Wladimir Iljitsch Uljanow alias Lenin im Silver Ghost am 1. Mai 1918.
Gorki Mansion

Kommunistischer Einfachheitsanspruch verbunden mit einer kräftigen Prise kapitalistischer Zutaten spielte in den Geschichten ihrer großen Führer manchmal eine wichtige Rolle. Linke Kreise pflegen die Historie dieser Vorbilder zu verschweigen, aber nicht den Hang zu Attributen der kapitalistischen Oberschichten, sondern sie verehren diese mitunter sogar museal.

Auf den großen Lenin trifft dies auch zu, die gralsartig verehrte kommunistische Ikone. Eigentlich hieß er Wladimir Iljitsch Uljanow aus der Wolgastadt Simbirsk, den Kampfnamen "Nikolai Lenin" leitete er vom sibirischen Fluss Lena her.

Lenin stammte aus einer geadelten bürgerlichen Familie, der Bruder wurde aber wegen eines geplanten Attentats auf den Zaren gehängt. Wladimir sang sicherlich die Internationale – "Völker, hört die Signale, auf zum letzten Gefecht" –, für ihn war das aber kein Widerspruch dazu, die Automobile der englischen Nobelmarke Rolls-Royce zu schätzen oder in Gorki den beschlagnahmten Landsitz eines Aristokraten als seine "Datscha" zu bezeichnen.

Wasser predigen ...

Überhaupt, Kommunisten, brutale Unterdrücker aller Andersdenkenden, lebten gern nach kapitalistischen Vorbildern. Marschall Tito fuhr im Mercedes 600 Landaulet durch Jugoslawien, Elena, die Gattin des rumänischen Diktators Nicolae Ceaușescu, flog mit der Boeing 707 der staatlichen Fluggesellschaft Tarom, natürlich Solistin im Flieger, zum Shoppen nach Paris.

Die Herrscher der DDR, Ulbricht und Co, verteufelten alles, was nach Westdeutschland roch, ihre Privatklinik durften jedoch Siemens und Bosch einrichten. Gefahren wurden nur Volvo-Limousinen. Ausnahmen gab es natürlich, zum Beispiel für Generalfeldmarschall Friedrich Paulus (Stalingrad) in Dresden, er bekam einen Opel Kapitän mit Fahrer.

Da wuchs zusammen, was – nun ja: in dem Fall – zusammengehörte: Rolls-Royce trifft Sowjet-Fünfzack.
Gorki Mansion

Zurück zu Lenin. Rund um dessen Begeisterung für Automobile der Marke Rolls-Royce ranken sich viele Mythen, manche nett erfunden, andere der Wahrheit sehr nahe. Verfolgt man die akribischen R-R-Werkseintragungen in England, dann wird die Spurensuche kein Tasten im Dunkeln, sondern wie bei Theseus mittels "gedruckter" Wollfäden der Weg zum Licht.

Eine weitere Person kommt hier ins Spiel, Lenins angeblicher Chauffeur, der französische Ingenieur Adolphe Kégresse, ein ausgewiesener Automobilexperte. Prinz Orlow, Verwandter der Herrscherfamilie, Automobilfan der ersten Stunde, kutschierte 1903 den Zaren und seine Familie mit einem "Aeroson-Ding", wie es Zar Nikolaus bezeichnete, durch die Landschaft.

Der Zar muss ein Auto besitzen, entschied Orlow, die Wahl fiel auf einen Delaunay-Belleville. Ein Wagen schien für einen Zaren dann zu bescheiden, eine ganze Flotte muss her, und so wurde Kégresse, zufällig in Sankt Petersburg, zum Chef dieses Fuhrparks ernannt.

Garage des Zarenhofes

Im Laufe der Jahre standen rund 60 Automobile in der riesigen Garage des Zarenhofes unter der Leitung dieses Franzosen, der auch den kaiserlichen Benz mit den hohen Herrschaften lenken durfte. Automarken, die heute teilweise nur mehr in Autosagen vorkommen, standen säuberlich nebeneinander: der Belleville, der Benz, andere Mercedes-Typen, aus lokaler Produktion der Russo-Baltique, englische Daimler, Panhard & Levassor aus Frankreich, Serex und Lessner, aber kein Rolls-Royce.

