Das Mindestalter für das rauchlose Nikotinprodukt Snus ist in Österreich Ländersache. Mit 13 ist man aber definitiv zu jung dafür, damit erklärt ein 15-jähriger Angeklagter auch einen Raubversuch.
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Wien – Gleich zwei Straftaten soll der 15 Jahre alte D. im Oktober innerhalb von neun Tagen begangen haben. Zunächst am 12. eine versuchte schwere Körperverletzung, indem er große Stöcke durch ein offenes Fenster in Richtung einer 90-Jährigen schmiss. Am 21. soll er gemeinsam mit fünf Mittätern auf dem Bahnhof Mödling versucht haben, einem 13-Jährigen dessen Bauchtasche zu rauben. Zum Stockwurf bekennt der Vorbestrafte sich vor dem Schöffensenat unter Vorsitz von Martina Hahn schuldig, den Raubversuch bestreitet er.

Seine Verteidigung hat durchaus originelle Züge: Er stellt sich als Gesundheitsapostel dar. Denn: Der 13-Jährige habe eine Packung Snus, ein Tabakprodukt, in der Hand gehabt. "Ich wollte ihm das wegnehmen, damit er es nicht nimmt", begründet der in Polen geborene Tschetschene sein Einschreiten mit den gültigen Jugendschutzbestimmungen. Der Jüngere habe ihm die Dose aber nicht geben wollen, sondern sie in seine Bauchtasche gesteckt. Den Vorwurf der Staatsanwältin, er und ein Mittäter hätten dann versucht, die ganze Tasche zu rauben, bestreitet D. ebenso wie die Behauptung des Opfers, er habe: "Gib mir die Tasche, sonst schlag ich dich behindert!" gesagt.

Überhaupt sei er eigentlich mehr selbst das Opfer, immerhin habe ihn der andere immer weggeschubst. "Sie wissen, dass es ein Video des Vorfalls gibt?", fragt ihn die Vorsitzende. Der Angeklagte weiß es und bleibt bei seiner Version, die er nach Abspielen des Films doch korrigieren muss. Zu sehen ist nämlich, dass der 13-Jährige passiv bleibt und der Angeklagte ihn gegen die Wand drängt und mehrmals nach der Tasche greift.

Drei Freunde im Park und ein offenes Fenster

Deutlich ungewöhnlicher ist jedoch das erste angeklagte Delikt. Er sei am Tattag mit zwei Freunden im Park gewesen, in einem nahen Wohngebäude stand im Hochparterre ein Fenster offen. Seiner Darstellung nach kletterte einer seiner Begleiter in das Fenster, sprang wieder herunter und warf einen Stein hinein. "Dann kam die Frau durch das Fenster!", erzählt er der etwas verwirrten Vorsitzenden. "Meinen Sie, die Frau kam ans Fenster?" Meint D. nicht, sondern er schildert, dass die 37-jährige Enkelin der 90-jährigen Wohnungsinhaberin sie schimpfte, aus dem Fenster heraussprang und ihnen nachzulaufen begann.

"Ich habe einen Stock genommen, da die Frau irgendwas aus Metall in ihrer Hand hatte. Sie war vielleicht 15 Meter entfernt, dann habe ich den Stock in ihre Richtung geworfen. Ich wollte sie nicht treffen, ich wollte eigentlich nichts machen", beteuert der Angeklagte. Danach seien alle in unterschiedliche Richtungen davongelaufen. "Bei der Einvernahme durch die Polizei haben Sie noch gesagt, dass Sie den Stock in die Wohnung geworfen haben. Warum jetzt nicht mehr?", will die Staatsanwältin wissen. "Ich weiß, dass ich den Stock in Richtung der Frau geworfen habe, aber nicht in die Wohnung", ist D. sich sicher. Möglicherweise hätten seine Begleiter die Baumteile als Wurfgeschoße missbraucht. Was der 15-Jährige bei der Polizei übrigens auch sagte: dass er sich mit der Aktion einen "Spaß machen wollte".

