Mülldeponien wie diese am Rand von Jakarta in Indonesien sind meist die letzte Lagerstätte für Plastikabfälle jeder Art.
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Wir leben in einem Plastikzeitalter. Seit dem Beginn des Siegeszugs von Plastik in den 1960er-Jahren hat sich das extrem vielseitige Material bis in die entlegensten Ecken unseres Planeten ausgebreitet, von den Polargebieten bis in die Tiefen der Meere. Auch wenn die Schäden für die Umwelt, die biologische Vielfalt und den Menschen mittlerweile evident sind – ein Gipfel des immer weiter wachsenden Kunststoffberges ist nicht in Sicht.

Im Jahr 2019 wurden mehr als 353 Millionen Tonnen Plastikabfälle produziert. Nach Angaben der OECD wird diese Menge bis 2060 auf rund eine Milliarde Tonnen jährlich ansteigen, wenn keine drastischen Maßnahmen ergriffen werden. 2019 wurden weltweit nur neun Prozent der Abfälle recycelt. Der Großteil endet auf Deponien, wird verbrannt oder landet in der Umwelt und in den Gewässern. Das globale Plastiksystem stößt außerdem mehr als eine Gigatonne Kohlendioxid pro Jahr aus – so viel wie die Emissionen von Europas drei größten Ökonomien, also Großbritannien, Deutschland und Frankreich. Der CO2-Ausstoß könnte ohne Gegenmaßnahmen auf vier bis fünf Gigatonnen jährlich ansteigen.

Verzicht auf Plastik

Um das Ruder noch herumzureißen, fordern Forschende des Oxford Martin Programme zur Zukunft von Plastik an der Oxford University sowie Europas Wissenschaftsakademien nun eine Abkehr von der herkömmlichen Kunststoffproduktion. Hintergrund sind die laufenden Verhandlungen über ein internationales Plastikabkommen, die derzeit auf Ebene der Vereinten Nationen geführt werden. Dabei geht es um die Etablierung bindender Maßnahmen zur Beendigung der globalen Plastikverschmutzung. Die kommerziellen Interessen, die auf dem Spiel stehen, sind groß, umso schwieriger ist eine Einigung der internationalen Gemeinschaft.

In einer am Mittwoch im Fachblatt "Nature" veröffentlichten Studie analysiert das Forschungsteam der Oxford University das globale Plastiksystem und macht Vorschläge, wie eine Transition zu einer Produktion mit Nettonull-Emissionen und minimierten Umweltschäden bis 2050 möglich wäre. Wichtigstes Ziel dabei: eine Reduktion der Plastiknachfrage um die Hälfte durch Verzicht auf Plastik oder Ersatz durch andere Materialien. Außerdem müssten für die Produktion benötigte fossile Rohstoffe durch erneuerbare ersetzt werden, wie etwa Biomasseabfälle oder auch Kohlendioxid. Die Recyclingquote müsste zudem auf 95 Prozent klettern sowie bei der Produktion auf erneuerbare Energien gesetzt werden. Nur so könne eine möglichst ressourcen- und umweltschonende Kreislaufwirtschaft umgesetzt werden.

"Wir brauchen Plastik und Polymere, unter anderem für zukünftige Technologien wie Elektroautos, Windturbinen und unerlässliche Alltagsgegenstände", betont Studienautorin Charlotte Williams, Chemikerin an der Oxford University. "Unser globales Plastiksystem ist in keiner Weise nachhaltig, daher müssen wir mutige Schritte in großem Umfang setzen, und zwar schnell." Die dafür nötigen rechtlichen, ökonomischen und technischen Maßnahmen legen die Forschenden in einer Roadmap fest.

Kostenwahrheit gefordert

Von "Systemfehlern", die ein rasantes Wachstum von Herstellung, Verbrauch und Verschmutzung vorantreiben, spricht Michael Norton vom European Academies Science Advisory Council (EASAC), der Vereinigung der europäischen Akademien der Wissenschaften. Der EASAC hat seinen Sitz seit Anfang des Jahres an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). "Wir müssen dem heutigen unkontrollierten Wachstum und der Wegwerfmentalität ein Ende setzen", sagt Norton in einem am Donnerstag veröffentlichten Kommentar. "Auch wenn das Recycling zunimmt: Solange der UN-Vertrag kein Ziel zur Verringerung der Plastikherstellung festlegt, wird es weiterhin nicht möglich sein, mehr als einen kleinen Bruchteil der Altprodukte zu sammeln und zu recyceln."

European Academies Science Advisory Council

"To go"-Produkte und einfache Entsorgung würden suggerieren, dass Plastik billig ist. "Die Kosten für die Abfallbewirtschaftung sowie die sozialen, ökologischen und gesundheitlichen Kosten belaufen sich auf Milliarden, wenn nicht Billionen von Dollar – ein Vielfaches der tatsächlichen Produktionskosten", sagt Professor Lars Walløe, vom EASAC-Umweltprogramm. Nach Ansicht der Forschenden sei es an der Zeit, die Verursacher zur Kasse zu bitten. Freiwillige Mechanismen und Marktmechanismen würden nicht ausreichen, um das Problem zu lösen. Selbst die Umstellung auf viele Bio-Materialien sei häufig weder aus Ressourcen- noch aus Umweltgründen zu rechtfertigen.

Internationales Plastikabkommen

Das internationale Plastikabkommen müsse Ziele für die Reduktion der Plastikherstellung festlegen und auf Kreislaufwirtschaft setzen, fordern die europäischen Forschenden. Modelle würden darauf hindeuten, dass durch eine Reduzierung der Nachfrage um 30 Prozent und eine Erhöhung der Recyclingquote auf 20 Prozent die Kunststoffverschmutzung bis 2040 um 80 Prozent reduziert werden könnte. In zehn Empfehlungen für das Plastikabkommen empfiehlt das EASAC unter anderem die Internalisierung aller Umwelt-, Sozial- und Gesundheitskosten in den Preis von neuen Produkten, das Verbot der absichtlichen Zugabe von Mikroplastik und verpflichtende Lifecycle-Analysen und Standards "für die biologische Abbaubarkeit von Harzen, die biologische Abbaubarkeit vorgeben".

Bis es zu einem UN-Abkommen kommt, wird es jedoch noch dauern. Die nächste Verhandlungsrunde findet im April in Kanada statt, eine finale Runde ist Ende 2024 in Südkorea geplant. (kri, 1.2.2024)