Revolutionsjahr 1917. Die Zarenfamilie verhaftet, der kaiserliche Besitz zur Plünderung freigegeben. Adolphe Kégresse fürchtete zu Recht um sein Leben und floh über Finnland nach Frankreich. Er traf persönlich nie Lenin, daher ist auch die Geschichte des "Lenin-Fahrers" reine Erfindung. In Frankreich dagegen entwickelte Kégresse die berühmten Citroën-Halbkettenfahrzeuge, die den Himalaja bezwangen und die Sahara durchquerten, ein Exemplar davon steht im Wiener Technischen Museum.

Der neue Herrscher Russlands, Lenin, bediente sich natürlich aus dem kaiserlichen Fuhrpark. Zuerst war es ein Turcat-Méry 28, später folgte der offene Renault 40. Letzterer wurde gestohlen, die Diebe aber erwischt und nach damaliger Rechtslage einfach erschossen.

Rolls-Royce Ghost, Winterumbau auf Halbkette.
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Aber, wie gesagt: kein Rolls-Royce aus dem kaiserlichen Marstall, da der Zar keinen besaß. Das einzige nachweisbare Modell dieser Marke stand in der Garage der Zarenvilla auf der Krim, sein Schicksal ist unbekannt.

Lenin, der längere Zeit auch in England gelebt hatte, kannte die Marke und ihren hohen Prestigewert. Für seine persönlichen Auftritte befahl er, ein Fahrzeug dieser Marke anzuschaffen, dies entspreche seiner Stellung. Die russische Botschaft in London wurde angewiesen, den Ankauf der Rolls-Royce-Modelle in die Wege zu leiten. Vier Fahrzeuge wurden in der sogenannten Lenin-Periode nach Russland exportiert.

Spurensuche

Lange Zeit schienen die Experten überzeugt zu sein, dass Chassis 79VG der sogenannte Lenin-Wagen sei, doch heute ist man überzeugt, dass es sich um Fahrgestell 16 X handelte. Die russische Mission in London kaufte am 11. Juli 1922 von Rolls-Royce auch einen Silver Ghost Tourer, Chassis 17 KG, Preis 1.850 Pfund, mit 15 Prozent Nachlass im Rahmen eines Flugmotorendeals. Dieser war und ist der legendäre Lenin-Rolls-Royce aus den Geschichten. Unklar ist aber, ob der damals schon schwerkranke Diktator das Fahrzeug wirklich benützte.

Und hier ein Lenin'scher Silver Ghost in der Peter-und-Paul-Festung in Sankt Petersburg, aufgenommen im Jahr 2006.
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Nach Lenins Tod erlitt der Wagen schwere Beschädigungen, als ihn eine wahrscheinlich betrunkene Gruppe von Funktionären für eine Spaßfahrt organisierte und mit voller Wucht in eine Kuhherde krachte. Das originale Chassis 16 X war nicht mehr auffindbar, deshalb wurde der Silver Ghost umgebaut, um als "originaler" Lenin-Royce für Showzwecke zu dienen.

Heute steht das Fahrzeug im staatlichen Kreml-Museum. Zwei weitere Silver Ghost, Chassis 40 YG und 70 VG, fanden ebenfalls den Weg nach Russland, dort lokal als Open Tourer und als Limousine aufgebaut.

Das Fahrzeug mit der Nummer 70YG erhielt später einen Halbkettenantrieb, System Kégresse, ausgebaut aus einem Packard der Zarenflotte für Wintereinsatz, die Vorderräder wurden mit Kufen versehen. Damit konnte sich Stalin Ende der 1920er-Jahre auch bei Schnee bewegen. Auch dieser Wagen wurde zu einem Museumsstück, diesmal für die Lenin-Gedenkstätte in Gorki. (Peter Urbanek, 7.2.2024)