Während seiner Aussage öffnet sich die Saaltür, ein Herr steckt den Kopf herein und zeigt eine Dienstmarke vor. "Die Zeugin ist jetzt da", kündigt er ungewöhnlicherweise an. Kurz darauf tritt die 37-Jährige auf. Ebenso ungewöhnlich ist deren Belehrung durch die Vorgesetzte: "Es geht jetzt nur um diese Sache", erklärt Hahn der Frau. Wie sich später herausstellt, hat die Dame sich taktisch unklug verhalten: Bei der Sicherheitskontrolle fiel dem Personal der intensive Geruch aus ihrer Tasche auf – da sie Marihuana dabeihatte, alarmierten die Securitys die Polizei, die die Zeugin dann zunächst zum Prozess eskortierte und danach beamtshandelte.

Ast flog knapp an Oma vorbei

In der eigentlich auf der Tagesordnung stehenden Sache erklärt die Zeugin, dass sie damals bei ihrer Großmutter zu Besuch war und das Fenster öffnete, da es ein schöner Tag gewesen sei. Sie sei kurz in die Küche gegangen, als sie ihre Großmutter plötzlich schreien hörte. Als sie nachsah, versuchte einer der Jugendlichen gerade durch das Fenster zu klettern, flüchtete aber, als er sie bemerkte. "Dann ist glaub ich ein Stecken mit Wucht hereingeflogen, ganz knapp am Kopf der Oma vorbei", erinnert sie sich, ist sich dann über den genauen zeitlichen Ablauf nicht mehr ganz sicher. Möglicherweise habe sie die beiden Teenager, die draußen standen auch erst beschimpft, bevor der Ast flog.

"Dann bin ich wirklich sauer geworden!", gibt sie zu. Sie habe sich die Gehhilfe der Großmutter gepackt und sei ohne Schuhe durch das Fenster auf den Boden gesprungen, um die Übeltäter zu stellen. Sie hatte nur zwei Teenager wahrgenommen, den Angeklagten aber nicht. Einen größeren, bulligeren habe sie erwischen können, schildert die Zeugin noch. Insgesamt seien mindestens zwei Stöcke in die Wohnung geflogen – einen habe sie zurückgeschmissen, "den zweiten haben wir der Oma zur Verteidigung aufgehoben", verrät sie.

Schließlich kommt ein rund 180 Zentimeter großer, sicher 80 Kilogramm schwerer Zeuge in den Saal – zur Überraschung der Zuseherinnen und Zuseher, darunter auch Rosa und Lorenz, Absolvierende der berufspraktischen Tage beim STANDARD, stellt sich heraus, dass der Hüne erst 13 Jahre alt ist. Sein Vorteil ist, dass er noch nicht strafmündig ist, denn er erzählt, dass er alle Stöcke geworfen habe. "Warum?", fragt ihn die Vorsitzende. "Weiß ich nicht", gibt er zu. Dann fällt ihm doch ein Grund ein: "Sie hat mich beleidigt!" – "Wie denn?", interessiert Hahn. Er nennt einen Kraftausdruck, der den Jugendlichen eine gesellschaftlich nicht hoch angesehene Berufstätigkeit ihrer Mütter unterstellt.

Mahnung an unmündigen Zeugen

"Ich versteh wirklich nicht, wie man dazu kommt, Dinge in fremde Wohnungen zu schmeißen", kann die Vorsitzende es immer noch nicht fassen. Erklärung kann ihr der Zeuge keine liefern. Ebenso wenig kann er beantworten, warum er den zu einem Stockwurf ja eigentlich geständigen Angeklagten schützt. "Ein bissl nachdenken, bevor man was macht, und auch daran denken, wie sich etwas auf andere auswirkt!", gibt Hahn dem 13-Jährigen noch mit und ermahnt ihn: "In ein paar Monaten sind Sie auch strafmündig und können selbst hier sitzen!"

Da der dritte Beteiligte, der Fensterkletterer, unentschuldigt nicht kommt und das 13-jährige Raubopfer gestern stationär in einer Jugendpsychiatrie aufgenommen wurde, wird schließlich auf den 27. Februar vertagt. (Rosa Dorner, Michael Möseneder, Lorenz Wallisch, 30.1.2024)