Kleines Mädchen sitzt auf dem Teppichboden und spielt mit Bausteinen
Streitereien zwischen den Eltern werden häufig auf dem Rücken des Kindes ausgetragen.
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Es braucht schon viel Dramatik, dass es ein Obsorgestreit in die Schlagzeilen schafft. Daran fehlt es beim Fall der deutschen Millionärserbin Christina Block und ihres Ex-Manns Stephan Hensel nicht. In der Silvesternacht stand Stephan Hensel mit seinen Kindern auf der Terrasse eines Cafés in Gråsten, Dänemark. Sie sahen sich das Feuerwerk an, als plötzlich mehrere maskierte Männer den Vater niederschlugen und den zehnjährigen Sohn und die dreizehnjährige Tochter in ein Auto zerrten. Kurz darauf überquerten die Entführer mit den Kindern die deutsch-dänische Grenze. Einen Tag später meldete sich die Mutter bei den Behörden. Die Kinder seien bei ihr und wohlauf.

Dabei blieb es nicht. Die Kinder kehrten auf Anordnung eines Hamburger Gerichts nach Dänemark zurück, gegen die Mutter wurde ein europäischer Haftbefehl ausgestellt. Aber auch gegen den Vater läuft seit Jahren ein Verfahren wegen Kindesentführung.

Schwere Trennungen

Der Fall ist extrem. Doch zu jahrelangen Streiten um Sorgerecht und Kontaktregelungen kommt es oft. Im Jahr 2022 lebten in Österreich rund 16.200 Kinder aller Altersstufen, die von der Scheidung ihrer Eltern betroffen waren. Dazu kommen tausende Kinder, deren Eltern getrennt sind. Die meisten Erwachsenen können sich innerhalb weniger Monaten einigen, wie sie nach der Trennung leben wollen. Bei rund fünf bis zehn Prozent jedoch kommt es zur Eskalation. Die Konflikte – meist vor dem Gericht ausgetragen – können sich über Jahre ziehen. Gegenseitige Anschuldigungen und Misstrauen sind Alltag. Fachleute sprechen dann von "hochstrittigen Trennungseltern".

"Eine Trennung bedeutet nicht nur eine Trennung vom Partner, sondern auch eine Trennung vom Kind. Da entstehen selbst bei weniger engagierten Eltern plötzlich starke Verlustängste", sagt Angelika Göttling. Die Kinderpsychologin ist seit 35 Jahren als Gutachterin tätig. Immer wieder sitzen in ihrer Praxis Eltern, die längst das Wohl des Kindes aus den Augen verloren haben. Gestritten wird nicht nur um Obsorge oder Kontaktrecht. Es geht um alltägliche Dinge: In welche Schule soll das Kind? Wo feiert das Kind Weihnachten? Wer zahlt den Ballettunterricht?

"Wenn ein Elternteil auszieht, bedeutet das für Kinder eine völlig neue Lebensrealität", sagt Göttling. Viele Kinder denken, sie hätten Schuld an der Trennung. Erleben die Kinder zudem Auseinandersetzungen, verbale oder körperliche Gewalt oder werden Opfer von Manipulation, wird die psychische Belastung groß. Es kommt zu Leistungsabfall in der Schule oder Schlafstörungen. "Studien zeigen, dass viele Kinder, die hochstrittige Trennungen erlebt haben, noch als Erwachsene darunter leiden", sagt Göttling. Sie hadern später mit einem geringen Selbstwertgefühl, haben ein höheres Risiko für Depressionen, Angststörungen oder Panikattacken.

Loyalitätskonflikt

Ein Kind sollte nie unter Druck gesetzt werden, sich für eine Seite zu entscheiden. "Kinder geraten in einen massiven Loyalitätskonflikt, wenn sich Eltern nicht einigen", sagt Göttling. "Diese Zerrissenheit halten Kinder auf Dauer nicht aus." Was dann passiert: "Das Kind positioniert sich irgendwann für eine Seite." Die Psychologin prüft in den Verfahren auch die Erziehungsfähigkeit der Eltern. Ein wichtiger Punkt dabei ist die Bindungstoleranz der Eltern und damit die Frage: "Inwieweit ist der Elternteil in der Lage, die Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil zu unterstützen?"

Doch ist der Kontakt zu beiden Eltern immer das Beste? Nein, sagt ein neuer Leitfaden, den das Justizministerium mit Expertinnen erstellt hat und eine Hilfe für Familiengerichte und alle, die mit Pflegschaftsverfahren zu tun haben, sein soll. Gewaltschutzexpertinnen kritisieren oft, dass beim Kontaktrecht die Gewalt gegen einen Elternteil – meist die Mutter – vernachlässigt werde, denn: Der Vater sei ja nicht gegen das Kind gewalttätig geworden.

Wenn Gewalt passiert

Hedwig Wölfl von der Kinderschutzorganisation Die Möwe hat an dem Leitfaden mitgearbeitet. "Loyalitätskonflikte, emotionale Vernachlässigung und miterlebte Gewalt – all das war bisher bei Familiengerichten zu wenig im Fokus", sagt Wölfl. Der Leitfaden definiert nun auch miterlebte Gewalt als eine Form von psychischer Gewalt und ist somit Gewalt, die das Kind direkt trifft. Empfohlen wird, dass man sich Kontaktrechte genauer vor dem Hintergrund möglicher psychischer Gewalt ansehen soll. So wird auch von psychischer Gewalt gesprochen, wenn ein Elternteil ständig vor dem Kind den anderen schlechtmacht. Habe es Gewalt gegeben, sagten die Eltern oft, "die Kinder haben es nicht mitbekommen", sagt Wölfl. Damit würden sich Eltern selbst beruhigen. Doch Kinder bekämen das zumindest atmosphärisch praktisch immer mit.

Neben Gesprächen mit dem Kind ist der Austausch mit anderen Bezugspersonen wichtig. Die Schule und der Kindergarten sollten wissen, was los ist, um besser auf das Kind eingehen zu können. "Wichtig ist, dem Kind bei Streit immer zu vermitteln, dass man es liebhat und sich weiterhin kümmert", sagt Angelika Göttling. "Es muss spüren, dass die Trennung nichts mit ihm zu tun hat." (Nadja Kupsa, Beate Hausbichler, 1.2.2024)