Sind die Höchstwerte erreichbarer Temperaturen nach oben ziemlich weit offen, so ist im Minusbereich bald einmal Schluss. Der absolute Nullpunkt beträgt minus 273,15 Grad Celsius oder besser 0 Grad Kelvin, bekannt nach dem britischen Physiker Lord Kelvin, auf den diese absolute Temperaturskala zurückgeht.

Bei Temperaturen knapp über 0 Grad Kelvin zeigen die Elemente bizarre Eigenschaften: Bis auf Helium, das flüssig bleibt, werden alle anderen Elemente fest. Stark verdünnte Gase können sogenannte Bose-Einstein-Kondensate bilden – eine Art von Materie, in der sich alle Atome im Gleichtakt bewegen. Eine andere Eigenschaft, die nahe dem Nullpunkt auftaucht, ist die Suprasolidität: ein quantenmechanischer Zustand, bei dem sich Materie wie eine reibungslose Flüssigkeit mit periodischer Struktur verhält.

134 Milliardstel Kelvin

Technisch rasch komplizierter wird es, wenn man nicht Atome eines einzelnen Elements, sondern Moleküle in die Nähe des absoluten Nullpunkts abkühlen will. Eines der weltweit führenden Teams für diese Experimente arbeitet am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München, das vom aktuellen Physiknobelpreisträger Ferenc Krausz mitgeleitet wird. Und dort vermeldet man nun einen neuen Minustemperaturweltrekord für größere Moleküle.

Mikrowellenkühlschrank
Einblick in die Hauptvakuumkammer des "Mikrowellenkühlschranks", wo die Temperaturrekorde erzielt wurden.
MPQ

Wie Gruppenleiter Xin-Yu Luo und sein Team im Fachblatt "Nature" berichten, haben sie vieratomige Moleküle kälter gemacht als je zuvor. Sie kühlten etwa 1.100 Moleküle mit jeweils zwei Kalium- und zwei Natriumatomen auf eine Temperatur von 134 Milliardstel Kelvin ab – die größten Moleküle, die eine solche ultrakalte Temperatur bisher erreicht haben.

Nanokelvin-Mikrowellenkühlschrank

Der technische "Trick" des Teams in Garching basiert auf einem rotierenden Mikrowellenfeld, das man salopp als "Nanokelvin-Mikrowellenkühlschrank" bezeichnen könnte. Dieses Feld hilft, die Stöße zwischen den Molekülen während des Abkühlens durch einen energetischen Schutzschirm zu stabilisieren. Den Max-Planck-Forschern gelang es auf diese Weise bereits 2022, ein Gas aus Natrium-Kalium-Molekülen bis auf 21 Milliardstel Grad über dem absoluten Nullpunkt abzukühlen. Damit schaffen sie es auch auf die Titelseite von "Nature":

Nullpunkt Ultrakalt
Das damalige "Nature"-Cover mit der Versuchsanordnung und einigen künstlerischen Ergänzungen.
Nature, Christoph Hohmann (MCQST/MPQ)

Für ihre neuen Experiment begannen sie ebenfalls mit mehreren Tausend Molekülen aus einem Natrium- und einem Kaliumatom, die sie in einer luftleeren Kammer einschlossen und mit magnetischen Kräften und Lichtblitzen kühlten – und damit sehr ruhig stellten. Diese Moleküle konnten auf 97 Milliardstel Kelvin abgekühlt werden.

Theorie leitet Praxis an

Um diese zweiatomigen Moleküle in vieratomige Moleküle zu verwandeln, mussten die Forschenden sie paarweise zusammenfügen, ohne sie dabei zu erwärmen. Auf der Grundlage theoretischer Berechnungen von Tao Shi und Su Yi von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften verwendeten sie Mikrowellenfelder, um die Moleküle zusammenzukleben. "Wir wussten wirklich nicht, ob wir diese Moleküle zusammenfügen können, aber Taos Team hat eine Berechnung angestellt, und er sagte zu mir: 'Das ist möglich, versuch es einfach'", sagt Luo im Gespräch mit dem Fachblatt "New Scientist".

Ihre Versuche waren erfolgreich. Die Forscher schufen etwa 1.100 Moleküle mit jeweils zwei Kalium- und zwei Natriumatomen bei einer Temperatur von 134 Milliardstel Kelvin – die größten Moleküle, die eine solche ultrakalte Temperatur bisher erreicht haben. Das ist eine Verbesserung des bisherigen Rekords um das 30.000-Fache.

Und warum das Ganze?

Aber warum bemühen sich Physikerinnen und Physiker überhaupt, solche Temperaturen zu erreichen? "Einer der Gründe, warum man Moleküle überhaupt ultrakalt macht, ist, dass man mehr Kontrolle über sie haben will, und das ist in diesem Sinne ein großer Schritt nach vorn", sagt John Bohn von der University of Colorado Boulder ebenfalls im "New Scientist".

Das neue Experiment sei nicht nur wegen der noch nie dagewesenen Temperatur der Moleküle wichtig, sondern auch, weil sie in ihrem kältesten Zustand in einen bekannten Quantenzustand eintreten und mit Präzision in einen anderen Zustand oder einen Prozess versetzt werden können. Das eröffnet neue Möglichkeiten, etwa bei Präzisionsmessungen und der Quanteninformationsverarbeitung.

Xin-Yu Luo hat noch eine andere Erklärung: "Es gibt einen Witz, der besagt, dass wir Moleküle nicht untersuchen, weil es einfach, sondern weil es schwierig ist." (Klaus Taschwer, 1.2.2024)