Ein M2A2 ODSBradley der ukrainischen Streitkräfte mit einer 25-mm-Bushmaster-Kanone.
REUTERS/Serhii Nuzhnenko

Ein virales Video zeigt, wie ein russischer Panzer immer wieder getroffen wird. Immer wieder schlagen Geschoße an der Front ein, bis eine größere Explosion den stählernen Koloss endgültig außer Gefecht setzt. Ein einzelner M2 Bradley soll einen mächtigen T-90 im direkten Duell besiegt haben. Ein zerstörter russischer Panzer in den sozialen Medien ist seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Jahr 2022 keine Seltenheit, die Frage ist das Wie.

Üblicherweise zeigen die Aufnahmen aber, wie russische Fahrzeuge von Drohnen, Artillerie oder Lenkraketen ausgeschaltet werden. Doch in diesem Fall scheint es sich um eine Maschinenkanone mit relativ kleinem Kaliber zu handeln. Theoretisch sollte ein russischer Panzer gegen derartigen Beschuss immun sein. Doch wie sich herausstellte, hatte der Kommandant des Bradley geübt – mit dem Videospiel "War Thunder".

Der russische T-90 gilt in der Propaganda als der beste Panzer im Arsenal der russischen Streitkräfte.
EPA/MARTIN DIVISEK

T-90 auf dem Papier weit überlegen

Doch der Reihe nach: Das Video dürfte in der Nähe der Ortschaft Stepowe im Süden der Ukraine entstanden sein, wie aus dem Kanal des Blogs Special Kherson Cat hervorgeht. Darin ist zu sehen, wie ein Schützenpanzer M2 Bradley einem Kampfpanzer vom Typ T-90 zuerst ausweicht und später das Feuer erwidert. Dabei könnte das Gefecht nicht unausgewogener gelaufen sein: Der T-90 trägt den Beinamen "Proryv", was so viel wie "Durchbruch" bedeutet. Der T-90 ist der modernste Kampfpanzer im aktiven Dienst der russischen Streitkräfte. Theoretisch soll der T-14 zwar den T-90 ablösen, von diesem dürften aber nur wenige Stück existieren und diese darüber hinaus in einem erbarmungswürdigen Zustand sein.

Russlands Diktator Wladimir Putin feierte den T-90 gar als den besten Panzer der Welt – eine Behauptung, die in der Realität eher wenig Bodenhaftung haben dürfte, wie die zweiköpfige Besatzung eines eigentlich unterlegenen Bradley bewies. So soll der T-90 dank seiner Verbundpanzerung eine Panzerungsstärke haben, die mindestens 800 Millimetern Panzerstahl entspricht. Dazu kommen noch Kontakt-5-Elemente. Dabei handelt es sich um Reaktivpanzerung. Diese ist mit Sprengladungen geladen und erzeugt bei einem Treffer eine Abwehrdetonation, die anfliegende Geschoße ablenken soll.

Mit einer 125-mm-Kanone, zusätzlichen Maschinengewehren und elektronischen Schutzmaßnahmen sollte der T-90 eigentlich feindliche Stellungen durchbrechen und in der direkten Auseinandersetzung mit den schwersten westlichen Kampfpanzern, also etwa dem Leopard 2 oder dem M1 Abrams, als Sieger hervorgehen, so zumindest die Theorie. Ein Panzerung eines Bradley hat dem eigentlich nichts entgegenzusetzen.

Wie ungleich das Match tatsächlich ist, wird umso deutlicher, wenn man den T-90 direkt mit dem Bradley vergleicht. Der M2 Bradley ist seit den 1980er-Jahren das Arbeitstier der US-Streitkräfte und gilt aufgrund seines Alters schon seit einigen Jahren als Kandidat für eine Ablöse. Im Vergleich zum T-90 ist der Bradley auch deutlich schlechter gepanzert: Seine Aluminium-Stahl-Hülle schützt gegen den Beschuss von Waffen mit dem Kaliber 30 Millimeter. Ältere Modelle halten überhaupt nur Beschuss von 14,5 Millimetern stand. Aber der Bradley ist auch gar nicht dafür gemacht, russische Kampfpanzer auszuschalten.

Es handelt sich bei dem M2 nämlich um ein sogenanntes Infantry Fighting Vehicle (IFV).Dessen Rolle ist es, sechs Infanteristen an die Front zu bringen und den Trupp so gut wie möglich zu unterstützen. Dafür steht dem Bradley eine Bushmaster-Maschinenkanone im Kaliber 25 Millimeter zur Verfügung. Diese ist aber zur Bekämpfung feindlicher leicht gepanzerter Ziele wie BMPs geeignet, quasi dem russischen Gegenstück zum M2. Die Standardmunition ist laut "Armyinform" gegen 70 Millimeter dicken Panzerstahl wirksam, ein T-90 sollte also immun gegen Beschuss sein.

Der Faktor Mensch

Aber technische Spezifikationen sind auf Quartettkarten wichtig, auf dem Schlachtfeld entscheidet immer noch der Faktor Mensch. Und der hieß in dem Fall Serhij, der Kommandant des M2, wie der ukrainische Sender TCH berichtet. „Im Training dachte ich noch: 'Gott behüte mich davor, dass ich einen Panzer sehe.' Dieser Albtraum sei aber Realität geworden. Gemeinsam mit dem Fahrer Oleksandr schlug Serhij einen T-90 im direkten Duell. Laut dem Bericht sei es einer anderen Einheit der ukrainischen Armee nicht gelungen, den T-90M zurückzudrängen, also wurden Serhij und Oleksandr in ihrem Bradley losgeschickt.

