass die Kommune bereits im Jahr 2021 eine Stellungnahme bezüglich des Projekts abgegeben und Bedenken hinsichtlich der Staubemissionen und der Verkehrsbelastung geäußert hat. Mehr habe die Gemeinde nicht unternehmen können. "Wir sind Standortgemeinde und nicht die zuständige entscheidungsbefugte Behörde", betont Zier. Es sei aber geplant, eine Umfahrungsstraße zu errichten, die den Ortskern vom Schwerverkehr entlasten soll. Zur Umsetzung fehle laut Zier lediglich noch die Zustimmung des Landes.

An den Standort der geplanten Deponie grenzen Spazierwege und ein Naherholungsgebiet. Eine örtliche Bürgerinitiative befürchtet, dass das Gebiet zerstört wird.
Christian Fischer

Letzter Gerichtstermin

Gudernatschs Hoffnungen ruhen auf dem 16. Februar. An diesem Tag ist der Niederösterreicher das letzte Mal bei Gericht. Verhandelt wird über den Punkt Umwelt und ob die Deponie das Naturschutzgebiet beeinträchtigen würde. Danach entscheidet das Bundesverwaltungsgericht, ob das Projekt rechtens ist. In den Punkten Landschaftsbild, Geologie und Lärm, in denen die Bürgerinitiative ebenfalls Beschwerde eingelegt hatte, sei die Verhandlung laut Schalhas bereits geschlossen, das Ergebnis ist noch offen.

Martin Gudernatsch befürchtet eine massive Verschlechterung im Naherholungsgebiet rund um den Stempfelbach in Untersiebenbrunn.
Christian Fischer

Die Hoffnungen bei Gudernatsch schwinden jedenfalls, die finanziellen Mittel sind beinahe ausgeschöpft. Finanzielle Unterstützung bekam die Bürgerinitiative zwar von den Grünen, rund 7.000 Euro, den Großteil bezahlte Gudernatsch aber aus eigener Tasche. Bislang habe der Untersiebenbrunner einen fünfstelligen Betrag in das Gerichtsverfahren investiert. Fortführen will er den Kampf gegen die Deponie jedenfalls bis zum 16. Februar, "danach sind die rechtlichen Mittel in Österreich ausgeschöpft. Uns würde nur noch der Gang zum Europäischen Gerichtshof bleiben", sagt Gudernatsch. (Max Stepan, 1.2.2024)