"Unangekündigter" Besuch beim Friseur in South Carolina.
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Ein kleines Ferkel streicheln. In einer Kneipe ein Bier zapfen. Einem Friseur beim Rasieren zuschauen: Im Wahlkampf müssen US-Politiker einiges auf sich nehmen. Und dabei immer lächeln, das ist das Wichtigste, und geduldig für Selfies posieren. "Retail politics" (Einzelhandelspolitik) nennt man in den USA diese Art von Kampagnen, bei denen Republikaner oder Demokraten ihre Botschaften persönlich unter die Menschen bringen.

Im Fernsehen sieht das schön aus. Vor allem, wenn es im winterlichen New Hampshire spielt, wo die Republikaner vorige Woche ihre Vorwahlen für die Präsidentschaftskandidatur abhielten. Vor dem TV-Schirm wirken diese Begegnungen in hübschen kleinen Läden und urigen Diners volksnah, spontan und (fast) authentisch. Das sind sie natürlich genauso wenig wie die "Townhall"-Begegnungen, also überschaubare Bürgerversammlungen, bei denen der Kandidat oder die Kandidatin locker herumläuft und Fragen von Zuschauern beantwortet.

Für Washingtoner Korrespondenten sind die "Primaries", die derzeitigen Vorwahlen der Demokraten und Republikaner für die Präsidentschaftskandidatur, eigentlich eine Festspielzeit. Nicht nur wegen der Fernsehbilder. Draußen in den abgelegenen Ecken von Iowa, New Hampshire oder Nevada ist alles zehn Nummern kleiner als in der US-Hauptstadt. Selten sonst hat man die Chance, einen Spitzenpolitiker aus so großer Nähe zu beobachten.

Reglementierter Zugang

Zumindest theoretisch. Praktisch wird der Zugang immer strenger reglementiert. Dafür gibt es logistische, sicherheitstechnische, aber auch politische Gründe: Eine Gruppe lautstarker Störer kann den schönsten Auftritt versauen. Also wird zu den Terminen meist nicht öffentlich eingeladen, sondern über einen E-Mail-Verteiler. Man muss sich mit Namen, Mail-Adresse, Wohnort und Telefonnummer anmelden und darf nur herein, wenn man eine Bestätigung bekommen hat.

Stundenlang warten die Trump-Fans in New Hampshire bei minus 10 Grad auf den Auftritt ihres Idols. Zwischendurch kann man sich mit Devotionalien eindecken.
Karl Doemens

Das gilt auch (und erst recht) für Reporter, die einen gesonderten Akkreditierungslink nutzen müssen. Eigentlich wird in den USA ja die Rede- und Pressefreiheit besonders hochgehalten. Aber aus Sicht der Parteikampagnen gibt es im Wahlkampf zwei sehr unterschiedliche Arten von Medienvertretern: die regionalen Berichterstatter, deren Geschichten im betreffenden Wahlkreis erscheinen, und die Kollegen der großen Fernsehsender, deren Storys landesweit gesehen werden – die sind wichtig. Der Rest aber ist nur lästig. Und in dieser Reste-Gruppe rangieren die ausländischen Schreiberlinge ganz weit unten, denn ihre Texte wird kein amerikanischer Wähler je lesen.

Seit langem habe ich mich daran gewöhnt, nach der offiziellen Anmeldung zu einer Trump-Kundgebung regelmäßig eine Antwortmail mit der Betreffzeile "Your credentials have been denied" ("Ihre Akkreditierung wurde verweigert", Anm.) zu erhalten. Ich nehme das nicht persönlich, denn den anderen deutschen Kolleginnen und Kollegen hier geht das genauso.

Aber dass ich neulich von einer ebenso freundlichen wie resoluten Helferin aus Robie's Country Store im verschneiten Hooksett geworfen wurde, in dem schon Jimmy Carter anno 1975 lächelnd Hände schüttelte und nun die republikanische Präsidentschaftsbewerberin Nikki Haley erwartet wurde, hat mich doch getroffen. Man brauche den Platz für lokale Wähler, sagte der weibliche Zerberus. Mein Hinweis, dass ich mich als Journalist akkreditiert habe und eigens aus Washington angereist sei, interessierte sie nicht. Überhaupt ist Haley extrem rigide, was Presse angeht. Nur höchst selten beantwortet sie Journalistenfragen. Von den Veranstaltungsorten läuft sie wortlos und mit raschem Schritt auf ihre Limousine zu.

