Polizisten und Polizeiautos auf der Simmeringer Hauptstraße
Der tödliche Schuss in einem Geschäftslokal in der Simmeringer Hauptstraße löste am 7. Mai einen Großeinsatz der Polizei aus.
APA / DOMINIK MANDL

Wien – Bei jedem Tötungsdelikt spielt die Tatwaffe eine wesentliche Rolle. Im Mordprozess gegen den 35-jährigen Herrn A. könnte sie aber darüber entscheiden, ob die Geschworenen unter Vorsitz von Christina Salzborn den unbescholtenen Iraner wegen Mordes verurteilen oder seine Version glauben und sich für fahrlässige Tötung im Zuge einer Notwehrüberschreitung entscheiden. Denn dass der Unternehmer am 7. Mai in seiner kleinen Druckerei in der Simmeringer Hauptstraße einen 38 Jahre alten Landsmann durch einen einzelnen Brustdurchschuss so schwer verwundet hat, dass das Opfer kurz darauf verblutet ist, steht fest.

A.s Verteidiger Anna Mair und Amir Ahmed bauen am zweiten Verhandlungstag auf das Gutachten der DNA-Sachverständigen Christina Stein. Das durchaus Überraschungen birgt. Auf der Walther-Pistole fanden sich keine verwertbaren Fingerabdrücke, aber DNA-Spuren. Und zwar von Angeklagtem und Getötetem. Stein kommt in ihrer Expertise zu einem bemerkenswerten Ergebnis: Auf dem Abrieb des Seitenteils des Magazins stellte sie nur Genmaterial des Opfers fest. Auf dem Griff der Waffe stammt der Hauptteil der Spuren ebenso vom Verstorbenen und nur ein kleiner Teil von A., auf dem Abzug halten sich die Anteile in etwa die Waage.

Mord oder Unfall?

Für die Verteidigung ist damit klar, dass der 38-Jährige die Waffe mitnahm, als er am Tattag mit seiner Ehefrau von Kärnten nach Wien fuhr, um mit dem Angeklagten eine Finanztransaktion durchzuführen. Die Staatsanwältin sowie Privatbeteiligtenvertreter Clemens Lahner sehen eine andere Möglichkeit: Der ballistische Sachverständige hatte in seiner Expertise darauf hingewiesen, dass die Pistole einen Magazinauswurfknopf besitze, bei dessen Betätigung das Magazin zu Boden fällt, was auch die von den Kriminalisten gefundene einzelne scharfe Patrone am Tatort erklären würde. Die Anklägerin und Lahner halten es also für möglich, dass sich der Munitionsbehälter in einem Gerangel um die Waffe gelöst und das Opfer ihn in der Hand gehalten hat. Allerdings: Sachverständige Stein stellt klar, dass sich auf dem Magazin keine Blutspuren befunden haben, außerdem ist nicht schlüssig, wie das Magazin zurück in die Waffe kam, die der Angeklagte bei seiner Festnahme kurz darauf bei sich hatte.

Um zu demonstrieren, wie leicht das Magazin herausfällt, kommt es zu einem ungewöhnlichen Schritt: Beisitzer Stefan "James" Apostol, offensichtlich geübt im Umgang, zeigt den Laienrichterinnen und -richtern die Wirkung der Gravitation nach Betätigung des Auswurfknopfs der Walther.

Die Zeugeneinvernahme der Witwe gestaltet sich schwierig, da die 27-Jährige bei der Schilderung des Vorfalls psychisch völlig zusammenbricht und die Befragung unterbrochen werden muss. "Mein Leben ist am Ende! Ich habe nur Schmerzen! Ich habe jede Nacht Albträume und sehe Blut! Mein Ehemann war für mich alles! Ich habe mein eigenes Leben verloren!", bekundet sie.

Schwierige Geldüberweisung

Ihrer Darstellung nach war ein Hawala-Geschäft geplant. Das Ehepaar wollte dem Bruder des Getöteten 33.400 Euro in den Iran überweisen. Da das aufgrund der Sanktionen auf offiziellem Weg nicht möglich ist, griff man mit A. auf einen "Hawaladar" zurück. Das informelle System basiert auf dem Prinzip wie Western Union: Man zahlt Bargeld ein, der Empfänger hebt Bargeld ab.

Sie habe ihre Tasche mit dem Geld an den Angeklagten übergeben, sagt die Witwe, der habe das Geld gezählt und in einer Lade verstaut. Sie und ihr Mann seien aber misstrauisch geworden, da keine Bestätigung der erfolgreichen Überweisung kam. Der Getötete verlangte das Bargeld zurück, und als er es nachzählte, seien es nur noch 26.400 Euro gewesen. Sie brachte die Banknoten zurück in ihren Wagen, als sie zurückkam, sei A. plötzlich aufgestanden und habe lächelnd auf ihren Mann geschossen. Der fiel nicht sofort um, sondern rang mit A. noch um die Waffe. Verteidiger Ahmed wundert sich, warum die Zeugin vor Gericht zum ersten Mal erwähnt, dass der Angeklagte bei der Schussabgabe gelächelt habe. Er hält es auch für plausibler, dass das Paar die nicht registrierte Waffe zum Schutz mithatte, was die Witwe aber strikt bestreitet.

A. selbst erzählt die Geschichte genau anders herum: Er habe sich von dem Paar Geld borgen wollen, das habe aber nicht funktioniert, dann sei er bei einem Streit der gezogenen Waffe gegenübergestanden, aus der sich bei einem Handgemenge der tödliche Schuss löste.

Angeklagter weinte in Haft

Auch Verteidigerin Mair sieht im Tod des 38-Jährigen einen Unfall, der "in einer blöden Situation passiert" sei. Ihr Mandant habe noch am Tag vor der Verhandlung in der Untersuchungshaft zu weinen begonnen, da es ihm leid tue, die Schuld am Tod eines Menschen zu tragen. Es sei aber keine vorsätzliche Tat gewesen, sondern nur fahrlässige Tötung, appelliert sie an die Geschworenen.

Die brauchen rund zwei Stunden, bis sie zu einem Urteil kommen und sprechen A. mit sechs zu zwei Stimmen des Mordes für schuldig. Die Strafe: 15 Jahre Haft, die Untersuchungshaft seit dem 7. Mai wird angerechnet. Der Witwe muss er 23.290 Euro an Trauerschmerzengeld und Begräbniskosten zahlen. Fast eine Viertelstunde diskutiert der Angeklagte dann mit seinem Verteidigungsteam vor der Tür, ehe er sich ebenso wie die Staatsanwältin Bedenkzeit nimmt, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 31.1.2023)