Es war eine Nacht im Jänner 2023, die das Leben von Thomas Wagner, seiner Frau Stephanie Holzhuber und ihrem damals sieben Monate alten Sohn Max für immer auf den Kopf stellen sollte. Die drei waren erst kurz davor vom weihnachtlichen Österreich in ihre Wahlheimat Singapur zurückgekehrt. Um vier Uhr früh hatte Max plötzlich einen epileptischen Anfall, der fast eine halbe Stunde andauerte. Mit der Ambulanz ging es in die Universitätsklinik Singapur. Erste Untersuchungen deuteten bereits auf eine Leukodystrophie hin.

Familie Wagner
Stephanie Holzhuber und Thomas Wagner mit ihrem Sohn Max.
Wagner

Leukodystrophien sind eine Gruppe von genetischen Erkrankungen, die das zentrale Nervensystem betreffen. Charakterisiert sind sie durch eine progressive Zerstörung der weißen Substanz des Nervensystems, die vorwiegend aus Myelin besteht. Myelin umhüllt und isoliert die Nervenfasern, um eine schnelle Signalübertragung zu gewährleisten. Vereinfacht gesagt wird bei Leukodystrophien das Myelin beschädigt oder nicht richtig gebildet. Das führt zu einer Vielzahl von neurologischen Problemen, weil die Nervensignale nicht mehr effizient übertragen werden können.

Niederschmetternde Diagnose

Nach weiteren epileptischen Anfällen und Krankenhausaufenthalten ergab ein Gentest im Februar 2023 die Diagnose Alexander-Krankheit (AxD), eine seltene Erkrankung aus der Gruppe der Leukodystrophien, und keine guten Aussichten für Max: unheilbar, Lebenserwartung fünf bis zehn Jahre – verbunden mit graduell schwindenden kognitiven und motorischen Fähigkeiten, Symptomen wie Schluckschwierigkeiten und Erbrechen. Dazu noch die Ungewissheit, ob Max jemals sprechen oder gehen können wird.

Nach dem anfänglichen Schock keineswegs bereit aufzugeben, begannen sich die Eltern zu informieren und Kontakte mit den wenigen Forschungseinrichtungen zu knüpfen, die sich Morbus Alexander gewidmet haben. Es gibt vielversprechende Forschungsansätze, allein es fehlt oft das Geld für die Fortführung von Projekten. Sie starteten eine weltweite Online-Spendenkampagne, um die am weitesten fortgeschrittenen Forschungsprojekte zu unterstützen.

Sohn Max
Max ist von der seltenen Alexander-Krankheit betroffen.
Thomas Wagner

Entscheidende Entdeckung

Ein Teil des Geldes ging bereits an das Alexander Disease Lab am Waisman Center der University of Wisconsin-Madison (USA). Am Waisman Center machte ein Forscherteam um Albee Messing um das Jahr 2000 eine entscheidende Entdeckung. "Wir haben bewiesen, dass es eine genetische Krankheit ist und dass dafür GFAP verantwortlich ist", sagte Messing dem STANDARD.

Verlässliche Zahlen über die Inzidenz der Alexander-Krankheit liegen nicht vor. Fest steht nur, dass die Krankheit extrem selten ist. Messing schätzt, dass weltweit in etwa eine Person von einer Million davon betroffen ist. Auch über die Altersverteilung kann nur spekuliert werden. Bei Betroffenen wird durch genetische Mutationen zu viel von dem Protein GFAP (Glial Fibrillary Acidic Protein, fibrilläres saures Gliaprotein) produziert. Dieses überschüssige GFAP sammelt sich in den Astrozyten an, welche die Mehrheit der Gliazellen im zentralen Nervensystem bilden. Das führt zur Bildung von sogenannten Rosenthal-Fasern, charakteristischen Einschlüssen in den Astrozyten. Diese Fasern können zu einer weiteren Schädigung der Zellen führen und zur Bildung von Narbengewebe im Gehirn beitragen. Das wiederum kann die normale Gehirnfunktion beeinträchtigen.

