Teils gewaltsame Bauernproteste erreichten am Donnerstag den EU-Gipfel in Brüssel. 1300 Traktoren blockierten die Straßen.
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Die Wut der Bauern kennt innerhalb Europas keine Grenzen. Entzündete sich ihr Protest in Deutschland an Steuerprivilegien bei Agrardiesel, wehren sich Frankreichs Landwirte vor allem gegen billige Lebensmittelimporte aus Brasilien und Argentinien. Hunderte Traktoren belagern aber nicht nur Paris. Straßenblockaden ziehen sich von Italien über Spanien bis Portugal und Griechenland. Am Donnerstag erreichten sie den EU-Gipfel.

Aufgebrachte Bauern errichteten vor dem Parlament in Brüssel Lagerfeuer. Sie schossen Feuerwerkskörper ab, warfen Eier, verteilten Mist und warfen Denkmäler um. Auch ihren Frust fachen sinkende Preise, steigende Kosten, wachsende Umweltauflagen und Bürokratie an. Das Parlament wurde teilweise abgeriegelt und weiträumig abgeschirmt. Die Polizei schützte den Haupteingang mit Stacheldraht und Einheiten in Schutzmontur, wie am Donnerstag auf Fotos zu sehen war.

Mann wirft Flasche Richtung Polizeikette.
Proteste vor dem EU-Parlament in Brüssel.
AP/Thomas Padilla

Allein auf Österreich schwappte die Welle der Empörung nicht über. Der Versuch der FPÖ, Demonstrationen nach Wien zu tragen, misslang. Ihrem Ruf folgten lediglich eine Handvoll Bauern. Vielmehr prägten Verschwörungstheoretiker und Corona-Leugner die Szenerie vor kleiner Bühne auf dem Ballhausplatz.

Baustelle Importe

In der EU geht die Angst um, dass die Proteste Nährboden für rechtsnationalistische Parteien sind. Angesichts der Europawahlen im Juni sucht die EU-Kommission daher fieberhaft Rezepte, um die brodelnden Bauernseelen zu besänftigen.

Eine Baustelle sind die rasant gestiegenen Importe aus der Ukraine. Um das Land vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs zu unterstützen, hatte die EU Zölle und Quoten für Agrarexporte vorübergehend ausgesetzt. Dies führte zu zunehmendem Wettbewerbsdruck.

Auf Drängen von Ländern wie Frankreich und Österreich erwägt die Kommission nun Schutzmechanismen für EU-Bauern rund um Geflügel, Eier und Zucker. Sollte davon deutlich mehr importiert werden als bisher, greifen Zölle als eine Art Notbremse ein. Bauernverbände wünschen sich dieses Sicherheitsnetz jedoch auch für Getreide und Mais.

Einen Schritt auf die Landwirte zugehen will die EU auch, was Auflagen für Klimaschutz und Biodiversität betrifft. Um Subventionen aus Brüssel zu beziehen, müssen Bauern vier Prozent ihrer Nutzflächen brachliegen lassen. Ziel ist, die Fruchtbarkeit der Böden und den Lebensraum für Artenvielfalt zu bewahren.

Biodiversität auf Prüfstand

Aus Sorge um die Ernährungssicherheit setzte Brüssel die Maßnahme nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine aus. Nun schwebt der Kommission eine Verlängerung der Ausnahmeregelung vor, mit dem Argument, die bäuerlichen Einkommen zu stärken, wenn auch einmal mehr auf Kosten der Natur.

Die finale Regelung liegt dazu bisher nicht vor. Daher lasse sich eine nationale Umsetzung noch nicht bewerten, heißt es aus dem VP-Landwirtschaftsministerium auf Anfrage des STANDARD. Österreich selbst sei davon nicht direkt betroffen, da 81 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe hierzulande am Umweltprogramm Öpul teilnehmen. Ihre Biodiversitätsflächen wuchsen 2023 um 60.000 auf gut 210.000 Hektar.

Mit ihren Zugeständnissen rund ums Brachland erntet die EU unter Agrarexperten jedoch scharfe Kritik. Steigen die Rohstoffpreise, fehle der Kommission ein wesentliches Instrument, um in den Markt einzugreifen, gibt der Wifo-Agrarökonom Franz Sinabell zu bedenken.

Frage des Wettbewerbs

Die Kosten der Gemeinsamen Agrarpolitik seien hoch, dafür erwarteten sich viele EU-Bürger auch Effekte für die Umwelt, fügt er hinzu. Nun riskiere man, mit davon abweichenden Einzelmaßnahmen die Gesamtstrategie zu gefährden.

Der Wut vieler Bauern über Freihandelsabkommen, niedrige Preise und Folgen der Globalisierung werde man damit nicht beikommen, ist auch Sebastian Lakner überzeugt. Der Agrarökonom der Uni Rostock hält es für klüger, über Förderungen einzugreifen. Er hebt die ökologische Bedeutung der Brachen hervor und erinnert daran, dass Bauern die Nichtbewirtschaftung über Direktzahlungen gut abgegolten bekämen.

Für Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchemiker von Global 2000, mutet der Vorstoß aus Brüssel geradezu grotesk an. Bauern forderten nicht zuletzt mehr Geld, da sie massiv unter den Folgen extremer Wetterbedingungen litten, sagt er. "Die Antwort darauf kann doch nicht sein, weitere wertvolle Flächen, die klimarelevant sind, einzuackern."

Österreich müsse sich dafür einsetzen, dass die Ausnahmeregelungen für Brachland auslaufen, fordert Burtscher-Schaden. Zumal es auch um fairen Wettbewerb gehe.

Skeptisch zeigt sich ob des EU-Vorschlags zudem Klimaschutzministerin Leonore Gewessler von den Grünen: Ausnahmen für Schutz von Biodiversität dürften nicht leichtfertig gemacht werden, sagt sie.

Frankreichs Premierminister Gabriel Attal versucht unterdessen, die protestierenden Bauern mit weiteren Hilfen zu beschwichtigen. Viehhaltern soll mit 150 Millionen Euro unter die Arme gegriffen werden. Die Einfuhr von Obst und Gemüse, das mit dem Pestizid Thiacloprid behandelt ist, will er verhindern. (Verena Kainrath, 1.1.2024)