Eingang zum Bundesverwaltungsgericht.
Das Bundesverwaltungsgericht trifft heikle Entscheidungen und kontrolliert die Verwaltung – etwa im Asyl- und im Umweltbereich.
APA/HELMUT FOHRINGER

Seit Mitte der Woche ist es fix, auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen gab mittlerweile seinen Sanktus: Nach einem knapp zweijährigen Streit der türkis-grünen Bundesregierung wird Christian Filzwieser neuer Präsident des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG). Die Bestgereihte im Auswahlverfahren, Richterin Sabine Matejka, wird also zugunsten des Drittgereihten umgangen. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat angekündigt, Auswahlverfahren künftig transparenter zu gestalten. Doch wie konnte es überhaupt dazu gekommen?

1. Das Leak

Die türkis-grüne Koalition schloss bei der Regierungsbildung in einem Sideletter Deals über Personalentscheidungen ab. Als Insider das geheime Papier Anfang 2022 an Medien spielten, war der Aufruhr groß: Laut der Vereinbarung sollte die ÖVP das "Nominierungsrecht" für den neuen Präsidenten am BVwG bekommen, sobald Ex-Präsident Harald Perl Ende 2022 in Pension geht.

Dass mit dem Leak öffentlich bekannt wurde, dass die Regierung ein unabhängiges Gericht politisch besetzen wollte, galt als PR-Desaster – vor allem für die Grünen. Formal entscheidet die Bundesregierung nämlich gemeinsam, und zwar auf Vorschlag einer gesetzlich geregelten, renommiert besetzten Personalkommission, die drei geeignete Kandidatinnen und Kandidaten für die Spitzenposition auswählt.

2. Die Kommission

Nach dem Leak wollten die Grünen im Besetzungsverfahren "alles richtig machen", heißt es hinter den Kulissen aus der Partei. Die Besetzungskommission wurde prominent besetzt. Neben den drei Präsidenten der Höchstgerichte und zwei Regierungsvertretern berief man die Professoren Clemens Jabloner und Iris Eisenberger in das Gremium.

Anfang 2023 übermittelte die Kommission dann ihren Dreiervorschlag an die Regierung. Auf dem ersten Platz wurde Sabine Matejka gereiht, die damalige Präsidentin der Richter:innenvereinigung und Vorsteherin des Bezirksgerichts Floridsdorf. Auf dem zweiten Platz landete Mathias Kopf, Chef der BVwG-Außenstelle Linz; auf dem dritten Christian Filzwieser, der früher im BVwG arbeitete und dann als Gruppenleiter ins Innenministerium wechselte.

3. Die Blockade

Noch im Herbst 2022 hatte Justizministerin Alma Zadić (Grüne) im STANDARD-Interview bekräftigt, dass der oder die Erstgereihte zum Zug kommen soll – trotz des Sideletters. Doch mit der ÖVP ließ sich das nicht machen. Aus Sicht der Türkisen lag das Nominierungsrecht bei ihnen, und mit der Erstgereihten Matejka war man offenbar nicht zufrieden. Die Grünen lehnten wiederum den Zweitplatzierten Mathias Kopf ab, Mitglied des konservativen Cartellverbands (CV). Das wäre "erst recht die Verwirklichung des Sideletters" gewesen, heißt es aus Parteikreisen.

Dazu kamen ähnliche Probleme an einer weiteren Baustelle: Auch bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) stand eine Nachbesetzung an. Dort lehnten die Grünen Michael Sachs ab, der in einem umstrittenen Auswahlverfahren erstplatziert wurde. In der Kritik stand Sachs, der als ÖVP-nahe gilt, vor allem wegen seiner fragwürdigen bis fehlerhaften Asylentscheide, die er just am BVwG getroffen hatte. Als Vizepräsident leitete er das Gericht während des offenen Personalstreits interimistisch. Der Kreis schloss sich, die Blockade war perfekt.

4. Der Kompromiss

Der Stillstand währte monatelang. Opposition, NGOs, Richterschaft und sogar der Bundespräsident übten massive Kritik. Eine mögliche Lösung dürfte es regierungsintern aber bereits im August 2023 gegeben haben, spätestens im September. In einem ersten Schritt wurde Anfang Oktober die Entscheidung bei der Wettbewerbsbehörde verkündet. Dort setzten sich die Grünen durch, der umstrittene Michael Sachs zog den Kürzeren.

Beim BVwG ließ man sich dagegen noch Zeit – vermutlich auch deshalb, um die kolportierte Verschränkung mit der Wettbewerbsbehörde nicht unfreiwillig zu bestätigen. Die Lösung, die die Regierung vergangene Woche präsentierte, war Justizkreisen jedenfalls seit September bekannt: Weil die ÖVP die Erstplatzierte Matejka ablehnte und die Grünen den Zweitplatzierten Mathias Kopf, freut sich nun der Dritte: Christian Filzwieser.

5. Der Kandidat

Filzwieser gilt als ausgewiesener Experte für Asylrecht. Er war Vorsitzender der Asylkammer am BVwG, kennt also das Haus. Selbst NGOs wie die Asylkoordination schätzen seine Expertise; die Grünen sprechen von einem "parteilich vollkommen unabhängigen" Kandidaten. Kritiker merken an, dass Filzwieser zuletzt in leitender Funktion im Innenministerium tätig war und am BVwG nun ebenjenes Ministerium kontrollieren soll.

Leidtragende von alldem ist Sabine Matejka, die von einer hochdekorierten Besetzungskommission als die am besten geeignete Kandidatin ausgewählt wurde. Wobei: Ob sie tatsächlich Leid tragen muss, bleibt abzuwarten – zumindest, was die finanziellen Einbußen betrifft. Matejka hatte bereits im Herbst in den Raum gestellt, dass sie die Gleichbehandlungskommission anrufen könnte. Denkbar wäre auch Schadenersatz.

Juristisch dürfte die Angelegenheit allerdings einigermaßen kompliziert sein. Laut Gesetz ist bei der Auswahl des Präsidenten am Bundesverwaltungsgericht keine Reihung der drei bestgeeigneten Kandidaten vorgesehen. De facto hat die Kommission eine solche aber sehr wohl vorgenommen. Inwieweit diese Reihung nun auch rechtliche Wirkung zeitigt, müsste wohl in einem Gerichtsverfahren geklärt werden. (Jakob Pflügl, 1.2.2024)