Für Generationen von steirischen Landeshauptleuten – von Josef Krainer senior über Friedrich Niederl bis zu Josef Krainer junior – galt es als Erfolgsrezept, "die steirische Position gegenüber der Politik in Wien" zu stärken (oder eine solche Stärkung zumindest zu behaupten). Von solch widerständigem Landesbewusstsein ist in der steirischen Bevölkerung nicht mehr viel übrig: In der Liste der Themen, bei denen in der Steiermark Handlungsbedarf vermutet wird, rangiert die Stärkung der eigenständig steirischen Position auf dem letzten Platz.

44 Prozent der Befragten denken, dass am ehesten die ÖVP unter Christopher Drexler die Themen in der Landespolitik vorgibt. Diese Stärke nutzt ihr aber nicht.
Alexander Danner

"Das ist vor allem etwas für die ältere Bevölkerung und für FPÖ-Wähler, die die türkis-grüne Bundesregierung besonders ablehnen", analysiert Market-Politikforscher David Pfarrhofer die Ergebnisse der aktuellen Umfrage für den STANDARD. Besonders auffällig sei, dass eine Positionierung Steiermark gegen die Bundespolitik die politisch unentschlossenen Wahlberechtigten kaum interessiere – "mit steirischen Sonderwegen lockt man keinen Hund hinter dem Ofen hervor", sagt Pfarrhofer.

Inflation und Wohnkosten

Die Liste, die Market den 781 repräsentativ ausgewählten Wahlberechtigten aus der Steiermark vorgelegt hat, umfasst 18 Themen. Als Top-Prioritäten werden von jeweils 67 Prozent "leistbares Wohnen" und "Bekämpfung der Inflation" mit dringendem Handlungsbedarf genannt. Die Inflation bewegt vor allem die Wählerschaften von KPÖ, SPÖ und FPÖ, das leistbare Wohnen verfängt besonders bei Grünen und KPÖ-Anhängern sowie bei Befragten in der Landeshauptstadt Graz.

Knapp danach kommen die Gesundheitsthemen und mit deutlichem Abstand dahinter Bildung, Sicherheit und Klimaschutz, der als landespolitisches Thema nur nachrangige Bedeutung genießt. Das Thema Zuwanderung und Integration liegt im Mittelfeld: 51 Prozent halten es für vordringlich, das sind um zehn Prozentpunkte mehr als bei einer Vergleichsumfrage vor der Landtagswahl im Jahr 2019. Überdurchschnittlich stark spricht der Komplex Zuwanderung FPÖ-Wählerinnen und -Wähler an.

Themenführerschaft bei ÖVP

DER STANDARD ließ auch fragen, welche Partei "am ehesten die Themen in der Landespolitik vorgibt" – und da wird die Dominanz der Landeshauptmann-Partei deutlich: 44 Prozent sehen die Themenführerschaft bei der ÖVP, 17 Prozent bei der SPÖ, 16 bei der FPÖ, 14 Prozent bei der KPÖ und fünf Prozent bei den Grünen. Neos und allfällige Kleinstparteien kommen praktisch gar nicht als themensetzend vor.

Andererseits nutzt diese Themenführerschaft der ÖVP gerade nicht: In der Hochrechnung, die DER STANDARD vergangene Woche veröffentlicht hat, liegt die Volkspartei mit 20 Prozent hinter der FPÖ (26 Prozent) und der SPÖ (24 Prozent) – dahinter kommen KPÖ (14), Grüne (acht) und Neos (sieben).

Das erklärt sich so: Eine Mehrheit der Steirer – 49 Prozent – meint, dass sich ihr Bundesland in die falsche Richtung entwickle, nur 33 Prozent der Bevölkerung sehen eine Entwicklung in die richtige Richtung (der Rest von 18 Prozent ist unentschieden). Auch in den Wählerschaften der steirischen Regierungsparteien ÖVP und SPÖ sind etwa drei von zehn Befragten der Meinung, dass sich das Land falsch entwickle. Vor fünf Jahren, im Jänner 2019, war das Verhältnis noch umgekehrt; damals sagten 56 Prozent der steirischen Bevölkerung, dass sich die Steiermark in die richtige Richtung entwickle, nur 20 Prozent sahen eine negative Entwicklung.

Wenig funktioniert sehr gut

Sodann fragte Market, was denn in der Steiermark gut und was schlecht funktioniere. Die besten Noten – 49 Prozent gaben auf der Schulnotenskala ein "Sehr gut" – erhalten Feuerwehr und Katastrophenschutz sowie die Wasserversorgung. Im Süden, wo die Schadstoffbelastung des Grundwassers im Leibnitzer Feld immer wieder zu Sorge Anlass gegeben hat, fällt die Benotung allerdings signifikant schlechter aus.

Regionale Unterschiede in der Benotung gibt es auch im Tourismus (beste Noten in Graz) und bei der Nahversorgung, die die Grazer "sehr gut", viele Weststeirer aber als "nicht genügend" bewerten. Auch die Versorgung mit niedergelassenen Ärzten wird in der Weststeiermark besonders schlecht bewertet.

Bei weiteren Punkten gibt es auch einen deutlichen Zusammenhang zwischen der politischen Grundeinstellung der Befragten und der Einschätzung des Themas. So glauben 20 Prozent der Freiheitlichen (doppelt so viele wie im Durchschnitt der steirischen Wahlberechtigten), dass Flüchtlingsbetreuung in der Steiermark gar nicht funktioniere, von den SPÖ-Präferenten glauben das nur zwei Prozent. Jeder Fünfte der ÖVP- und Neos-Wähler gibt der Flüchtlingsbetreuung ein "Sehr gut", in den anderen Wählergruppen vergibt bei diesem Thema maximal jeder Zehnte einen Einser.

Bei der Spitalsversorgung sind zwar die FPÖ-Wähler (wie in fast allen Bereichen) besonders kritisch – allerdings gibt es da auch in den anderen Parteiwählerschaften nur wenige gute Noten, am ehesten noch von sozialdemokratisch geneigten Befragten. Aber insgesamt ist die Unzufriedenheit mit dem Spitalswesen ein Merkmal, das die meisten Wählerinnen und Wähler eint.

Koalitionsoptionen

Und wer soll die angesprochenen Probleme lösen? DER STANDARD ließ fragen: "Für die Bildung der steirischen Landesregierung werden nach der Landtagswahl voraussichtlich zumindest zwei Parteien nötig sein. Welche Parteien sollen mit Landesräten in der Landesregierung vertreten sein, welche Parteien sollen Ihrer Meinung nach nicht in der steirischen Landesregierung vertreten sein?"

Vor der Wahl 2019 meinten 70 Prozent, dass das die ÖVP weiter regieren sollte – jetzt sagen das nur mehr 51 Prozent, 31 Prozent (2019: 19 Prozent) sind ausdrücklich dagegen. Die meiste Zustimmung gibt es für eine SPÖ-Regierungsbeteiligung mit 58 Prozent (19 Prozent ausdrücklich dagegen), 36 Prozent wollen die KPÖ in der Regierung (38 Prozent dagegen), 30 Prozent die Grünen (49 Prozent dagegen), 27 Prozent die Neos (45 Prozent dagegen) und 26 Prozent die FPÖ. Die FPÖ spaltet die Wählerschaft am stärksten, denn 54 Prozent wollen keinesfalls, dass die FPÖ mitregiert. (Conrad Seidl, 5.2.2024)