Äußerlich ist Max nichts von seiner Erkrankung anzumerken.
Wagner

Suche nach Behandlungen

Die Erkenntnis, dass GFAP-Varianten für praktisch alle Fälle der Krankheit verantwortlich sind, revolutionierte die Diagnostik und bildete den Startschuss für die Suche nach Behandlungen. Ein Schlüsselmoment für den mittlerweile emeritierten, aber noch immer in die Forschung involvierten Professor für Vergleichende Biowissenschaften: "Zu diesem Zeitpunkt beschloss ich, dass diese Problematik so interessant war, dass ich mein gesamtes Labor auf die Alexander-Krankheit ausrichten sollte."

Die Bildung von GFAP zu unterdrücken erscheint Messing besonders vielversprechend. In Versuchen an Mäusen und Ratten zeigte sich, dass sogar eine komplette Unterdrückung von GFAP keine merkbaren Auswirkungen an den Tieren hatte. Am effektivsten dafür hat sich bisher die Antisense-Oligonukleotid(ASO)-Therapie erwiesen, die direkt in den Prozess der Proteinherstellung eingreift. Dabei wird die Boten-RNA ausgeschaltet, die für das Problemprotein verantwortlich ist. Dadurch wird die Menge dieses Proteins im Körper reduziert. "Das wird gerade klinisch getestet. Wir erwarten den Bericht über erste Resultate im Laufe von 2025", sagt Messing.

Max bei der Physiotherapie
An seinem neuen Wohnort in Kalifornien lebt Max näher bei den besten Therapie- und Forschungszentren.
Thomas Wagner

Innovative Gentherapie

Einen anderen Ansatz mit diesem Ziel verfolgt man an der UMass Chan Medical School (USA). Ein Team um Guangping Gao und Jun Xie hat dort eine Gentherapie entwickelt, mit der die mutierten GFAP-Proteine unterdrückt werden, die AxD bei Mäusen verursacht hat. Die UMass-Forscher verwenden einen viralen Vektor (häufig ein adenoassoziiertes Virus oder AAV), um das therapeutische Material in die Gehirnzellen zu transportieren. Eine ähnliche Methode war bereits bei der Behandlung der extrem seltenen Canavan-Krankheit erfolgreich. Diese Art der Gentherapie bietet einen innovativen Ansatz zur Behandlung der Alexander-Krankheit, indem sie das grundlegende genetische Problem direkt angeht, anstatt nur die Symptome zu behandeln.

Nachdem bereits das erste Jahr der Gentherapie-Forschung an der UMass von der Patientenorganisation EndAxD unterstützt worden war, konnten die Gelder aus der Spendenkampagne nun ein zweites Jahr die Arbeit eines Postdocs im Labor finanzieren. Dort müssen laut Thomas Wagner noch weitere Daten für die U.S. Food and Drug Administration (FDA) generiert werden, um als einen der nächsten Schritte eine klinische Studie genehmigt zu bekommen.

"Einen Unterschied machen"

Heute ist Max 20 Monate alt. Äußerlich ist ihm nichts anzusehen, aber seine Entwicklung ist verzögert, er ist etwa auf dem Stand eines neun Monate alten Babys. Mittlerweile ist die Jungfamilie nach Kalifornien übersiedelt, um näher an den besten Therapie- und Forschungszentren zu sein. Hoffnung machen seinem Vater die beschriebenen und weitere Forschungsansätze – etwa, dass Medikamente, die für Krankheiten wie Multiple Sklerose oder Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) zugelassen wurden, auch bei der Alexander-Krankheit von Nutzen sein könnten.

Für all das braucht es noch viel Forschung – und Geld. Die Spendenkampagne steht bei knapp über 160.000 von angepeilten 300.000 Euro, mit denen man weitere Machbarkeitsstudien finanzieren könnte. Es ist ein Rennen gegen die Zeit, aber Albee Messing zeigt sich für Max optimistisch: "Ich denke, Max hat noch Jahre vor sich und wir noch Zeit, um herauszufinden, ob ASOs funktionieren oder ob etwas anderes sein Leben verbessern kann."

Thomas Wagner sagt: "Seltene, unheilbare Krankheiten sind oft weder so selten noch so unheilbar, wie man glaubt. Man kann sehr wohl als Einzelner einen Unterschied machen." Auch wenn dieser Unterschied, wie er anfügt, aus Mangel an Forschungsgeldern allzu oft an den Patienten-Communitys und deren Kampfgeist hängenbleibt. (Mario Wasserfaller, 29.2.2024)