Cherson
Archivaufnahme aus Cherson.
EPA/ROMAN PILIPEY

Moskau/Kiew/Krywyj Rih – Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu sieht seine Armee gegen die Ukraine in der Offensive. Vor ranghohen Militärs berichtete er von angeblichen Geländegewinnen. "Unsere Einheiten dringen vor, weiten die Zone unter ihrer Kontrolle aus, verbessern ihre Position an vorderster Linie", sagte der Minister am Freitag bei einer Sitzung in Moskau.

Die russische Armee habe die Dörfer Tabajiwka und Krochmalne im ostukrainischen Gebiet Charkiw sowie das Dorf Wessele nahe Bachmut im Donbass erobert, sagte Schoigu. Ganz eindeutig war die Gefechtslage in diesen Dörfchen mit nur wenigen Häusern aber nicht. Tabajiwka sei schwer umkämpft, aber weiter in ukrainischer Hand, sagte in Kiew der Militärsprecher für den dortigen Frontabschnitt am Freitag im Fernsehen. "Es gibt Artillerieduelle."

Auch der ukrainische Generalstab berichtete noch am Donnerstagabend, dass Tabajiwka von russischer Artillerie beschossen worden sei – es im Dorf also ukrainische Verteidiger gab. Andere ukrainische Militärbeobachter schlugen Tabajiwka und Krochmalne am Freitag aber der russischen Seite zu. Das Vorrücken der Russen in dieser Gegend ist Teil ihres Versuchs, die 2022 geräumte Stadt Kupjansk zurückzuerobern.

Im Fall des Dörfchens Wessele nordöstlich von Bachmut hatten russische Quellen schon vor einigen Tagen eine Eroberung behauptet; ukrainische Beobachter sahen Wessele am Freitag weiter in Kiewer Hand.

Französische NGO-Mitarbeiter bei russischem Angriff getötet

Bei einem russischen Angriff in der Ukraine sind unterdessen zwei französische Mitarbeiter einer Nichtregierungsorganisation getötet worden. "Zwei französische humanitäre Helfer haben ihren Einsatz für Ukrainer mit dem Leben bezahlt", teilte Frankreichs Außenminister Stéphane Séjourné am Freitag auf X mit. "Die russische Barbarei hat sich gegen Zivilisten in der Ukraine gerichtet", fügte er hinzu. Er drückte den Angehörigen sein Mitgefühl aus. "Russland wird sich für sein Verbrechen verantworten müssen", betonte der Außenminister.

Zuvor hatten ukrainische Behörden den Tod zweier Franzosen bei einem Angriff auf die Stadt Beryslaw in der südukrainischen Region Cherson gemeldet. "Ausländische Freiwillige wurden bei einem feindlichen Angriff auf Beryslaw getötet und verletzt", erklärte der Gouverneur der Region, Oleksandr Prokudin, am Donnerstag im Onlinedienst Telegram. "Die russische Armee hat zwei französische Staatsbürger getötet. Drei andere Ausländer wurden leicht verletzt." Auch ein Ukrainer sei bei dem Angriff verletzt worden, fügte der Gouverneur hinzu.

Nach Angaben der ukrainischen Polizei handelte es sich um einen russischen Drohnenangriff. Bei den getöteten Franzosen handle es sich um zwei Männer, bei den Verletzten um drei Männer und eine Frau. "Alle Opfer waren als Freiwillige in die Region Cherson gekommen", erklärte die Polizei. Mit dem Begriff Freiwillige bezeichnen die ukrainischen Behörden häufig die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen.

Krywyj Rih teils ohne Strom

In der Nacht auf Freitag hat Russland hat die Ukraine erneut mit Drohnenangriffen überzogen und damit in der Industriestadt Krywyj Rih einen größeren Stromausfall verursacht. Zehntausende Haushalte und zahlreiche Industriebetriebe in der Stadt im Gebiet Dnipropetrowsk im Südosten des Landes waren durch Schäden an einer Anlage von der Versorgung abgeschnitten, wie das ukrainische Energieunternehmen Ukrenerho mitteilte.

Der Gebietsgouverneur Serhij Lyssak teilte mit, dass durch den Stromausfall auch zwei Bergbauschächte betroffen waren, 100 Arbeiter seien zu dem Zeitpunkt unter der Erde gewesen. Ein Teil von ihnen konnte an die Oberfläche gebracht werden. Laut Behörden liefen die Arbeiten zur Wiederaufnahme der Stromversorgung.

Von der massiven Drohnenattacke seien vor allem die südlichen und zentralen Teile des Landes betroffen gewesen, teilte Ukrenerho weiter mit. Die ukrainische Flugabwehr meldete in der Früh, von 24 russischen Drohnen seien insgesamt elf abgeschossen worden. Die Angriffe der Russen seien erneut gezielt auf wichtige Infrastruktur gerichtet gewesen.

EU-Finanzhilfe für Selenskyj Signal an Moskau und Washington

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht indessen das milliardenschwere Hilfspaket der EU als Signal an Moskau – und Washington. "Das ist ein deutliches Signal an Moskau, dass Europa standfest ist und nicht zerbricht an den immer neuen destruktiven Wellen, die im Kreml erdacht werden", sagte Selenskyj in der Nacht auf Freitag in seiner Videobotschaft. Zugleich sei es aber auch eine Botschaft an Washington, dass sich Europa für Kiew einsetze und Einigkeit demonstriere.

Video: Selenskyj dankt EU für Finanzhilfen: "Das ist ein deutliches Signal."
AFP

Die USA gelten als wichtigster Unterstützer der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg – vor allem im militärischen Bereich. Allerdings liegen wegen innenpolitischer Querelen zwischen Demokraten und Republikanern weitere Rüstungshilfen für Kiew derzeit auf Eis. Die ukrainischen Truppen sind wegen des Mangels an Munition und Waffen in die Defensive geraten. "Wir warten auf die Entscheidungen Amerikas", mahnte Selenskyj noch einmal.

Das auf vier Jahre ausgelegte 50-Milliarden-Paket aus Brüssel sichert vor allem die soziale Stabilität in der finanziell angeschlagenen Ukraine. Selenskyj bedankte sich bei allen 27 Mitgliedsstaaten für die Einigung, die erst nach monatelangem Ringen speziell gegen ungarischen Widerstand erzielt wurde. Seinen Angaben nach braucht sein Land die größten Tranchen – jeweils 18 Milliarden Euro – in den ersten beiden Jahren, um die Stabilität zu wahren.

Entscheidung über Zuständigkeit bei ukrainischer Klage

Das höchste Gericht der Vereinten Nationen wird am Freitag über seine Zuständigkeit für eine von der Ukraine eingereichte Klage gegen Russland entscheiden. Die Ukraine reichte wenige Tage nach dem russischen Angriff im Februar 2022 beim Internationalen Gerichtshof (IGH) eine Klage ein. Das Land wirft Russland vor, unter dem Vorwand der Verhinderung eines vermeintlichen Völkermords einen Angriffskrieg zu führen. (APA, Reuters, 2.2.2024)