Richterin Julia Sebutinde (Zweite von rechts in der oberen Reihe) auf einem Archivbild.
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Seit sie als Einzige von den 17 zuständigen Richtern des Internationalen Gerichtshofs (IGH) gegen alle sechs Maßnahmen stimmte, die das Gericht nach der südafrikanischen Völkermordklage gegen Israel angeordnet hatte, muss die Uganderin Julia Sebutinde so manche Beschimpfung ertragen. Hundertfach wird ihr in den sozialen Netzwerken etwa mangelnder Respekt vor den Opfern von Diktator Idi Amin vorgeworfen, der in Uganda während der 1970er-Jahre Hunderttausende tötete – sein gezieltes Vorgehen gegen illoyale Volksgruppen werten Historiker als versuchten Genozid.

Einige Nutzer legten Sebutinde auch zur Last, dass sie ihre Karriere im Jahr 1978 als junge Beamtin im Justizministerium noch in Idi Amins Verwaltung begonnen hatte. Der 69-Jährigen in diesem Zusammenhang Israel-Nähe vorzuwerfen offenbart freilich begrenztes Geschichtswissen. Im Jahr 1976 war es der Tyrann, der die palästinensischen Entführer eines Flugzeugs unterstützt hatte, das sie in die ugandische Stadt Entebbe umgeleitet hatten. Israelische Elitesoldaten befreiten zwar die meisten Passagiere gegen den Widerstand ugandischer Soldaten, doch der Anführer des Einsatzes wurde getötet: Jonathan Netanjahu, der ältere Bruder des heutigen israelischen Premiers Benjamin Netanjahu. Dieser Verlust, so sagen Beobachter, prägt dessen Haltung zur nationalen Sicherheit Israels bis heute.

Strikte Distanzierungen

In einer elfseitigen "abweichenden Meinung" hatte Sebutinde erläutert, warum sie die Israel vorgeworfene Absicht eines Völkermords als nicht begründet erachtet, schreibt von "einem im Kern und historisch gesehen politischen Disput". Das löste besonders in Afrika Empörung aus, wo sich viele schon wegen der aus ihrer Sicht ähnlichen Erfahrungen mit Kolonialisierung, Enteignung und Vertreibung zu einer solidarischen Haltung gegenüber den Palästinensern verpflichtet sehen. Die Menschenrechtsanwältin Sherry Kyama unterstellte Sebutinde auf X, dass ihre Mitgliedschaft in einer ugandischen Kirche mit engen Verbindungen nach Israel eine Rolle gespielt haben könnte: "Wenn jemand Richterin wird, dann verschwinden persönliche Ansichten nicht einfach."

Auch Ugandas Regierung distanzierte sich umgehend von der Juristin. Es handele sich um Sebutindes unabhängige Meinung und nicht die Ansichten der ugandischen Regierung. Uganda gilt wegen einer umfangreichen Militärkooperation eigentlich seit langem als Israel-Freund, hatte sich bei der Klage aber der Position Südafrikas angeschlossen. Das Land hat erst im Jänner den Vorsitz der Bewegung der blockfreien Staaten übernommen. Die meisten der 120 Nationen stehen Israel kritisch gegenüber.

Untergetaucht

Seit der Verfügung des Gerichts ist Sebutinde öffentlich nicht mehr in Erscheinung getreten, auch eine Interviewanfrage des STANDARD ließ sie unbeantwortet. So viel Kritik gab es schließlich nicht einmal an Fatou Bensouda (63), als sie in den Jahren 2012 bis 2021 Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (IstGH) in Den Haag war. Der Gambierin wurde vorgeworfen, der IStGH verfolge unverhältnismäßig viele Fälle gegen Afrikaner – etwa bei der Anklage des damaligen sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir, der des Völkermords in Darfur beschuldigt wurde.

Die Afrikanische Union (AU) verabschiedete seinerzeit eine Resolution, die ihre Mitgliedsstaaten aufforderte, nicht mit dem IStGH bei der Verhaftung von al-Baschir zu kooperieren. Dem Rat folgte damals Südafrika, das im Fall Israel gerade so vehement auf das Völkerrecht pocht, und ließ al-Baschir unbehelligt an einem Gipfel teilnehmen. Als Unterzeichner des Rom-Statuts wäre es zu seiner Verhaftung verpflichtet gewesen.

Thema im Wahlkampf

Derweil thematisierte Sebutinde in ihrer Begründung nicht zuletzt Südafrikas umstrittene Außenpolitik. Das Gericht habe in den Anhörungen vernommen, dass "bestimmte Regierungsorgane" des Landes "freundschaftliche Beziehungen mit der Hamas-Führung pflegen", schrieb sie. Unter diesen Umständen könne Südafrika ja durchaus seinen Einfluss geltend machen, um die Freilassung der israelischen Geiseln im Gazastreifen zu erwirken, kommentierte sie süffisant ein vom Westen mit Entsetzen zur Kenntnis genommenes Telefonat von Außenministerin Naledi Pandor mit der Terrororganisation kurz nach Beginn des Krieges. Darin ging es Pandor zufolge um humanitäre Unterstützung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen.

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa.
Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa.
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Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa macht übrigens keinen Hehl daraus, dass er die von seinem Land eingereichte Klage im anlaufenden Wahlkampf einsetzen wird. Ramaphosa verwies ominös auf "Kräfte", die wegen Südafrikas Haltung zu Israel eine "Agenda des Regierungswechsels anstreben" würden. "Der Kampf könnte sich auf unsere Innenpolitik und unsere Wahlergebnisse konzentrieren", sagte er nach Angaben der renommierten Zeitung "Business Day" am Dienstag.

In Südafrika wird voraussichtlich im Mai gewählt, der von Korruption und Missmanagement geprägten Regierungspartei ANC droht erstmals, die absolute Mehrheit zu verfehlen. Ein Szenario, das sie offensichtlich auch mit dem moralischen Schutzschild des Krieges in Gaza verhindern möchte. Und die Partei scheint bereit, dafür selbst das Vertrauen der Wähler in einen ordnungsgemäßen Ablauf des Urnengangs zu opfern. (Christian Putsch aus Kapstadt, 2.2.2024)