Robert Palfrader 
Robert Palfrader hat einen Familienroman geschrieben. Dafür hat er sogar aufs Brennholzmachen verzichtet.
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Wiewohl er in Österreich vornehmlich als wenig vornehmer Kaiser oder Staatskünstler aus dem Fernsehen bekannt ist, liegen die familiären Wurzeln des Schauspielers Robert Palfrader in Südtirol, beim Volk der Ladiner. So heißt eine Minderheit von rund 35.000 Leuten, deren Ortsnamen bekannter sind als sie selbst, wie er im Vorwort seines Romandebüts Ein paar Leben später schreibt und Gröden oder Cortina d'Ampezzo erwähnt. Palfrader hat sich eine Familiengeschichte ausgedacht, in der Realität und Fiktion verschmelzen. Man begegnet einer begabten Hundezüchterin, fleischgesichtigen Pfarrern, sturen Küchenmädchen und seltsamen Brüdern.

Palfrader schreibt mit lakonischer Distanz, in der aber steckt mehr Liebe als in manch einem Heiratsantrag. Schade nur, dass er sich nicht mehr epische Breite erlaubt hat. Nach 160 Seiten für fünf Generationen ist es schon wieder vorbei.

STANDARD: Warum haben Sie das Buch geschrieben?

Palfrader: Die Idee entstand schon vor 30 Jahren. Da hab ich in Köln hinter der Kamera gearbeitet, und am Abend beim Bier hat jeder erzählt, wo er oder sie so herkommt, und ich hab halt von meiner Familie aus Südtirol erzählt. Und da sagt eine Drehbuchautorin: "Das musst du aufschreiben." Aber ich hab nie daran gedacht, ein Buch zu schreiben. Als vor 15 Jahren der Kaiser sehr erfolgreich war, sind ein paar Verlage zu mir gekommen. Da dachte ich, was die Welt nicht braucht, ist noch ein schlechtes Buch von einem Vollidioten.

STANDARD: Was hat sich geändert?

Palfrader: 2021 hab ich ein Gespräch mit zwei Verlagen geführt, 2023 hat sich ein Loch aufgetan, und da habe ich den ganzen Sommer durchgeschrieben. Ich war überrascht, wie intensiv das ist. Ich hab von der Früh weg bis in die Nacht geschrieben. Nicht einmal in meiner Werkstatt war ich, und die liebe ich!

STANDARD: Was tun Sie da?

Palfrader: Tischlern, ich mach alles, was man in Brennholz verwandeln kann. Es gibt Videos, in denen sich Brennholz in wunderschöne Schatullen verwandelt, ich mach’s umgekehrt. Ich hab zwei Leidenschaften: Tischlern und Schachspielen – und ich kann beides nicht.

STANDARD: Also war Schreiben eine dankbare Alternative?

Palfrader: Ja, aber mir war klar, dass das bestenfalls Unterhaltungsliteratur wird. Ich habe Freunde, die vom Schreiben leben, und ich weiß, was das für ein Aufwand ist und wie talentiert die sind, und das bin ich nicht. Was ich kann, ist Geschichten erzählen. Also habe ich die Geschichte meiner Familie als Gerüst genommen und mich da entlanggehantelt und den Personen ein Leben auf den Leib geschrieben, das mir interessant erschien. Ich hab gut versteckt reale Geschichten eingebaut, die so oder so ähnlich passiert sein müssen.

STANDARD: Welche Quellen standen Ihnen zur Verfügung?

Palfrader: Da war meine Urgroßmutter, die habe ich gut gekannt. Und ich habe mit meiner Großmutter, die ist 96 geworden, noch Wochen vor ihrem Tod geredet. Die haben zwar nichts aufgeschrieben, die hatten damals ganz andere Sorgen. Deshalb ist es so: Je weiter in der Vergangenheit die Personen im Buch zurückliegen, desto höher ist der fiktive Anteil.

STANDARD: "Never let facts ruin a good story", hat Robert Mitchum einmal gesagt.

Palfrader: In Südtirol haben mir viele Menschen Details zu Geschichten zugetragen, die ich zwar gekannt habe, die man in der Familie aber so nicht erzählt. Da gab es Momente, in denen ich mich gefragt habe: Wie ging sich das aus? Aber dann hört man Geschichten, in denen ein eigener Vorfahre nicht so gut wegkommt – und schon lösen sich ein paar Rätsel auf.

STANDARD: Hatten Sie Angst, Leichen im Familienkeller zu finden?

Palfrader: Im Gegenteil. Es war zum Beispiel so, dass die Geschichte eines Vorfahren so absurd schön war, dass ich dachte, das ist zu langweilig, das muss ich ändern.

