Im März erscheint Pektovics zweites Buch: "Zeit, sich aus dem Staub zu machen".
WITTERS

Auch wenn Andrea Petkovic keine Zeit hat, nimmt sie sie sich. Der Weg von den Australian Open zum WTA-Turnier in Linz ist weit, in Oberösterreich spricht sie bei einem Symposium über ihr Karriereende und mentale Stärke. Im März erscheint das zweite Buch der ehemaligen Top-Ten-Spielerin.

STANDARD: Wir haben vor fünf Jahren über die Einsamkeit als Tennisprofi gesprochen. Mittlerweile haben Sie Ihre Karriere beendet. Sind Sie also nicht mehr einsam?

Petkovic: Auf jeden Fall viel weniger. Das Lustige ist, dass ich jetzt einen ähnlichen Turnierplan wie früher habe, seit ich für das Fernsehen arbeite. Und ich dachte, nach der Karriere bin ich viel flexibler und freier. Aber natürlich kann ich die Zeit dazwischen besser nutzen.

STANDARD: Die Tennisbubble ist in sich geschlossen, und doch merkt man, dass die Spielerinnen sich innerhalb auch abkapseln. Jede will mit ihrem Team eher für sich sein. Ist das neu?

Petkovic: Vor 15 oder 16 Jahren, als ich auf die Tour kam, war es noch so, dass viele Spieler einen Trainer hatten, der aber nicht zu jedem einzelnen Turnier mitkam. Das Preisgeld war nicht so hoch, oder Spielerinnen und Spieler haben sich einen Trainer geteilt. Dadurch hat man sich eher einmal mit Spielerinnen auch zusammengetan. Aber jetzt in Australien hatte jeder einzelne Spieler, jede einzelne Spielerin fünf Leute dabei. Das ist für die Spieler natürlich schön, aber es gibt untereinander quasi keine Berührungspunkte, keine Interaktion mehr.

STANDARD: Sie haben außerdem gesagt, als Tennisprofi besteht das Leben vor allem aus Warten. Auf wen oder was haben Sie zuletzt gewartet?

Petkovic: Auf Sie.

STANDARD: Oje.

Petkovic: Im Fernsehen wartet man eigentlich noch viel mehr. Früher habe ich als Spielerin auf Matches gewartet, jetzt warte ich auf Tennisspielerinnen. Wir waren in Australien die Zweiten, die Aryna Sabalenka nach ihrem Triumph interviewen durften, es dauerte 20 Minuten, bis sie von der Trophy-Ceremony kam, und wir mussten live sinnloses Zeug reden. Und ich dachte mir: "Okay, das ist jetzt dein Leben!"

STANDARD: Unter uns: Hat man nicht irgendwann genug von diesem Leben, von diesem Lifestyle, von diesem ganzen Sport-Trallala?

Petkovic: Ich bin sehr schlecht im Nichtstun. Zu Beginn hatte ich Angst vor der Lücke nach der Karriere und habe erst mal zu allem Ja gesagt und ausgetestet, was mir Spaß macht und was ich nicht mehr in meinem Leben brauche. Und da habe ich gemerkt, dass ich einfach gerne arbeite, gerne unterwegs bin. Natürlich stellt sich die Frage, ob ich es als Spielerin nichts anders kannte, als immer unterwegs zu sein. Die Aufregung, das Drumherum ist noch immer aufregend, wie jetzt in Australien. Ich liebe Tennis. Wenn ich zu Hause bin und nichts zu tun habe, läuft immer Tennis. Es ist ein bisschen crazy, ich weiß.

"Bei mir hat der Körper nicht mehr mitgemacht, es wurde immer schwieriger, mitzuhalten."
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STANDARD: Das ist wohl nicht bei allen nach der Karriere so.

Petkovic: Ich merke das bei einigen Kolleginnen, dass sie froh sind, nichts mehr mit dem Sport zu tun zu haben. Vielleicht war es schon während der Karriere so, und deshalb hören sie auf. Bei mir hat der Körper nicht mehr mitgemacht, es wurde immer schwieriger, mitzuhalten.

STANDARD: Sie streifen auch immer wieder mit dem Sport die Popkultur. Welcher Song würde Ihre Karriere am besten beschreiben?

Petkovic:This Must Be the Place von den Talking Heads. Das klingt jetzt vielleicht etwas dunkel, aber ich habe auch immer gesagt, dass dieser Song bei meiner Beerdigung laufen soll. Er blickt zurück auf etwas und findet auch den Frieden damit. Und genau so war es bei mir in den letzten Jahren, als ich nicht mehr so getrieben vom Sport war und nicht mehr so gegeiert habe.

Talking Heads - This Must Be the Place (Naive Melody) (Official Video)
Talking Heads

STANDARD: Also haben Sie mit Ihrer Karriere Frieden geschlossen?

Petkovic: Ja, vor allem mit dem Eingeständnis, dass ich einfach nicht gut genug war.

STANDARD: Wirklich?

Petkovic: Ja, ich denke schon. Wenn ich mit den Besten, also zum Beispiel Angelique Kerber, gespielt habe, hat immer ein bisschen etwas gefehlt. Ich habe mir alles in mühsamer Arbeit zusammengeschustert, mit Analysen und Youtube-Videos und musste irre hart arbeiten. Es war einfach nicht so natürlich.

STANDARD: Aber dieses Eingeständnis ist doch beruhigender, als wenn man sich das restliche Leben fragen würde, was denn nicht geklappt hat?