Nikki Haleys Team sorgt für Platz für lokale Wähler.
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Immerhin kann man das sehen. Beim objektiv gefährdeteren Präsidenten ist das anders: Als Joe Biden am vorigen Sonntag die Kirche St. John the Baptist in einem unschönen Viertel von Columbia, der Hauptstadt des Südstaats South Carolina, besuchte, hatte der Secret Service neben dem Gotteshaus eigens eine weiße Zeltgarage aufgebaut, in der das "Beast" – die mächtige schwarze Präsidentenlimousine – samt Insasse verschwand. Zum Gottesdienst drinnen waren nur Gemeindemitglieder zugelassen.

Ein Kollege und ich wurden von der Polizei unmissverständlich darauf hingewiesen, dass wir den Bürgersteig auf der anderen Straßenseite nicht verlassen dürften, wo wir übrigens neben einer einsamen propalästinensischen Demonstrantin standen, die laut "Ceasefire" (Waffenstillstand) rief. Bidens Stippvisite bei einem afroamerikanischen Barbershop war zuvor komplett geheim gehalten worden. Zu normalen Wahlkampfveranstaltungen des Präsidenten hat man als Korrespondent indes meist Zutritt, sofern man das undurchsichtige Anmeldeverfahren über die lokalen Organisatoren meistert.

"Mini-Wallraff"

Bei der Berichterstattung über die pressefeindlichen Republikaner mutiert derweil mancher Reporter zu einem "Mini-Wallraff": Ein Kollege schaffte es tatsächlich mit einem roten "Make America Great Again"-Käppi und regungslosem Pokerface zu Trumps Wahlparty in New Hampshire. Auf jeden Fall braucht man starke Nerven. Nach dem Rausschmiss aus Robie's Country Store habe ich mich kurz darauf im Schlepptau von Haleys Bodyguards einfach wieder in den überfüllten Geschäftsraum zurückgedrängt.

Zu Trumps Kundgebungen meldet man sich derweil am besten als normaler Bürger an. So sehr der Ex-Präsident gegen die Presse hetzt ("Feinde des Volkes"), so sehr braucht er das große Publikum. Bei der Sicherheitskontrolle am Eingang werden die Personalien meist nicht überprüft. Allerdings muss man sich dafür stundenlang in die Schlange der Trump-Fans einreihen. Das kann zu interessanten Gesprächen, bei minus zehn Grad in New Hampshire aber auch zu Erkältungen oder Schlimmerem führen.

Immerhin gibt es in den Stadien drinnen für die Besucher Sitzplätze, während die offiziellen Journalisten in einem eingezäunten Bereich stehen müssen. Trotzdem hätte ich mir neulich lieber ein Gitter gewünscht. Auf einmal nämlich erschien auf den Rängen der ultrarechte Abgeordnete Matt Gaetz, eine der übelsten Gestalten aus dem Trump-Kosmos. Der 41-Jährige, der den Kapitol-Sturm unterstützt und im Oktober den Sturz von Repräsentantenhaus-Sprecher Kevin McCarthy eingefädelt hat, arbeitete sich unter dem begeisterten Johlen der Zuschauer immer weiter in meine Richtung vor. Als er im Block 103 die Treppe hochlief und buchstäblich an mir vorbeizog, sprangen meine Sitznachbarn begeistert auf und machten Selfies. Ich musste sehr starr in die andere Richtung schauen, um ein aufgezwungenes Händeschütteln zu vermeiden. So ist das mit der Nähe zu Politikern im Wahlkampf: Manchmal kann zu viel davon auch unangenehm sein. (Karl Doemens aus aus Washington, 1.2.2024)

Unser Korrespondent in Trumps Wahlkampfzentrale in New Hampshire.
Karl Doemens