"Wenn Sie heute Abend einen Film streamen, könnte er von hier kommen", sagt Martin Madlo, als er durch enge Gänge führt, an denen sich auf beiden Seiten hunderte surrende und blinkende Server aneinanderreihen. Ob die "großen Streaminganbieter", die hier in Wien-Floridsdorf ihre Videos speichern, Netflix, Amazon oder Disney heißen, verrät Madlo nicht – Geschäftsgeheimnis. Digital Realty, dessen Österreich-Chef Madlo ist, betreibt die Server außerdem nicht selbst, sondern sorgt nur für die physische Sicherheit der Serverräume, die Strom- und Internetversorgung – und vor allem die Kühlung.

Denn rund 90 Prozent der bis zu 25 Megawatt, die Österreichs größtes Datacenter frisst, werden früher oder später zu Wärme, die abgeführt werden muss. Bisher landete sie einfach in der Umwelt. Doch seit der aktuellen Heizsaison landet die Abwärme aus den Servern in der benachbarten Klinik Floridsdorf, wo sie zwischen 50 und 70 Prozent des Wärmebedarfs deckt.

Im Energiezentrum der Klinik Floridsdorf trifft die Wärme aus dem Rechenzentrum ein und wird von dort im Gebäude weiterverteilt.
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Tausche Wärme gegen Kälte

"Wir heizen die Wärme nicht beim Fenster raus, sondern nutzen sie", sagt Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne), die überzeugt davon ist, dass das "Modell im ganzen Land Schule machen" werde. Sie ist am Mittwoch nebst Stadträten und den Köpfen von Digital Realty, Wiener Stadtwerken, Wien Energie, dem Wiener Gesundheitsverbund und der Floridsdorfer Klinik ausgerückt, um das "Projekt abzufeiern", wie es Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) ausdrückt. Zu Recht, wie er meint. Schließlich würden durch das Projekt jährlich rund 4.000 Tonnen CO2 eingespart.

Im Datencenter wird der von den Servern abgeleiteten erwärmten Luft die Hitze entzogen. Über eine unterirdische Leitung gelangt das so auf 26 Grad erwärmte Wasser in die Energiezentrale im Keller der Klinik Floridsdorf. Wärmepumpen entziehen diesem Wasser wiederum die Hitze und bringen das Wasser im hausinternen Kreislauf auf rund 80 Grad. Da die Wärmepumpen auch selbst Strom verbrauchen, stammt rund ein Viertel der letztlich gewonnenen Heizenergie aus erneuerbarer Energie, die in der Klinik zugeführt wird.

Datencenter, wie hier in Island, fressen immer mehr Strom.
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3,5 Millionen Euro Kosten

Das auf rund 16 Grad abgekühlte Wasser fließt unter der Straße zurück in die Serverräume von Digital Realty und kann dort neue Abwärme aufnehmen. Die drei Wärmepumpen haben jeweils eine Leistung von einem Megawatt. 3,5 Millionen Euro hat die Wien Energie in die Anlage investiert, das Klimaschutzministerium hat sich über die Umweltförderung an den Kosten beteiligt.

Bis 2027 wollen die Stadtwerke insgesamt sieben Milliarden Euro in klimarelevante Projekte investieren. Dafür ist der städtische Energieversorger immer auf der Suche nach neuen Wärmequellen, die Gas zusammen langfristig ersetzen sollen. Eine Großwärmepumpe holt etwa bereits Energie aus dem Abwasser der Wienerinnen und Wiener, aus der Restwärme der Müllverbrennungsanlage Spittelau wird ebenfalls Fernwärme produziert. Die Wien Energie setzt außerdem auf die Tiefengeothermie, die derzeit ausgelotet wird und bis zu 125.000 Haushalte versorgen könnte.

Derzeit verbrauchen Rechenzentren jährlich rund 460 Terawattstunden Strom, was rund zwei Prozent des globalen Stromverbrauchs entspricht. Die Internationale Energieagentur (IEA) geht in einem aktuellen Bericht davon aus, dass sich der globale Stromverbrauch von Datencentern bis 2026 verdoppeln wird. In einigen Industrieländern gehören sie bereits heute zu den größten Stromfressern – etwa in Irland, wo sie bereits 18 Prozent der elektrischen Energie verbrauchen.

In britischen Exmouth heizt eine Serverfarm das örtliche Schwimmbad.
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Wärme für Hummer, Pflanzen, Pools

Momentan wird nur ein kleiner Teil der Abwärme wiederverwendet. Als Problem stellt sich oft heraus, ganzjährige Abnehmer für die Wärme zu finden, die laufend anfällt. Führend beim "Recycling" der Wärme sind deshalb nordische Länder mit vielen jährlichen Heiztagen. Abseits der Raumwärme könnten Serverzentren auch Warmwasser für eine Hummerzucht, Gewächshäuser oder Swimmingpools liefern. Bei der Anlage in Floridsdorf handelt es sich laut Martin Madlo von Digital Realty um das größte Wärmerückgewinnungsprojekt in einem Rechenzentrum in Europa. Das liege auch daran, dass die Klinik auch außerhalb der Heizsaison Wärme benötige.

Mit dem KI-Boom verändern sich auch die Rechenzentren. Modelle für maschinelles Lernen werden vor allem auf GPUs oder speziellen KI-Prozessoren trainiert, die noch leistungsfähiger sind und dementsprechend mehr Wärme abgeben. Anstatt die elektronischen Bauteile über Lüfter zu kühlen, könnte in Zukunft Wasserkühlung zum Einsatz kommen, welche die Wärme effektiver ableitet. Das Kühlwasser erreicht dabei Temperaturen von 50 bis 80 Grad – wesentlich mehr als bei der Luftkühlung. "Das macht die Sache für die Fernwärme interessant", sagt Madlo. Das 26 Grad warme Wasser, das in der Floridsdorfer Anlage anfällt, ist für das Fernwärmenetz, wo Temperaturen von bis zu 160 Grad herrschen, zu kalt. Beim Bau neuer Rechenzentren will Digital Realty jedenfalls mit der Wien Energie kooperieren.

Laut den Plänen der EU sollen Rechenzentren bereits 2030 klimaneutral werden, zudem werden sie zu mehr Nachhaltigkeit verpflichtet. Große Betriebe müssen etwa prüfen, ob eine Wärmerückgewinnung grundsätzlich möglich ist – und begründen, wenn sie diese nicht umsetzen. Ab diesem Jahr müssen Serverzentren mit mehr als 500 Kilowatt Leistung zudem regelmäßig melden, wie viel Energie sie verbrauchen, woher diese stammt und wie viel Abwärme genutzt wird. (Philip Pramer, 1.2.2024)