Petkovic: Es ist eigentlich unfair, weil ich ja eine super Karriere hatte. Aber jedes Kind, das Tennis spielt, will die Nummer eins werden, und genau das habe ich nicht geschafft. Und wenn man das akzeptiert und sich nicht darüber grämt, ist viel geholfen.

STANDARD: Wie groß ist die Gefahr, am Konstrukt Tennis, am Konstrukt Spitzensport zu scheitern? Beruflich und auch privat?

Petkovic: Ich bin sehr gespannt, wie es mit dieser Generation läuft. Als Tennisprofi, egal wie sozial oder unsozial, hat man nicht viele Freunde. Man ist einfach zu viel unterwegs. Meine Freunde kommen fast alle aus dem Tennisumfeld, andere Spielerinnen, Journalistinnen und Journalisten, das sind meine engsten Freunde. Beim Legendendoppel in Melbourne – und da war sogar noch die Generation vor mir – hat man gemerkt: Die sind alle supereng befreundet, telefonieren, besuchen einander gegenseitig, fahren zusammen auf Urlaub. Das ist für Spieler und Spielerinnen jetzt schwierig, weil sie fast keine Berührungspunkte miteinander haben. Dazu kommt, dass viele auch noch früher mit der Schule aufhören. Wie sollen sie sich ein soziales Umfeld aufbauen?

Petkovic beendete 2022 ihre Karriere.
APA/AFP/ANGELA WEISS

STANDARD: Sie stellen jetzt beruflich Fragen, willkommen in unserer Welt. Was war die blödeste Frage, die Ihnen während oder nach Ihrer Karriere gestellt wurde?

Petkovic: Ich mochte nie Fragen nach meinen Zielen, weil die für alle gleich sind. Alle wollen die Nummer eins werden, alle wollen Grand Slams gewinnen. Ob man das dann schafft, ist eine andere Frage. Ich habe es nicht geschafft. Und das Blöde ist, wenn du sagst, du willst die Nummer eins werden, und du bist noch so weit davon entfernt, dann bekommst du immer auf die Nuss.

STANDARD: Im März erscheint Ihr zweites Buch, das erste ist ganz gut angekommen. Sind Sie jemand, der mit Vergangenem zufrieden ist?

Petkovic: Nachdem das Buch fertig war und ich Passagen vorgelesen habe, dachte ich mir manchmal "Oh, das habe ich geschrieben?", aber manchmal auch "Oh Gott, das habe ich geschrieben?". Sibylle Berg hat einmal gesagt: "Das ist das beste Buch, das ich in diesem Moment, mit diesen Skills, schreiben konnte." Das empfinde ich als sehr schlau. Aber ich würde das Buch jetzt ganz anders schreiben. Beim Tennis kannst du nach einem verlorenen Match nie mehr zurück, beim Schreiben schon, außer du hast eine Deadline.

STANDARD: Wenn Sie nicht selbst Ihre Biografie schreiben könnten, wer sollte es denn tun?

Petkovic: Joan Didion, die ja leider schon verstorben ist. Mich würde vor allem ihr Blick auf die Frauentenniswelt interessieren, aber auch auf Sieg und Niederlage, was heißt es, Erfolg zu haben.

STANDARD: Bei den Australian Open war auch immer wieder der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ein Thema. Wo beginnt die gesellschaftliche Verantwortung von Sportprofis, und wo hört sie auf?

Petkovic: Das ist ein richtig schwieriges Thema. Im Tennis ist man im Vergleich zu anderen Sportarten sehr länderunabhängig. Ich kenne fast niemanden, der im Verband groß geworden ist und es wegen des Verbandes geschafft hat. Es sind quasi immer private Wege, über Sponsoren, Akademien, Manager. Ich nehme jetzt einmal nur Deutschland: Angie Kerber, Jule Görges, Sabine Lisicki, ich, Sascha Zverev: Niemand ist durch das Verbandssystem gegangen. Warum sollte man dann irgendwas mit "Deutschland" hochhalten.

STANDARD: Gilt das auch für Osteuropa?

Petkovic: Ja, 90 Prozent der Sportler aus dem Osten ziehen mit spätestens zwölf Jahren nach Florida oder Spanien. Die haben nichts mit ihren Ländern zu tun, man würde denken, die meisten sind informiert, was dort abgeht, aber das sind sie nicht. Die Ukrainerinnen sind natürlich superlaut, und das ist absolut verständlich. Wenn es um meine Familie gehen würde, würde ich mich auch hinstellen und sagen: "Warum sieht hier denn niemand hin?" Auf der anderen Seite hast du eine Sabalenka aus Belarus, die will damit natürlich nichts zu tun haben. Und das ist dann halt auch irgendwie unfair. Aber auf der anderen Seite kann ich die Ukrainerinnen zu 1000 Millionen Prozent verstehen.

STANDARD: Zum Abschluss eine klassische Sportfrage.

Petkovic: Ich liebe klassische Sportfragen.

STANDARD: Mit Swiatek, Sabalenka, Gauff sind spannende Charaktere und tolle Spielerinnen obenauf. Wie schätzen Sie die Lage im Frauentennis ein?

Petkovic: Es ist super. Ich würde aber gerne sehen, wie es wäre, wenn alle gleichzeitig in Topform sind. Derzeit dominiert eine, und die anderen lassen nach. Wenn alle gleichzeitig liefern, wäre das noch spannender. (Andreas Hagenauer, 3.2.2024)