Serhij war erst im Dezember in die Ukraine zurückgekehrt, nachdem er sein Bradley-Training auf einem US-Stützpunkt in Deutschland absolviert hatte. Er und sein Fahrer waren erst auf der zweiten gemeinsamen Mission, als sie dem T-90M begegnet sind. Ihre Aufgabe war es, Infanteristen zu beschützen, die in einem Graben unter Beschuss von russischen Panzern gekommen waren. Warum Serhij die Rolle als Richtschütze und Kommandant gleichzeitig übernommen hat, ist unklar.

"Wir schossen mit allem, was wir hatten", erklärte Serhij dem Sender. Dann aber gab es Probleme mit der panzerbrechenden Munition. Ob es sich um eine Ladehemmung handelte oder die Munition schlicht ausging, ist nicht überliefert. Aber: "Weil ich Videospiele gespielt habe, habe ich mich an alles erinnert", erklärt der Kommandant und führt seine einschlägige Erfahrung in der Kampffahrzeugsimulation "War Thunder" ins Feld.

In dem Spiel des ungarischen Studios Gaijin werden Kampffahrzeuge enorm realistisch dargestellt. Wer in den höheren Ligen (Tiers genannt) die Oberhand behalten möchte, muss die Schwachstellen der Feindfahrzeuge kennen und diese gezielt unter Beschuss nehmen. So wusste Serhij, wo sich die empfindlichen Optiken des T-90M befinden, und nahm diese bewusst mit hochexplosiver Munition unter Beschuss, die Besatzung des russischen Kampfpanzers war quasi blind.

Das Videospiel "War Thunder" sorgt in Militärkreisen immer wieder für Kontroversen. Das liegt vor allem am dazugehörigen Forum, wo gerne intensiv über die Vor- und Nachteile von Militärfahrzeugen aus aller Welt gestritten wird. Dazu kommt, dass unter den Fans auffallend viele tatsächlich dem Militär und der Rüstungsindustrie angehören dürften. Nur so ist es zu erklären, warum das Entwicklerstudio Gaijin immer wieder Postings löschen musss, weil die User eigentlich geheime Unterlagen über Kriegsgerät veröffentlichen. Um in der digitalen Auseinandersetzung recht zu behalten, wurden etwa schon geheime Pläne von russischen Kampfjets oder britischen Panzern geteilt. Ganze 14-mal sind in den Foren schon geheime Militärdokumente aufgetaucht. So berichtet "t3n" davon, dass auch vom M2A2 Bradley bereits zwei Seiten aus dem Handbuch in dem Forum gelandet sind.

Dazu muss auch gesagt werden, dass laut Einschätzung westlicher Militärexperten längst ein Großteil der gut ausgebildeten und erfahrenen russischen Panzerbesatzungen gefallen sein dürfte. Die US-Nachrichtenseite "Forbes" beruft sich auf Zählungen von Analysten und berichtet, dass Russland im Februar 2022 mit 2.987 Panzern in die Ukraine einmarschiert sei. Davon sollen mittlerweile 2.619 Panzer zerstört, beschädigt, aufgegeben oder von ukrainischen Streitkräften gekapert worden sein. Anders als in eigenen gepanzerten Bereichen der westlichen Panzer wird die Munition russischer Panzer am Wannenboden und unter dem Turm gelagert. Das hat bei einem Treffer oft verheerende Konsequenzen für die Besatzung. Im Fall einer Detonation hat die meist dreiköpfige Crew keinerlei Überlebenschance.

Kritik am T-90

Auch wenn die russische Propaganda den T-90 anders darstellt, kann man das Fahrzeug eigentlich als Mogelpackung bezeichnen. Im Wesentlichen handelt sich doch um einen T-72, der mit der Feuerleitanlage eines T-80 ausgestattet wurde. Das alleine würde noch keine neue Modellbezeichnung rechtfertigen, und so wurde das Kampffahrzeug eigentlich auch T-72BU genannt. Doch dann brach der Zweite Golfkrieg aus, und russische T-72 mussten enorme Verluste hinnehmen, ohne auch nur einen einzigen US-Panzer zu vernichten. Unter anderem waren es auch Bradleys, die reihenweise T-72 ausschalteten, allerdings mit TOW-Raketen und nicht mit den Bushmaster-Kanonen.

Der Ruf des T-72 war also zerstört, weshalb Russland den T-72BU in T-90 umbenannte, um ihn auch weiterhin am internationalen Markt zu verkaufen. Größter Nutzer des T-90 ist übrigens Indien. Angeblich sollen dort mehr als 1.000 Stück der Exportvariante T-90S im Einsatz sein. Die Stückkosten dürften rund 6,7 Millionen Dollar betragen. Zum Vergleich: Ein alter M2 Bradley kostet mit 3,2 Millionen Dollar nicht einmal die Hälfte. Russland dürfte laut dem Militärblog "Oryx" mindestens 97 T-90 verloren haben. (Peter Zellinger, 2.2.2024)