Langsam wird es eng da oben. Rund 2,4 Billionen Tonnen CO2 wurden seit Beginn der Industrialisierung bereits in die Atmosphäre entlassen – jede davon macht die Erde ein kleines Stück wärmer. Um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, dürfen deshalb nur noch etwa 230 Milliarden Tonnen des Klimagases emittiert werden. Doch das CO2-Budget schrumpft immer schneller – und wird bereits in wenigen Jahren aufgebraucht sein. Auch dass das Zwei-Grad-Ziel hält, sehen einige Fachleute skeptisch.

Praktisch alle Szenarien, in denen die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels eingedämmt werden können, gehen deshalb davon aus, dass die Menschheit zusätzlich CO2 aus der Atmosphäre holen muss. Die EU hat mit ihrem neuen Klimaziel 2040 etwa auch eine Strategie zur CO2-Entfernung vorgelegt. Dabei sollen nicht nur Bäume, Böden und Moore Kohlenstoff aus der Luft aufnehmen, sondern zunehmend auch industrielle Anlagen. Bereits im Jahr 2040 sollen auf diesem Weg 280 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr wieder aus der Atmosphäre verschwinden.

Fatih Aydogdu

Zaghafte Versuche

Im Vergleich zum gegenwärtigen CO2-Ausstoß erscheinen diese Zahlen gering – allein Österreich bläst derzeit etwa 70 Millionen Tonnen CO2 in die Luft. Dennoch ist das Ziel für die CO2-Entfernung ambitioniert, denn von diesen Größenordnungen ist die Welt, geschweige denn Europa weit entfernt.

Derzeit entziehen neue technische Verfahren nur rund zwei Millionen Tonnen CO2 aus der Atmosphäre, heißt es in einem Bericht, den unter anderem die Universität Oxford und das Insitut für Angewandte Systemanalysen (IIASA) herausgegeben haben. Die größte und bekannteste Anlage für die direkte CO2-Abscheidung aus der Luft, das sogenannte Direct Air Capture (DAC), steht in Island. Acht riesige Ventilatoren saugen dort jährlich 500 Tonnen Kohlenstoffdioxid aus der Luft, das anschließend im Boden verpresst wird.

An der TU Wien denkt man Direct Air Capture hingegen klein. Die achtköpfige Forschungsgruppe DAC Impact wollte die Gerätschaften zur CO2-Abscheidung so klein wie möglich "schrumpfen". Der "DACling" sollte auf Einkaufszentren, großen Bürokomplexen oder Industriegebäuden zum Einsatz kommen – überall dort, wo Abwärme entsteht, die für die CO2-Abscheidung weitergenutzt werden könnte.

In Island steht eine der wenigen Anlagen weltweit, in der CO2 abgeschieden wird.
Climeworks

Investment aus dem Silicon Valley

Vor rund einem Jahr ist der US-amerikanische Investor Peter Relan auf die Forschungsgruppe aufmerksam geworden. Er hat bereits Start-ups wie die Chat-Plattform Discord groß gemacht. Inzwischen hat er mehrere Millionen Euro in das Wiener CO2-Projekt investiert. Relan schwebte zu Beginn vor, die Maschinen so klein zu machen wie einen Kühlschrank, "die jeder bei Walmart kaufen kann, um daheim Direct Air Capture zu betreiben", erzählen Projektmitarbeiter.

Eine Vakuumpumpe im Labor von Dac Impact – ein kleiner Teil des Daclings, der CO2 aus der Luft filtert.
TUW Magazine/Gianmaria Gava

Die CO2-Sauger haben zwar Module, die so klein sind, aber die Systeme als Ganzes haben diese Größe noch nicht erreicht. Es gebe eine Mindestgröße, ab der das Verfahren erst technisch Sinn ergibt, erklärt Josef Fuchs vom Projektteam. Das Ziel für die kommenden Monate laute, die Maschine in der Größe eines Standardschiffscontainers zu bauen. Denn an der Grundidee der Modularität hält das Projektteam fest.

"Niemand würde auf die Idee kommen, ein ein Quadratkilometer großes Solarpaneel zu bauen; die Paneele sind modular, aber das Solarparksystem ist viel größer", sagt Relan. Gerade weil Photovoltaikmodule so klein sind, könnten sie flexibel eingesetzt und beliebig skaliert werden. Genauso stellt er sich das auch für die Direct-Air-Capture-Anlagen vor.

