Die ehemalige Nummer eins Thomas Muster verzichtet auf Besserwisserei.
APA/EVA MANHART

Thomas Muster ist ein Mann der Entschleunigung. Der 56-Jährige betrachtet das Smartphone maximal als notwendiges Übel, hat keine Entzugserscheinungen oder gar Panikattacken, sollte das Ding irgendwo saftlos herumliegen. Die österreichische Tennislegende kann auf Informationen warten, da muss nichts gepusht werden. Folglich war er doch etwas überrascht, als er am Mittwochvormittag vom STANDARD mit Dominic Thiems Aussagen vom Vortag konfrontiert wurde. "Ich weiß nicht, worum es geht. Es ist mir auch wurscht, es geht mich nichts an."

Kurze Aufklärung: Thiem hatte sich bei einer Pressekonferenz in Schörfling am Attersee quasi selbst die Rute ins Fenster gestellt. Sollte er 2024 nicht die Top 50 zurückkehren, müsse er darüber nachdenken, "ob es sich noch lohnt. Es ist die letzte Chance." Hinzu kam die Trennung von Trainer Benjamin Ebrahimzadeh, Thiem wird jetzt wieder von Vater Wolfgang betreut, ein Touring-Coach wird gesucht und bald gefunden. Und er spielt nicht auf der ATP-Tour in Amerika, sondern nach einem Trainingsblock im März die Challenger auf Sand in Székesfehérvár, Zadar und Neapel. "Um mich an die Top 70, 60 anzunähern." Thiem ist momentan die Nummer 90. Thomas Muster war 1996 für einige Wochen die Nummer eins. 1995 hatte er die French Open gewonnen. Thiem kann mit einem Sieg bei den US Open 2020 dagegenhalten.

Keine Subvention

Muster lehnt es strikt ab, Tipps zu geben. "Ich habe nicht das Recht dazu. Thiem ist ein freier Mensch, ein Unternehmer, ein Einzelsportler. Er bekommt keine Subventionen, ist niemandem etwas schuldig, nur sich selbst verantwortlich. Er ist kein Mannschaftssportler, den man austauschen kann." All das sei aber nicht "mein Bier. Er muss es lösen." Es gibt eine weitere Parallele zwischen Thiem und Muster. Erstgenannter erlitt 2021 auf Mallorca eine Handgelenkverletzung, seither ist er nicht mehr in die Spur gekommen. Muster erwischte es 1989 in Key Biscayne, er wurde von einem Auto angefahren, erlitt einen schweren Knieschaden (u. a. Kreuzbandriss). Er war damals auf dem Sprung in die Top Ten, hatte also noch vieles vor sich. "Vielleicht hat es geholfen, weil ich wusste, da kann noch etwas kommen." Und es kam etwas. Thiems Verletzung passierte nach dem großen Erfolg. Muster: "Möglicherweise ist meine Operation besser verlaufen, keine Ahnung. Einen idealen Zeitpunkt für Verletzungen gibt es nicht."

Spitzensport sei in einem gewissen Maß Selbstbetrug, es gehe darum, Leidenschaft und Willen hochzuhalten, das Gefühl der Leere zu ignorieren, den Schmerz zu überwinden. "Prinzipiell ist es wichtig, dass du den Zeitpunkt erkennst, wann es vorbei ist." Muster wusste, dass die Erstrundenniederlage bei den French Open 1999 gegen Nicolas Lapentti sein Ende war. "Das spürt man, das weiß man." Offiziell verkündet hat er den Rücktritt von der großen Bühne nicht. "Privatsache."

Besserwisserei

Thiem hat sich also ein Limit gesetzt. Muster hält das für "gut. Ich wünsche ihm, dass er glücklich ist. Mit oder ohne Tennis." Die Besserwisserei der selbsternannten Experten in sozialen Medien sei verzichtbar. "Thiem hatte eine tolle Karriere mit tollen Erfolgen. Das bleibt. Es ist sein Leben. Und es ist seine Selbsteinschätzung." Vom Technischen her sei er immer noch "großartig. Top 50 ist eine nicht unrealistische Zielsetzung. Ob er es schafft, ist eine andere Frage."

Es sei, sagt Muster, immer dasselbe Spiel. "Zuerst wird einer groß und zum Star gemacht. Die Leute leben mit ihm mit, warten auf Außergewöhnliches. Bei Thiem warten sie auf die nächste Schlagzeile. Sie könnte lauten: 'Ich trete zurück'. Es wird noch ein großes Interview geben, das war es dann. Man hofft auf den nächsten Star, vielleicht wird es Joel Schwärzler." Der 18-jährige Vorarlberger ist die Nummer eins der Junioren-Weltrangliste. Muster war das im Jahre 1985.

Kann sein, dass Thomas Muster von einem etwaigen Rücktritt Thiems einen Tag später erfährt. Der Akku des Smartphones könnte ja leer sein. "Das wiederum ist dann mein Bier." Was noch zu sagen wäre: "Das Wetter bei mir daheim auf der Riesneralm ist traumhaft." (Christian Hackl, 31.1.2024)