Die Europäische Union hat der Ukraine die Zahlung von 50 Milliarden Euro an Finanzhilfen zur Aufrechterhaltung der wichtigsten staatlichen Funktionen und zu einem geringen Teil für Waffenlieferungen bis Ende 2027 zugesichert. Darauf haben sich die 27 Staats- und Regierungschefs am Donnerstag bei einem EU-Sondergipfel in Brüssel einstimmig geeinigt.

Viktor Orbán (Mi.) musste einlenken, Olaf Scholz (li.) und Charles Michel (re.) machen ordentlich Druck.
Viktor Orbán (Mi.) musste einlenken, Olaf Scholz (li.) und Charles Michel (re.) machen ordentlich Druck.
EPA/OLIVIER HOSLET

Bereits zu Beginn der Sitzung hatte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán sein Veto gegen dieses Hilfspaket aufgegeben. Damit könne die Regierung in Kiew mit Planbarkeit bei der Finanzierung rechnen, erklärte der Ständige Ratspräsident Charles Michel: "Die EU übernimmt Führung und Verantwortung. Wir wissen, was auf dem Spiel steht."

Er hatte in der Früh in einer Reihe von Gesprächen mit ausgewählten Regierungschefs in kleinem Kreis für Annäherung gesorgt. Den Ausschlag gab offenbar eine Vorabrunde, an der neben Michel und Orbán auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der deutsche Kanzler Olaf Scholz und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron teilnahmen. Auch Italiens Regierungschefin Georgia Meloni war dabei.

"Eher miese" Stimmung

Die Stimmung sei zu Beginn "eher mies" gewesen, sagte ein in die Gespräche involvierter Beamter dem STANDARD. Orbán hatte noch in der Nacht davor betont, dass er von seinen Einwänden und einem Veto nicht abrücken wolle. Der polnische Premier Donald Tusk sagte, er und seine Kollegen litten nicht unter "Ukraine-Müdigkeit, sondern unter Orbán-Müdigkeit". Am Ende war dann offenbar der Druck für den Ungarn zu groß.

Vor allem Scholz machte bereits bei seinem Eintreffen in Brüssel klar, dass er nur eine Einigung aller 27 Mitgliedsstaaten akzeptieren wolle. Es sei dringend notwendig, der Ukraine die nötige Unterstützung zu geben, insbesondere was Waffenlieferungen betreffe.

Auf den ungarischen Premierminister wurde jedenfalls großer Druck ausgeübt, seinem Land wurden schwere wirtschaftliche und politische Konsequenzen angedroht. So wurde erwogen, gegen Ungarn ein Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge definitiv einzuleiten, was zu einem Entzug der Stimmrechte des Landes in EU-Ministerräten führen könnte. Orbán gelang es offenbar auch nicht, Zugeständnisse bei den EU-Verfahren wegen Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit zu erreichen. Sie sind der Grund, warum Budapest EU-Gelder in zweifacher Milliardenhöhe aus dem Wiederaufbaufonds vorläufig nicht bekommt. "Er hat nichts bekommen für sein Einlenken", versicherte ein Diplomat.

Der einstimmige Beschluss macht nun eine Revision des langfristigen EU-Budgetrahmens bis 2027 möglich. Insgesamt darf die Kommission damit 64 Milliarden Euro mehr ausgeben, wovon eben 50 Milliarden für die Ukraine vorgesehen sind. Rund zehn Milliarden zusätzlich sind für Maßnahmen im Bereich Migration vorgesehen, unter anderem zur Sicherung der EU-Außengrenzen, Versorgung ukrainischer Flüchtlinge oder zur Eindämmung irregulärer Migration.

Langfristige Kredite

Rein technisch bedeutet das nicht, dass die Mitgliedsstaaten damit auch 64 Milliarden Euro an Beiträgen aufbringen müssen. Mehr als 30 Milliarden für die makroökonomische Hilfe an die Ukraine werden in Form von sehr langfristigen Krediten aufgebracht, die das Land in Jahrzehnten zurückzahlen muss. 17 Milliarden Euro sind Zuschüsse, an die zehn Milliarden Euro werden durch Umschichtungen im laufenden EU-Budget erzielt.

In den Schlusserklärungen des Gipfels wird die "dringende Notwendigkeit" betont, der Ukraine mehr Waffen zu liefern für den Krieg gegen die russische Armee. "Die Diskussion darüber muss dringend begonnen werden", erklärte Kanzler Scholz dazu. Deutschland ist mit rund sieben Milliarden Euro der bei weitem größte Lieferant von Waffen für die Ukraine, was von den meisten Mitgliedsstaaten gewürdigt wird.

Die EU-Staaten und die Union haben ihre getätigten Zusagen für die Lieferung von Waffen und Munition bisher nicht einhalten können. So wurden seit einem Jahr nicht eine Million Granaten geliefert, sondern nur die Hälfte davon. Dies will man nun beschleunigen. Als entscheidend wird auch die Lieferung von Raketenabwehrsystemen und Drohnen gesehen. Im EU-Budget sollen eigens fünf Milliarden Euro zusätzlich unter dem Titel der "Friedensfazilität" freigemacht werden. Alle müssten sich jetzt "unterhaken", betonte Scholz.

Gelder für den Zivilbereich

Der größte Teil der europäischen Finanzhilfen gilt jedoch dem zivilen Bereich, der Aufrechterhaltung der wichtigsten staatlichen Funktionen. Kiew bestreitet damit die Bezahlung von Beamten, von Pensionen oder im Gesundheitsbereich sowie im Schulwesen.

Anders als Orbán gefordert hatte, wird es für die beschlossene Finanzhilfe nicht neuerlicher einstimmiger Entscheidungen bedürfen. Die Regierungschefs kamen überein, dass es in zwei Jahren lediglich eine "Überprüfung" geben wird. Hätte Ungarn nicht eingelenkt, wäre die Ukraine-Hilfe aber auch nicht gescheitert. Die Dienste der Kommission hatten einen Plan B vorbereitet, wonach die 26 Mitgliedsstaaten ohne Ungarn das Geld auf bilateraler Ebene und durch Einzelbeschlüsse aufgebracht hätten – so wie das seit Kriegsbeginn vor zwei Jahren bereits der Fall ist.

Pro Monat überweist die EU knapp zwei Milliarden Euro an Kiew, wofür die EU-Staaten haften. Nun gibt es jedoch eine Verankerung im EU-Budget, was die Rechnung für alle "billiger" macht. Denn die Europäische Union als Ganze kann das Geld auf den Finanzmärkten günstiger auftreiben als einzelne Staaten.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der beim Gipfel per Videokonferenz zugeschaltet wurde, zeigte sich erleichtert und dankbar. Die Hilfen würden "die langfristige wirtschaftliche und finanzielle Stabilität stärken", die nicht weniger wichtig sei als Sanktionen gegen Russland und militärische Unterstützung der Ukraine. (Thomas Mayer aus Brüssel, 1.2.2024)