Abwärme nutzen

Da der Prozess große Mengen an Wärme benötigt, könnten die Apparaturen künftig überall dort installiert werden, wo ohnehin Abwärme anfällt. Umgebungsluft mit rund 0,05 Prozent CO2-Anteil fließt über ein Adsorbens, in dem die CO2-Moleküle hängenbleiben. Sobald dieses gesättigt ist, wird es erhitzt. Dadurch entweicht fast reines Kohlenstoffdioxid – dieses kann aufgefangen und etwa unter der Erde gespeichert oder weiterverwendet werden.

"Bei vielen Prototypen finden die Absorption von CO2 aus der Umgebungsluft und das anschließende Erhitzen im gleichen Gefäß statt", sagt Aditya Bhandari, Gründer von DAC Lab, dem Start-up, das sich im Incubator von Peter Relan auf die Kommerzialisierung der DAC-Technologie konzentriert. "Aber das ist ein bisschen so, als würden Sie Ihren Kühlschrank gleichzeitig als Ofen benutzen", sagt Relan. "Nämlich ziemlich ineffizient." Bei der von Fuchs und seinem Team entwickelten Technologie finden die beiden Prozesse in unterschiedlichen Umgebungen statt. Das isolierte Behältnis, in dem das Adsorbens erwärmt wird, kann so einen Teil der Hitze bis zum nächsten Zyklus halten. Das spart Energie.

Der Silicon-Valley-Investor Peter Relan ist Geldgeber des Wiener Projekts.
Matthias Heisler

Vorbild Solarpreisverfall

Dennoch bleibt die Technologie teuer. Zwischen 600 und 1.000 US-Dollar kostet es derzeit, eine Tonne CO2 aus der Luft zu gewinnen und unschädlich zu machen – rund zehnmal mehr, als das CO2 durch Wiederaufforstung von Wäldern aus der Atmosphäre zu binden. Auch die Preise, die Unternehmen derzeit für CO2-Zertifikate zahlen müssen, liegen weit unter den Kosten für Direct Air Capture.

100 US-Dollar pro Tonne gilt als die magische Marke, die es zu unterschreiten gilt, damit das Verfahren auch wirtschaftlich tragfähig wird. Das große Vorbild für die Branche ist dabei die Lernkurve der Solarindustrie: Dort sind die Kosten pro Energieeinheit mit jeder Verdopplung der weltweiten Kapazität um 20 Prozent gefallen. Doch es gibt Zweifel, dass sich diese Erfolgsgeschichte mit jeder beliebigen Technologie einfach wiederholen lässt.

Aditya Bhandari glaubt, dass sich die Kosten von Direct Air Capture grundsätzlich ähnlich wie jene der erneuerbaren Energien entwickeln könnten. "Schließlich ist Energie unser größter Kostenfaktor", sagt der Investor. Wenn die Energiekosten weiter fallen, mache das auch den Prozess als Ganzes günstiger. Er erwartet in den kommenden fünf bis sieben Jahren große Sprünge bei der Kosteneinsparung, danach werde sich die Lernkurve verlangsamen. Ein Kostenfaktor sind auch die Adsorbenzien, also die speziellen Materialien, die CO2 aufnehmen können. Sobald die DAC-Branche eine kritische Größe überschreitet, werde sich auch eine Zulieferindustrie für Adsorbenzien entwickeln, ist Fuchs überzeugt.

Moralische Gefahr

Direct Air Capture wird von Klimaforscherinnen und -forschern, Umweltschützern, aber auch von Politikerinnen und Politikern teilweise kritisch beäugt. Wer weiß, dass in einigen Jahrzehnten der Klimastaubsauger den Mist in der Atmosphäre wegmacht, könnte weniger motiviert sein, jetzt klimafreundlicher zu leben, oder – im Falle von Regierungen – Gesetze zur Reduktionsminderung zu erlassen.

Dass die CO2-Sauger nicht die eine Lösung für den Klimawandel sind, dessen ist sich auch das Team von DAC Impact bewusst. "Aber wir müssen einfach alles nutzen, was wir haben, um diese Klimakrise zu überwinden", sagt Fuchs. Zum einen werde es auch in Zukunft immer Restemissionen geben, etwa in der Landwirtschaft oder im Flugverkehr – Sektoren, die als besonders schwierig zu dekarbonisieren gelten. "Außerdem brauchen wir eine Lösung für die Treibhausgase, die bereits in der Atmosphäre sind", sagt Relan. CO2 werde auch in Zukunft als Rohstoff benötigt, etwa in der chemischen Industrie. (Philip Pramer, 15.2.2024)