Eine Gruppe von Senioren und Seniorinnen an einem Klavier, die laut und ausdrucksstark zusammen singen und lachen
Wer bis ins hohe Alter musiziert, hilft dem Gehirn, fit zu bleiben.
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Der weltberühmte Pianist Menahem Pressler spielte bis zu seinem 95. Lebensjahr tausende Konzerte. Er fühle sich beim Klavierspielen wie 50, beschrieb er seine Begeisterung für die Musik. Das ist nicht nur ein individuelles Gefühl von Pressler, dieses Phänomen wurde wissenschaftlich ausführlich untersucht. Auch Forschende an der englischen Universität Exeter beschäftigten sich damit. Und stellten fest: Spielt man ein Musikinstrument, fördert das die Gehirngesundheit.

Das konnten sie in einer aktuellen Studie nachweisen, sie befragten dafür mehr als 1.100 Probandinnen und Probanden über 40. Dabei zeigte sich ganz klar, dass sich musikalische Aktivität positiv auf die Gehirnleistung auswirkt. Spielt man ein Instrument, scheint das sogar besonders effektiv zu sein: Jene Teilnehmenden, die eines gelernt hatten, glänzten mit besonders starken kognitiven Fähigkeiten.

Vor allem Klavier- beziehungsweise Keyboardspielerinnen und Blechblasmusiker bewiesen in der Onlinestudie ein gutes Gedächtnis. Holzblasinstrumente scheinen hingegen vor allem das logische Denken zu stärken. Das könnte daran liegen, dass man bei Holzblasinstrumenten viel mehr Klappen bedienen muss. Auf jeden Fall ist klar: Musizieren hält das Gehirn fit. Tut man das bis ins hohe Alter, bringt das "einen zusätzlichen Nutzen für die Gehirnleistung", formuliert es Studienautorin und Demenzforscherin Anne Corbett gegenüber der BBC. Denn Musik stimuliert die frontalen Hirnregionen, in denen diese Prozesse stattfinden.

Singen als Kommunikation und Gehirntraining

In Österreich gibt es im Verhältnis aber wenig Musizierende, und die sind auch eher jung. In einer repräsentativen Onlineumfrage des Meinungsforschungsinstituts Integral gaben 2022 nur 17 Prozent an, selbst zu musizieren. Sie waren meistens zwischen 16 und 29 Jahre alt. Das sind keine guten Nachrichten für eine alternde Gesellschaft mit zunehmend mehr Lebensstilerkrankungen.

Derzeit leben in Österreich circa 130.000 bis 150.000 Menschen mit einer Form von Demenz. Jede fünfte Person über 85 und bereits jede dritte Person über 90 ist betroffen. Bis 2050 soll sich dieser Wert fast verdoppeln. Demenzerkrankungen beeinträchtigen dabei nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen und Angehörigen, sie stellen auch das Gesundheitssystem vor finanzielle Herausforderungen: Die jährlichen Kosten für Diagnostik und Behandlung werden auf 1,39 Milliarden Euro geschätzt.

Demenz kann man derzeit nicht heilen. Medikamente können helfen, Symptome wie Gedächtnisverlust hinauszuzögern. Dieses Ziel haben auch nichtmedikamentöse Therapien, sie kommen aber ohne medikamentöse Nebenwirkungen aus. Eine solche Therapieform ist Musik – und sie wird immer relevanter. Dazu gehört auch das Singen. Denn für Demenzbetroffene wird die Kommunikation mit ihrem Umfeld immer schwieriger. Beim Singen können sie sich oft leichter ausdrücken. Viele erinnern sich dann etwa an Liedtexte aus ihrer Kindheit, das stärkt auch das Selbstbewusstsein.

Die Studie aus Exeter zeigt außerdem, dass auch Singen kognitive Fähigkeiten positiv beeinflusst. Egal ob kognitiv gesund oder leicht dement, an gesungene Texte scheinen wir uns besser erinnern zu können als an gesprochene, das zeigt diese Studie.

Musikgeragogik liefert Lösungen

Mit dem Musizieren im Alter beschäftigt sich sogar eine eigene Fachdisziplin, die Musikgeragogik. Gegründet wurde die Disziplin vor etwa 20 Jahren von den Musikwissenschaftern Hans Hermann Wickel und Theo Hartogh. Das Fach wird vor allem in Deutschland unterrichtet, unter anderem an der Fachhochschule Münster. Die Rhythmikerin Monika Mayr hat sich dort fortgebildet und sagt: "Musik wirkt wirklich Wunder, deshalb müssen wir mehr Angebote dafür schaffen." Noch gäbe es zu wenig Ausbildungsmöglichkeiten und Institutionen, die das Musizieren im Alter niederschwellig anbieten. Sie selbst setzt vor allem auf Instrumente, bei denen man sich aktiv bewegt, wie die Gitarre.

Musik wirkt auf verschiedenen Ebenen auf unsere Gehirnleistung, erklärt Mayr: "Die drei Säulen sind dabei Motorik, Kognition und Emotion, also Freude." Beim Klavierspielen, Trommeln und Flöten trainieren wir nicht nur unsere Denkleistung, wir bewegen uns auch und erleben soziokulturelle Teilhabe. Die Musikgeragogik untersucht, wie man diese positiven Effekte auch älteren Menschen zugänglich macht.

Ingrid Roßbauer ist ebenfalls Musikgeragogin und bietet Klavierunterricht für ältere Erwachsene an. Sie beobachtet bei ihren Schülerinnen und Schülern, dass sie "nahezu jede Stunde wacher und frischer verlassen, als sie sie begonnen haben". Das stellt man auch in Seniorenhäusern fest, immer mehr organisieren deshalb Musik- und Singkurse oder kooperieren mit Musikschulen. Ein Pflegeheim in Weidach in Vorarlberg etwa zeigt das vor.

Am besten nie mit Musik aufhören

Solche Kurse sind auch soziale Events – und sind damit bewiesenermaßen zusätzlich gut für die kognitive Gesundheit. "Das Musizieren hat positive emotionale und soziale Aspekte und beeinflusst dadurch die Lebensqualität", sagt auch Roßbauer. Sie erzählt von einem Schüler, der mit stolzen 95 Jahren seinen Unterricht bei ihr begonnen hat. "Er hat sein ganzes Leben mit wechselnder Intensität Klavier gespielt. Sein Verstand war scharf, und er war meiner Meinung nach kognitiv fitter als die meisten 70-Jährigen", sagt sie. Rhythmikerin Mayr wiederum begleitet in einem Seniorenheim einen Mann, der nicht mehr spricht. Am Klavier begeistert er aber immer noch alle mit seinen Wienerliedern.

Die Forschenden der Uni Exeter empfehlen aus all diesen Gründen, Musik- oder Gesangskurse als Vorsorgemaßnahme im Gesundheitswesen zu fördern. Ältere Menschen sollten ermutigt werden, ein Instrument, das sie früher gelernt haben, wieder zu spielen. Ob der Gehirn-Booster auch besteht, wenn man mit 40 plus zum ersten Mal ein Instrument lernt, beantwortet die Studie nicht. Die Wissenschafterin Corbett geht aber von einem "sehr förderlichen" Effekt aus. (Andrea Gutschi, 13.2.2024)