STANDARD: Was war die größte Herausforderung beim Schreiben?

Palfrader: Ich hab wahnsinnig viel Text wieder gelöscht, weil ich die Geschichte nicht verblödeln wollte. Ich hab mir auferlegt: keine Witze. Das Umschiffen der Wuchteln war echt hart. Da war ich richtig streng mit mir: Weg damit! Weil es zuvor viel zu prätentiös war! Ich habe sehr viel geschimpft mit mir, sehr viel. Schwierig war auch, den Ton zu finden, den die Geschichte braucht – ich habe das in mir hören und einen Ton finden müssen, der zu der Zeit und zur Geschichte passt.

STANDARD: Haben Sie beim Erzählen einen Lieblingsverwandten entdeckt?

Palfrader: Wahrscheinlich meine Großmutter. Sie war ein sehr feiner Mensch, eine hochintelligente Frau. Am Ende ihres Lebens hat sie zu mir gesagt. "Ich will jetzt sterben, aber weißt was, ich hab so ein schönes langes Leben gehabt, um euch mach ich mir Sorgen." Dabei hat die ihren Sohn verloren, das und das miterleben müssen, aber sie konnte allem etwas Positives abgewinnen.

STANDARD: Dafür, dass Ihr Buch mehrere Generationen umfasst, ist es dünn geblieben. Warum wollten Sie nicht epischer erzählen?

Palfrader: Ich wollte es so schlank wie möglich erzählen, mit Zug zum Tor, nichts ausufern lassen, nicht die Leute mit Details langweilen, die nichts über die Personen erzählen. Ich hab versucht, alles einzubauen, was passiert ist, und die Personen mit einem Leben auszustatten, das jemanden interessieren könnte.

STANDARD: In Ihrer Familie gibt es keinen besonderen Herkunftsstolz, das ist ungewöhnlich.

Palfrader: Ja, die haben sich nie als etwas Außergewöhnliches betrachtet. Die haben gewusst, wer sie sind, das hat ihnen genügt. Durch die Abgeschiedenheit der Täler gab es kein Ladinertum. Mit der eigenen Sprache ist man ja keine 20 Minuten entfernt schon an Verständigungsgrenzen gestoßen. Und sie hatten ja nur paar Hendln, Holz und den festen Glauben, dass alles viel, viel besser wird, wenn man einmal hin ist.

STANDARD: Haben Sie den auch?

Palfrader: Das wird dort nicht gerne gehört oder akzeptiert, aber ich bin Atheist. Eine meiner Großtanten hat zu mir einmal gesagt: Nein, du bist kein Atheist, und hat in den Herrgottswinkel gedeutet, wo ein Foto von mir bei der Erstkommunion steht. Da hat sie darauf gezeigt und gesagt: Du bischt Katholik. Ich drauf: Nein, ich bin ausgetreten. Darauf sie: Dann bist du a Hochverräter. Sag ich: Aber Hochverräter werden ja erschossen. Ja, sagt sie, du bischt a Hochverräter.

STANDARD: Beim Glauben ist es vorbei mit der Barmherzigkeit.

Palfrader: Ja, offenbar hat sie da eine Teilleistungsschwäche bei der Nächstenliebe. Und ein anderer sagte zu einem meiner Onkel über mich: "Sag deim Neffen, er soll die Goschen halten mit seim Atheismus, des interessiert ka Sau." Man kann sagen, sie mögen das nicht.

STANDARD: Sie erwähnen einmal den Unterschied zwischen Familie und Verwandtschaft – können Sie das ausführen?

Palfrader: Ja, der Satz, Familie kann man sich nicht aussuchen, ist ein Blödsinn. Die Verwandtschaft kann man sich nicht aussuchen. Wen man zur Familie macht, suchst du dir sehr wohl aus. Ich habe einen Freund, der ist mehr Familie für mich als viele Verwandtschaft.

STANDARD: Das wird diese nicht gerne hören.

Palfrader: Das ist mir wurscht. Irgendwann muss man sich von der Idee verabschieden, der Verwandtschaft gefallen zu wollen.

STANDARD: Rückblickend besehen: Bewahrheitet sich der Spruch, nachdem die Provinz Monster gebiert?

Palfrader: Ich weiß nicht, ob das so stimmt. Ich glaube, dass in einer Dorfgemeinschaft, in der jeder mit jedem um drei Ecken verwandt ist, dass es da so etwas wie ein Monster nicht gibt. Weil der dann nicht ins Gasthaus darf, das will niemand. Es gab natürlich welche, die nicht hoch angesehen waren, aber die waren keine Monster. Dazu waren die Leute zu sehr voneinander abhängig. (Karl Fluch, 15.2.2024)