Ärzte ohne Grenzen beim Einsatz im El-Emirati-Krankenhaus.
Ärzte ohne Grenzen beim Einsatz im El-Emirati-Krankenhaus.
Mariam Abu Dagga/MSF

Es sind extreme Bedingungen, unter denen Frauen derzeit in Gaza Kinder bekommen. Nach aktuellen Schätzungen werden dort 5.500 Frauen in den kommenden vier Wochen gebären. Bei 40 Prozent der Schwangerschaften handelt es sich um Hochrisikoschwangerschaften. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass in Gaza derzeit insgesamt 50.000 Frauen schwanger sind. Die Unicef geht von 20.000 Babys aus, die seit Kriegsbeginn dort geboren wurden.

Es fehlt an allem: an Medikamenten, medizinischem Personal, funktionierenden Spitälern und ausreichender Hygiene. Kinder werden in Zelten geboren, Kaiserschnitte ohne Narkose durchgeführt. Die Fehlgeburtenrate soll laut Schätzungen um 300 Prozent gestiegen sein, doch medizinisches Personal spreche davon, dass die Zahl wahrscheinlich noch höher sei, sagt Nour Beydon. Sie ist Mitarbeiterin bei Care und hält sich derzeit in Amman in Jordanien auf. Genaue Daten würden derzeit fehlen, sagt sie. Mehrere Telekommunikations-Blackouts verhindern derzeit verlässliche Statistiken, etwa zur aktuellen Säuglings- und Müttersterblichkeit.

Aufgrund fehlender Krankentransporte müssten Frauen zu Fuß zu einem Krankenhaus gehen, was oft zu Frühgeburten führe. Hinzu komme, dass es für Frühchen derzeit keine spezifische Versorgung gebe, die Folge seien viele Behinderungen bei diesen Kindern. Auch postnatale Blutungen könnten oft nicht gestoppt werden, vielen Frauen und viele Babys überlebten die Geburt nicht.

Höheres Infektionsrisiko

Mitte Jänner gab es nur 14 Spitäler, und diese funktionierten nur teilweise. Die Krankenhäuser seien zwar zugänglich für Patientinnen, doch sie könnten nur ein minimales Level an Operationen bieten, sagt Beydon gegenüber dem STANDARD. Seit der Eskalation des Konflikts hätten etwa 17.000 Frauen unter schrecklichen Umständen entbunden.

Seit der Eskalation des Konflikts konnten Care-Teams in Gaza Hygienepakete, Unterkünfte, Decken und Matratzen sowie Trinkwasser an über 91.000 Menschen verteilen. Viele Frauen hätten besonders Angst vor Komplikationen aufgrund der sanitären Bedingungen. Viele Krankheiten grassieren aufgrund des schmutzigen Wassers. Die hygienischen Bedingungen seien aber für alle Frauen im gebärfähigen Alter ein Problem, sagt Beydon. Weil Menstruationsprodukte fehlen, behelfen sich die Frauen mit improvisiertem Material, um die Blutungen aufzufangen – und das führe zu einem höheres Infektionsrisiko.

Auch Ärzte ohne Grenzen spricht von katastrophalen Bedingungen für schwangere Frauen und für Frauen, die gerade entbunden haben. Die NGO ist derzeit auch im El Emirati-Krankenhaus in Rafah im Einsatz, wo Entbindungen durchgeführt werden. Vor dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober, bei dem 1.200 Israelis getötet und mehr als 240 in den Gazastreifen verschleppt wurden, lebten 300.000 Palästinenser und Palästinenserinnen im südlichen Rafah. Mit Beginn der israelischen Militäroffensive stieg die Zahl auf 1,5 Millionen.

"Alle Orte sind überfüllt, die Menschen leben in Zelten, Schulen und Krankenhäusern", sagt Pascale Coissard, Notfallkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Gaza. Vertriebene Frauen, die unter erbärmlichen Bedingungen leben, gebären in Plastikzelten und öffentlichen Gebäuden, berichtet Ärzte ohne Grenzen. So wie Maha, eine der unzähligen Binnenvertriebenen, die nun in Rafah hochschwanger in einem Zelt leben muss. Als bei ihr die Wehen einsetzten, ging sie ins Krankenhaus. Aufgenommen wurde sie allerdings nicht, weil alle Kreißsäle voll waren. Maha musste in einer öffentlichen Toilette gebären, ihr Baby, ein Bub, war tot.

Keine Vor- und Nachsorge

In der Region Rafah ist das Entbindungskrankenhaus El Emirati die wichtigste verbleibende Einrichtung, die sich um die Gesundheitsversorgung vertriebener schwangerer Frauen kümmert. Wegen des großen Bedarfs bei gleichzeitig mangelnden Kapazitäten kann das Krankenhaus nur noch bei den dringendsten und lebensbedrohlichsten Entbindungen helfen. Das Krankenhaus muss derzeit dreimal so viele Entbindungen abwickeln wie vor dem Krieg.

Ein Problem ist auch die fehlende Nachsorge: Diejenigen, denen es gelingt, in einem Krankenhaus entbinden zu können, kehren oft nur wenige Stunden und somit viel zu früh nach einem Kaiserschnitt in ihre provisorischen Unterkünfte zurück. "Die ersten 24 Stunden nach der Geburt bergen das größte Risiko für Komplikationen", sagt Rita Botelho da Costa, Leiterin der Hebammeneinsätze von Ärzte ohne Grenzen.

Kaum Nahrung und Wasser

Aufgrund der schlimmen Bedingungen wäre es wichtig, die Patientinnen so lange wie möglich im Krankenhaus zu behalten, sagt sie. Um das Risiko für Mütter und Neugeborenen zu verringern, unterstützt Ärzte ohne Grenzen das Krankenhaus bei der Nachsorge. Auch die Vorsorge fällt für die schwangeren Frauen in Gaza meist weg. Viele hatten seit Kriegsbeginn keine einzige Vorsorgeuntersuchung mehr. So wie Abu Hameida, die mit Komplikationen ins El Emirati eingeliefert wurde. Auch die 33-Jährige wohnt derzeit in einem Zelt. "Das Leben ist hart, besonders wenn es darum geht, Nahrung oder Wasser zu finden und ohne richtige Bettwäsche zu schlafen", sagt sie.

Ärzte ohne Grenzen fordert einen "bedingungslosen Waffenstillstand" und den Schutz von Gesundheitseinrichtungen. Auch Care fordert eine "sofortige Feuerpause, um humanitäre Hilfe zu ermöglichen, sowie die Freilassung aller israelischen Geiseln". (Beate Hausbichler, 3.2.2024)