Mehr als 30.000 Menschen demonstrierten am Donnerstag im Zentrum der slowakischen Hauptstadt Bratislava.
Mehr als 30.000 Menschen demonstrierten am Donnerstag im Zentrum der slowakischen Hauptstadt Bratislava.
EPA/MARTIN DIVISEK

Immer wieder wurde in den vergangenen Wochen gegen eine geplante Strafrechtsreform in der Slowakei demonstriert. So viele Menschen wie an diesem Donnerstag hatten sich zuvor aber noch nie beteiligt: Allein in der Hauptstadt Bratislava gingen 30.000 auf die Straße. Kundgebungen gab es auch in mehr als 30 anderen slowakischen Städten und sogar im Ausland – unter anderem in Brüssel und in Prag.

Grund für die Protestwelle: Die Regierung des Linkspopulisten Robert Fico möchte mit der geplanten Reform unter anderem den Strafrahmen für Korruptionsdelikte herabsetzen, die Verjährungsfristen verkürzen und sogar die Sonderstaatsanwaltschaft für die Untersuchung von Korruptionsfällen und organisierter Kriminalität abschaffen. Das Argument der seit Oktober 2023 regierenden Dreiparteienkoalition aus Ficos Partei Smer (Richtung), der ebenfalls linksorientierten Hlas (Stimme) und der Slowakischen Nationalpartei (SNS): Die Sonderstaatsanwaltschaft und Verfahren wegen Korruption seien "politisch missbraucht" worden.

Die liberale Opposition und die tausenden Menschen auf den Straßen sehen das freilich umgekehrt: Für sie sind die geplanten Schritte lediglich ein Vorwand der Regierung, um Korruptionsfälle aus der Vergangenheit leichter unter den Teppich kehren zu können – konkret aus früheren Amtsperioden Ficos, der bereits von 2006 bis 2010 und danach von 2012 bis 2018 Premier war.

Erinnerung an Journalistenmord

Gerade die Erinnerung an 2018 ist für die meisten Oppositionellen besonders bitter: Im Februar vor sechs Jahren wurden der junge Enthüllungsjournalist Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová in ihrem Haus in der Westslowakei erschossen. Kuciak hatte zu mehreren Korruptionsfällen recherchiert. Der Doppelmord löste damals eine breite Protestbewegung aus. Viele hatten kein Vertrauen in eine korrekte Aufklärung unter der damaligen Regierung, es folgten die größten Demonstrationen seit der Samtenen Revolution des Jahres 1989.

Robert Fico hielt dem Druck nicht stand und trat zurück. Die damalige Koalition regierte dennoch bis zum regulären Wahltermin 2020 weiter, Premierminister war während dieser Zeit Peter Pellegrini – damals bei Ficos Smer, heute Chef der mitregierenden Hlas. Von 2020 bis Oktober 2023 regierte dann ein liberales Mitte-rechts-Kabinett, dessen interne Streitigkeiten aber im Herbst 2023 zu Neuwahlen führten. Aus diesen ging dann erneut Robert Fico als Premier hervor.

Dass nun ausgerechnet im Land des getöteten Journalisten Ján Kuciak die Antikorruptionsgesetze gelockert werden sollen, und das noch dazu unter jenem Regierungschef, der nach dem Mord zurücktreten musste, stößt vielen besonders sauer auf. Bei der Demonstration am Donnerstag trat auch Ján Kuciaks Vater auf. Er zeigte sich um die Aufklärung des Mordes an seinem Sohn besorgt: Die Täter sowie eine Vermittlerin und ein Kontaktmann wurden zwar bereits zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, nach wie vor ist aber unklar, wer im Hintergrund die Fäden gezogen hat.

Kritik an den der Strafrechtsreform kam inzwischen nicht nur von der Opposition und der Zivilgesellschafft, sondern auch von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament, die Sorge um die Rechtsstaatlichkeit in der Slowakei geäußert haben. Der Widerstand hat aber auch eine geopolitische Dimension: "Fico, geh nach Russland" war etwa am Donnerstag auf einem der Transparente zu lesen. Hintergrund ist Ficos Wahlkampf, in dem dieser unter anderem das Ende von Waffenlieferungen an die Ukraine angekündigt und deutlich prorussische Töne angeschlagen hatte.

Keine Unterstützung für Orbán in Brüssel

Bei einem Besuch in Budapest hat Fico zudem seine Nähe zum rechtspopulistischen ungarischen Premier Viktor Orbán erkennen lassen, der – ebenfalls wegen der Sorge um die Rechtsstaatlichkeit – im Clinch mit Brüssel liegt. Orbán kann einen neuen besten Freund in der EU gerade gut gebrauchen, zumal in Polen, in den vergangenen Jahren dem engsten Verbündeten Ungarns, seit kurzem das liberale Kabinett von Donald Tusk regiert. Und Orbán gilt unter allen EU-Regierungschefs auch als jener mit der größten Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Bereits im Vorfeld des EU-Gipfels vom Donnerstag, bei dem es um die weitere finanzielle Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine ging, hatte Fico erklärt, man bereite dort "seltsame Dinge" gegen Ungarn vor. Es klang ein wenig, als ob er seinem Kollegen Orbán in Brüssel zur Seite stehen und das geplante 50-Milliarden-Paket mit ihm gemeinsam blockieren wolle.

Passiert ist nichts davon. Auch Viktor Orbán knickte am Ende ein und stimmte der Ukraine-Hilfe zu, die er noch beim letzten Gipfel im Dezember verhindert hatte. Beobachter in Bratislava gehen davon aus, dass auch Fico wirtschaftliche Folgen für die vergleichsweise kleine Slowakei befürchtete, sollte er sich den Zorn der anderen EU-25 zuziehen. Und noch eine Annahme macht in der Slowakei die Runde: Fico will daheim seine Strafrechtsreform durchdrücken und hat mit der Opposition im eigenen Land genug zu tun. Zusätzlichen Zoff mit Brüssel könne er da nicht gebrauchen. (Gerald Schubert, 2.2.2024)